Die Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen hat eine viel beachtete, umfängliche Studie über Zeitverschwendung als Thema in Literatur, Filmen und Serien geschrieben; das Spektrum der Figuren, auf die sie eingeht, reicht von Thomas Manns „Zauberberg“-Protagonist Hans Castorp bis zu „The Big Lebowski“. Im Interview berichtet sie über ihre Lieblings-Zeitverschwender und darüber, wie sich Bewertungskriterien zu sinnvoll genutzter oder vertaner Zeit immer wieder verändern.
Frau Krützen, Sie haben ein an die tausend Seiten umfassendes Buch zum Thema Zeitverschwendung in Film und Literatur vorgelegt. Ein auf Produktivität und Effizienz bedachter Zeitgeist könnte angesichts einer Lektüre solchen Umfangs zum Thema Zeitverschwendung einwenden, dies sei selbst der Akt Zeitverschwendung. Was entgegnen Sie?
Aus meiner Perspektive war das Schreiben absolut keine Zeitverschwendung, denn ich mache es unglaublich gerne. Kaum etwas – außer zu unterrichten – mache ich ähnlich gerne. Sie kennen das bestimmt auch, wenn man beim Schreiben in einen Tunnel gerät und die Zeit und alles umher vergisst, weil man so in die Arbeit versunken ist – so erging es mir bei meinem Buch. Ich befinde mich in einem Lebensalter, in dem ich mich nicht länger Qualifikationsschreiben widmen muss, sondern im Prinzip machen kann, was ich will. Es waren insofern tolle Jahre, die ich mit dem Schreiben verbracht habe. Von Zeitverschwendung kann ich daher als Autorin nicht sprechen. Höchstens die Leser und Leserinnen könnten angesichts des Umfangs sagen: „Boah, das ist aber eine Zeitverschwendung.“ Ich würde dann antworten: Das Buch ist so geschrieben, dass Sie an beliebiger Stelle einsteigen, reinblättern und reinlesen können. Und wenn es Ihnen nach einer solchen Lektüre nicht zusagt, dann legen Sie es zur Seite. Ich bin dann auch nicht beleidigt. Das Buch ist zu einer schlendernden Lektüre angelegt. Wer bei einer Figur das Gefühl hat, seine Zeit zu verschwenden, kann einfach ein anderes Kapitel lesen.
Tatsächlich habe ich Ihre Leseanleitung beherzigt und somit glückliche, vergnügliche Stunden mit Ihrem Buch verbracht. Die von Ihnen aufgeführten Beispiele laden geradezu dazu ein, eigene filmische und literarische Zeitverschwender zu entdecken.
Das freut mich zu hören!
Wie hat Sie das Thema der Zeitverschwendung und der Repräsentation in Filmen, Literatur und in Serien, die im Buch Erwähnung finden, denn überhaupt gefunden?
Zum einen hat mich die
Konfrontation mit dem für mich neuen Zeitmanagement meiner Studierenden, die
stets überlastet sind und nie Zeit haben, dazu geführt, zum anderen war es
meine Sammlung an fiktionalen Zeitverschwendern, die mich Zeit meines Lebens
begleitet haben. Ganz früh war das Hans Castorp aus Thomas Manns „Zauberberg“.
Zu ihm gesellte sich irgendwann der „Big Lebowski“ der
Coen-Brüder. Würde ich diese Figuren persönlich kennenlernen, würden sie mich
wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, ich habe aber im Laufe der Zeit auch
gemerkt, dass ich ihre Eigenschaften auf andere Art und Weise schätze und ich
sie gewissermaßen liebhabe.
Und das wurde schließlich zum Ausgangspunkt Ihres Buches?
Ja, es mussten Figuren sein, die mich irgendwie persönlich beschäftigten. Nun mag man mich eine Egomanin nennen, aber welches Auswahlkriterium sollte ich für ein solches Unterfangen sonst anlegen? Natürlich hätte ich hergehen und sagen können, dass ich es gerecht und paritätisch angehe – die Hälfte männliche, die andere weibliche Figuren. Aber das wäre aus meiner Sicht verzerrt gewesen. Ich hätte auch Figuren aufnehmen können, die nicht dem westlichen Kanon entstammen – Westafrika etwa –, aber das entspricht nun mal nicht meiner Sozialisation. Ich habe mich auf die Figuren konzentriert, von denen ich annehme, dass viele Leser und Leserinnen hierzulande etwas mit ihnen anfangen können.
Wie sind denn die Resonanzen auf Leserseite? Ich kann mir vorstellen, dass viele ihre eigenen Anekdoten und Vorlieben für gewisse Zeitverschwender teilen.
Ja, das ist auf jeden Fall so. Ich finde vor allem erstaunlich, welche meiner Figuren überhaupt keine Resonanz auslösen, nach denen keiner fragt oder mich auf sie anspricht. Und dann überraschen mich solche, bei denen mich enorm viel Rückmeldungen erreichen.
Fangen wir mal so rum an: Nach welchen Figuren besteht keine Nachfrage?
„American Psycho“ und die Hauptfigur Patrick Bateman interessieren niemanden.
Wirklich? Dabei ist die Figur doch gerade wieder in sozialen Medien vielzitiert, der Bateman spielende Christian Bale ein häufig erscheinendes Meme …
Ich dachte vor allem das Thema Konsum als Zeitverschwendung sei super, weil wir den Konsum aktuell so radikalisiert erfahren, Konsum scheint die Menschen aber als Thema gar nicht mehr so zu interessieren. Vielleicht haben sie es auch für sich aufgelöst, indem heute anders konsumiert wird – primär online – und die Wahrnehmung von Konsum heute eine andere ist.
Welcher prominente Zeitverschwender treibt die Lesergemüter stattdessen um?
Oblomow ist Everybody’s Darling! Und zwar tatsächlich – das verrät das Feedback, das ich erhalten habe – von Menschen, die sich primär als Filmzuschauer verstehen, gar nicht so sehr als Leser von Romanen. Ich habe aber in meinem Buch lange Romanpassagen aus dem Gontscharow-Roman stehen, die Leser und Leserinnen begeistern. Eine weitere Figur, auf die ich viel angesprochen werde, ist Betty Draper aus „Mad Men“, der ich ein Kapitel widme.
Der Oblomow’sche Impuls zum Liegenbleiben scheint bei vielen in unseren dauererschöpften Zeiten auf Sympathien zu stoßen. So einige verspüren wohl den Wunsch, es ihm gleichzutun.
Es ist auch die Sprache des Romans, die auf Resonanz stößt und eine untergegangene Welt beschreibt. Ich habe die Theorie in dem Kapitel relativ kurzgehalten, das könnte auch ein Aspekt sein. Ich glaube aber, dass „Oblomow“ für viele eine Entdeckung ist, anders als etwa die Figur des Hans Castorp, mit dessen Zitaten aus „Der Zauberberg“ viele Leser vertraut sind.
Sprechen Sie Leser auch auf etwaige Versäumnisse an? Warum etwa diese oder jene Figur keine Erwähnung findet?
Meine Studierenden wiesen mich mehrfach auf „Shameless“ hin. Ich kenne die Serie zwar, habe aber dann entschieden, sie nicht reinzunehmen. Viele berichten mir aber auch – abseits der fiktionalen Charaktere – von ihren Formen der Zeitverschwendung. Auch in den Interviews, die ich seit der Veröffentlichung des Buches gebe.
Wie hat Ihr Verlag auf Ihr mehr als tausendseitige Vorhaben reagiert?
Mein Lektor Alexander Roesler hat erstmal Schnappatmung bekommen, als ich ihm das Manuskript zukommen ließ. Er meinte, sein Job sei es, das erstmal zu kürzen. Nach drei Tagen rief er mich an und meinte, das Kürzen täte dem Text nicht gut. In der ursprünglichen Form habe es einen besonderen Fluss und Tempo, das dürfe man nicht zerstören. Er sagte irgendwann: Wir machen das so, wie es ist. Für mich war das ein Glücksfall. Dem Fischer-Verlag gilt daher mein Dank und Lob.
Zeitverschwendung scheint mir als Begriff eine höchst subjektive Kategorie zu sein. Welche Instanz befindet denn über eine bestimmte Tätigkeit als Zeitverschwendung?
Zeitverschwendung ist ein gesellschaftliches Urteil, dem wir uns individuell anschließen oder nicht, das finde ich das Faszinierende. Auch dass sich die Auffassung davon, was gesellschaftlich als Zeitverschwendung begriffen wird, über die Zeit hinweg stark verändert. Dies ist der Grund, warum ich als Beispiel am Anfang des Buches „Marie Antoinette“, den Film von Sofia Coppola, gewählt habe. Im Zentrum der Anschauung steht hier das höfische Zeremoniell. Über ein Jahrhundert hinweg stand das nicht infrage und wurde als das Wichtigste schlechthin begriffen. Heute erscheinen uns dieses Zeremoniell und seine endlosen, ins Detail reichenden Rituale wie der Inbegriff von Zeitverschwendung, weil wir den Hofstaat als gesellschaftliches Konstrukt insgesamt nicht mehr verstehen. Wir sind bürgerlich sozialisiert, stellen Arbeit in den Mittelpunkt. Diesen Arbeitsbegriff und das mit ihm verbundene Arbeitsethos etwa stellt die junge Generation gerade radikal in Frage. Nicht mehr im Sinne einer Work-Life-Balance, sondern umgekehrt einer Life-Work-Balance. Bis zu einem Grad, der auch mich verwundert, wenn ich bei meinen Studenten den Wunsch nach einer 4-Tage-Woche vernehme – ihr wollt doch Künstler und Filmemacher werden, denke ich mir dann. Diese Positionen haben mich aber auch zum Nachdenken über unsere gegenwärtige gesellschaftliche Konstruktion gebracht und mich fragen lassen: Warum arbeite ich eigentlich jeden Tag?
Ihr Buch ist in diesem Sinne auch eine sehr persönliche Arbeit geworden, in der Sie sich mit einem Dilemma auseinandersetzen.
Man kann es sich selbst nur schwer recht machen. Wenn man – wie ich – gelernt hat, dass Arbeit das ganze Leben ist, dann zieht man das durch. Man kann aus dieser Perspektive jedoch gar nicht genug arbeiten und sich ausreichend mit den Dingen beschäftigen. Wir befinden uns gerade an einer Epochenschwelle, an der wir begreifen, dass wir es uns mit dieser Einstellung selbst nicht recht machen können. Auf der einen Seite haben wir immer zu wenig gearbeitet, auf der anderen immer zu viel. Dieses Dilemma meine ich. Ich glaube nicht, dass sich dies in den weitaus arbeitseuphorischeren 1980er-Jahren gestellt hätte. Ich halte das für etwas Neues – eine neue Zerrissenheit.
Das Gefühl und der mit ihm verbundene Eindruck, stets zu viel zu machen und gleichzeitig zu wenig, ist aus Ihrer Sicht eine Grundstimmung unserer Zeit?
Ich scheine da einen gewissen Nerv getroffen zu haben. Vor dem Schreiben des Buches hatte ich den Eindruck, mit dieser Wahrnehmung sei ich allein. Seit der Veröffentlichung erhalte ich darauf jedoch enormes Feedback. Manchmal formulieren es die Menschen anders oder finden andere Bilder für dieses Gefühl.
Das Kino steht in Ihrem Buch sehr im Fokus mit Filmen wie „Marie Antoinette“ oder auch dem „Big Lebowski“, Federico Fellinis „Müßiggänger“ und Frank Capras Figuren. Umfassend wenden Sie sich aber auch literarischen Figuren zu, auch der TV-Serie. Waren diese gattungsübergreifenden Streifzüge von vornherein vorgesehen oder haben sie sich beim Schreiben ergeben?
Die waren von vornherein vorgesehen. Auch in meinen Seminaren mische ich mit Vorliebe Literatur, Theorie und Film. Aus einer rein filmwissenschaftlichen Perspektive bekomme ich bestimmte Fragen nicht angepackt. Im Hinblick auf eine junge Generation, die viel mehr gesehen als gelesen hat, scheint mir dieser Ansatz sinnvoller. So entdecken die Studierenden auch mehr. Eines meiner aktuellen Examensthemen dreht sich beispielsweise um die Liebe. Da lesen wir „Romeo und Julia“ und gucken Antonionis „L’eclisse“. Dieser erweiterte Blick ermöglicht auch einen erweiterten theoretischen Zugang; gelesen wird zum Beispiel Niklas Luhmanns Buch über Liebe. Solche Kombinationen interessieren mich auch bei meinem eigenen Schreiben. Mein nächstes Buch wird sicherlich auch wieder einen solchen Zugang haben.
Jetzt sind wir von „Marie Antoinette“ und dem höfischen Zeremoniell recht schnell zur Betrachtung unseres gegenwärtigen gesellschaftlichen Zusammenhangs angekommen. Was ließe sich noch über den historischen Hergang der Zeitverschwendung und seiner Repräsentation – vor allem im Film – sagen?
Am ehesten versteht man die ständige Neubetrachtung, wenn man sich den Arbeitsbegriff anguckt und wie dieser bewertet wird. Etwa beim bereits erwähnten Oblomow, der Arbeit wie viele seiner Zeitgenossen als Zeitverschwendung betrachtet. Es tritt dann aber die Figur Stolz in sein Leben und mit ihm eine Welle des Zeitgeists, die Arbeit plötzlich als das Wichtigste begreift. Es kommen dann aber immer wieder Gegenbewegungen auf, in denen Menschen sagen, das sei alles Quatsch. In den USA und in Europa hat es bereits in den 1930er-Jahren eine solche Welle gegeben. Niederschlag findet die Einstellung, dass ein halber Tag Arbeit auch reicht, in verschiedenen Komödien und Schriften: Das sind vor allem Screwball-Comedys wie Frank Capras „Lebenskünstler“ (1938). Doch diese Gegenbewegung, in die sich auch das „Lob des Müßiggangs“ des Nobelpreisträgers Bertrand Russell einordnen lässt, ist verhallt. Es wurde weiter geschuftet …
In unserer Gegenwart spuken gerne Begriffe wie Achtsamkeit und mit ihr einhergehend, Vorstellungen einer bestimmten Lebenspraxis umher. Ein Kapitel in ihrem Buch widmet sich auch der Serie „Mad Men“, die von einer Zeitenwende Ende der 1960er-Jahre erzählt. Wir sehen am Schluss der Serie einen meditierenden Don Draper. Wie bewerten Sie diese Sequenz im Hinblick auf Ihr Thema?
Don Draper sitzt in dieser Szene nicht da und erkennt etwas über sich selbst, sondern ihm kommt dabei eine Idee für eine Coca-Cola-Kampagne. Das hat mit der erwähnten Achtsamkeit nicht viel zu tun. Es ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie der Kapitalismus die Hippie-Kultur schluckt. Der Kapitalismus übernimmt Formen, Ästhetik und Musik der Protestbewegung. Draper erkennt das und verkauft damit Coca-Cola. Ähnlich verhält es sich mit der Achtsamkeit. Mit ihr lassen sich wunderbar Sachen verkaufen. Und seien es Achtsamkeits-Tees mit besonderen Aromen.
Sehen Sie denn in einer bewussten Zeitverschwendung auch einen Akt der Rebellion gegen den jeweils herrschenden Zeitgeist?
Sie müssen sich nur Teenager betrachten. Es gibt zum Beispiel bei einigen Jugendlichen die Tendenz, die Körperhygiene zu verweigern. Dies in einer Zeit, die besessen ist von Hygiene und Pflege unseres Körpers. Das ist als rebellische Geste zu verstehen, auch gegen ihre vermeintlich alles verstehenden Eltern. Der Aspekt Zeitverschwendung kommt hinzu, wenn diese jungen Leute ihre Zeit nicht produktiv nutzen, etwa indem sie stundenlang irgendwelche Computerspiele spielen oder mit Freunden chatten und damit ihre Eltern in den Wahnsinn treiben.
Sie untersuchen in Ihrem Buch sämtliche Spielarten der vermeintlichen oder tatsächlichen Zeitverschwendung – vom Gammeln über den Konsum, das Liegen, Herumlungern, Warten und Driften, schließlich auch die Arbeit – was ist ihnen persönlich die liebste Art der Zeitverschwendung?
Das ist die, bei der ich die größte Schwierigkeit hatte, sie zu erlernen. Unsere Tochter hat mir dabei geholfen. Wenn Sie einem Kind dabei zusehen müssen, wie es langwierig seine Schuhe anzieht, ist das schon auch ein zeitlicher Einschnitt. Es war mir zuvor unvorstellbar, wie viel Zeit man auf das Anziehen von Schuhen verwenden kann. Ich musste lernen, nicht gleich zu sagen: Jetzt mach mal schneller! Sondern stattdessen einfach dabei zuzugucken und mich in radikaler Akzeptanz zu üben. Auf dem Spielplatz zu sitzen und sich dabei zu zwingen, nicht aufs Handy zu gucken, ist auch so eine Situation. Auch während der Covid-Zeit ließen sich in dieser Hinsicht spezielle Erfahrungen machen. Ich habe mir in diesem Frühling angewöhnt, mit unserer Tochter im Garten zu liegen und darauf zu warten, dass uns die Sonne auf die Nase scheint. Das konnten schon zähe Stunden sein. Ich erinnere mich aber noch an einen Satz, den meine Frau zu mir sagte: In ein paar Jahren wirst du an diese Zeit zurückdenken und dabei ein sentimental verklärtes Gesicht machen. Und tatsächlich ist mir die Erinnerung an die so verbrachten Tage etwas Wertvolles geworden.
Als Zeitverschwendung wird aus kritisch-intellektueller Sicht häufig auch Medienkonsum als solcher gewertet. Sie widmen sich in einem Kapitel des Buches dementsprechend der Anrüchigkeit des Medienkonsums. Insbesondere das Fernsehen wurde aus intellektueller Warte immer wieder gescholten, als „Nullmedium“ bezeichnet und verachtet. Wie werten Sie als Medienwissenschaftlerin derartige Befunde?
Diese Texte – wie etwa von Adorno – lesen wir an der Hochschule natürlich auch gemeinsam in Seminaren. Ich beobachte, dass auch Studierende, die später größtenteils von Fernsehgeldern leben, diese Verachtung für das Medium teilen. Meine Position ist aber: Wer verachtet, versteht nicht. Wer verachtet, öffnet seinen Blick nicht. Wenn es viele Menschen gibt, die eine bestimmte Sendung sehen, ist mein Zugang nicht der, dass ich sage, wie blöd die alle doch sind. Sondern ich versuche herauszufinden, was es ist, das sie daran interessiert. Das ist der Kern meiner Analyse.
Als Leser ihres Buches hatte ich mich über so manche Leerstelle gewundert, wobei das aber natürlich in der Natur der Sache liegt …
Nur her damit!
Ich hatte mich gefragt, warum Sie sich auffallend wenig mit Sitcoms beschäftigen, wobei gerade diese Produktionen Steilvorlagen in Sachen Zeitverschwenden liefern. Etwa wenn man an „Seinfeld“ denkt, einer laut den Produzenten, „Show about nothing“, mit Charakteren, die endlos ihre Zeit mit Nichtigkeiten vertun, in der Nachfolge auch sicherlich die erfolgreichen „Friends“ oder auch der in den 1990er-Jahren beliebte „Alf“, wo ein Außerirdischer sämtliche Formen der Zeitverschwendung auslebt, notgedrungen durch seine Bruchlandung auf unserem Planeten.
Mir hat bei den Sitcoms irgendwie der Hebel gefehlt, oder besser gesagt ein Überbegriff. Die Frage, unter was fasse ich das? Denn eigentlich sitzen die alle nur rum und quatschen die ganze Zeit. Auch etwa in „Big Bang Theory“. Über „Friends“ hätte ich schreiben können, da habe ich alle Folgen zwei Mal gesehen. Ich sehe aber nicht, mit welchem Oberbegriff ich die hätte abhandeln können. Es geht ausschließlich um das Quatschen unter Freunden, das ist deren Lebensmittelpunkt. Das erleben die als Glück und nicht als Zeitverschwendung.
Ich dachte in diesem Zusammenhang an eine positive Wendung der Zeitverschwendung.
Aber dann ist es ja keine mehr, dann ist es das Glück! Mit dem Charakter Joey wäre es vielleicht gegangen, der ist sozusagen der Oblomow aus „Friends“.
Oder mit George aus „Seinfeld“.
Das stimmt; in der Serie war die
Figur Elaine aber auch großartig darin, ihre Zeit mit Nichtigkeiten zu vertun.
Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich müsste aber zwei oder drei Mal um den Block
gehen, um zu sehen, wie ich das Thema gepackt kriege. Man hätte den
Umschlagpunkt – wann ist etwas Zeitverschwendung – anhand dieser Beispiele
diskutieren können. Zumal ich die genannten Serien gerne gucke, sie sind mir
aber schlicht nicht eingefallen.
Und Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ schien Ihnen neben anderen literarischen Beispielen zu naheliegend?
Über Proust habe ich zuvor schon mal etwas gemacht. Ich werde das Thema aber wieder aufgreifen. Mein nächstes Buch wird sich um Liebe drehen und das übernächste wahrscheinlich um Erinnerung, da wird Proust erneut ein Thema werden.
Sie stellen in Ihrem Buch auch einen Zusammenhang zwischen repressiven Formen des Patriachats und dem Urteil von Zeitverschwendung her. Welche geschlechtliche Perspektive wollen Sie in Ihrer Arbeit voranbringen?
Wenn man einen Blick ins Inhaltsverzeichnis wirft, könnte man zu dem Urteil gelangen, dass das aber peinlich sei. Denn in meinem dicken Buch tauchen nur zwei Beispiele für Frauen auf. Und das passiert genau mir, die als Professorin an der Hochschule jede weibliche Filmemacherin feiert. Dies hat jedoch einen Hintergrund. Die Auffälligkeit, dass es Literatur und Film so auffällig an weiblichen Zeitverschwendern mangelt, ist, dass die Zeit von Frauen gesellschaftlich sowieso nichts gilt. Der Vorwurf an Männer, ihre Zeit zu verschwenden, impliziert stets, dass Männerzeit als wertvoller betrachtet wird als die von Frauen. Daher sind es so viele Männer in meinem Buch.
Würden Sie abschließend Ihre Beschäftigung mit dem Thema Zeitverschwendung als beglückend betrachten?
Auf jeden Fall. Das Schreiben als solches hat mich sehr glücklich gemacht. Und auch die vielen Gespräche, die sich durch das Buch ergeben haben, habe ich als beglückend erfahren.