© Sixpackfilm („Canale Grande“)

Friederike Pezold: Abenteuer der Autarkie

Eine Wiederentdeckung der Videokünstlerin Friederike Pezold

Veröffentlicht am
16. Oktober 2024
Diskussion

Die österreichische Filmemacherin und Videokünstlerin Friederike Pezold, die auch unter dem Pseudonym pezoldo arbeitet, wurde ab den 1970er-Jahren mit ihren kompromisslosen Filmen bekannt. In den letzten Jahren kommt es zu einer neuen Würdigung ihrer Arbeiten. Nach wie vor beeindruckt, wie sie mit den Mitteln von Film und Video gegen fremdbestimmtes Schauen aufbegehrt.


Sollte man noch nie von der Filmemacherin und Videokünstlerin Friederike Pezold gehört haben, die auch unter dem genderneutralen Pseudonym pezoldo firmiert, liegt das womöglich daran, dass die Künstlerin das auch gar nicht wollte. Die 1945 in Wien geborene Österreicherin hatte in den 1970er- und 1980er-Jahren zahlreiche internationale Ausstellungen, von der Documenta und der Biennale in Venedig über das MoMA und die Tate Modern bis hin zum Centre Pompidou, zog sich mit der Zeit jedoch konsequent aus dem Kunstbetrieb zurück. Oder eher noch: sie verweigerte sich ihm hartnäckig. Mittlerweile scheut sie jede Öffentlichkeit.

Seit einiger Zeit gibt es jedoch dank der Bemühungen des Kurators Sebastian Höglinger, bis 2023 Co-Intendant der Diagonale – Festival des österreichischen Films, eine pezoldo-Renaissance. So waren am 26. und 27. September drei ihrer Langfilme im Österreichischen Filmmuseum in Wien zu sehen: „Toilette“ (1979), „Canale Grande“ (1983) und „Revolution der Augen“ (2022).

Bei dieser Gelegenheit konnte man sich überzeugen, wie kompromisslos diese große Zurückgezogene der Videokunst von jeher ein präzises Ziel verfolgt, das in der digitalen Medienwelt nichts von seiner Dringlichkeit verloren hat: mit den Mitteln von Film und Video gegen ein fremdbestimmtes, von äußeren Medien aufgezwungenes Schauen zu revoltieren, gegen die Bilder und Blicke, die Augen und Hirn „vermüllen“ – und gleichzeitig die Bedingungen für eine eigene, unabhängige Wahrnehmung zu schaffen. Diesem Vorhaben folgt die Künstlerin entlang einer permanenten Bastelei, die in den drei Filmen an drei verschiedenen Orten stattfindet: am Körper („Toilette“), im (Fernseh-)Studio („Canale Grande“) sowie im Bild selbst („Revolution der Augen“).


Neue, fremdartige Körper entstehen

Im auf Video und in Schwarz-weiß gedrehten „Toilette“ betrachtet sich pezoldo anfangs durch die Videokamera auf einem Monitor, bevor sie vor der Kamera ihren nackten Körper putzt, bekleidet und schminkt. Der Vorgang wird auf 80 Minuten gedehnt und der Körper durch Bildausschnitte in einzelne Teile segmentiert, die durch die Schlieren des Videobildes abstrakte Formen annehmen. Auf diese Weise entstehen zahlreiche neue, fremdartige Körper: Brustwarzen werden zu einem Gesicht, ebenso wie die grimassierende Scham oder das symmetrisch zerlegte Gesäß. So montiert pezoldo mit ihren eigenen Gliedmaßen einen neuen, vielgestaltigen (Video-)Körper, der sich von einem typisierten weiblichen Körperbild emanzipiert. Am Ende erhält er Augen – die Augen pezoldos –, wie die Bestätigung eines erst jetzt legitimierten „eigenen“ Blickes oder Bildes.

„Revolution der Augen“ (© Sixpackfilm)
„Revolution der Augen“ (© Sixpackfilm)

„Ein neuer Körper muss her“, heißt es auch in „Canale Grande“. Hier verwandelt die Künstlerin ihr Atelier in ein Fernsehstudio, um ab sofort ihr eigenes Fernsehen zu produzieren. Oder eher noch ein gegen die offiziellen Programme gerichtetes „Nahsehen“, das aus Standbildern, Minisketchen und persönlichen Geschichten entsteht, aus Amateuraufnahmen, die auch dem eigenen Familienarchiv entstammen. „Nahsehen“ verheißt Einklang und Nähe zu sich selbst und den anderen Produzent:innen, die der Künstlerin persönlich bekannt sind und die ihrerseits ihre eigenen Bilder und Töne produzieren – sowie eigene, nicht-binäre Geschlechtsidentitäten jenseits einer (erneut von außen vorgegebenen) heteronormativen Matrix. In den gebastelten Dekors des Studios bringt ein Mann ein Kind zur Welt, jede:r kann sich so männlich oder weiblich „realisieren“, wie er oder sie will. Dadurch und durch ihr genderfluides, seit 1991 verwendetes Pseudonym positioniert sich pezoldo auch als Vorreiterin eines queeren Feminismus, eines Verständnisses von Gender unabhängig der Geschlechtsorgane.

Wie in „Toilette“ bastelt sich pezoldo in „Canale Grande“ einen Video-Körper, diesmal angelehnt an den Fluxus und Nam June Paik. In einer Rüstung trägt sie die Kamera mit einer Antenne und einem Fernseher durch die Gegend, in einer grotesken Vorwegnahme heutiger Smartphones, die all diese Funktionen in sich vereinen. In „Revolution der Augen“ konfrontiert sie die eigene Kunst dann direkt mit der digitalen Welt, die unter einer „Overdose“ an Bildern leidet. Die Bastelei findet nun direkt auf der Leinwand statt. Der Bildrahmen der Einstellung wird zur Ausstellungsfläche, über die frühere Werke pezoldos defilieren, bestehend aus Grafiken, Zeichnungen und Videoinstallationen. Dabei spielen immer wieder Pfeile eine Rolle, die diese Revolution des Sehens anleiten, indem sie den Blick lenken, ihm ein neues Fenster öffnen. „Bild Pause“ steht da in einem ansonsten leeren Frame im Frame – eine Leerstelle, die ein neues Sehen ermöglichen soll, denn „Silence and Emptiness on the Screen are Dying“.


Vor der drohenden Entfremdung bewahren

In Zeiten der digitalen Bilderschwemme kann das Eigene nur noch durch Entleerung oder Privatisierung vor der drohenden Entfremdung bewahrt werden, was in Texteinblendungen am Anfang und Ende an die Zuschauer:innen ironisch weitervermittelt wird: Kein Fragment des Films darf ohne Einwilligung der Rechteinhaberin weitergegeben werden. Sollen die anderen doch ihre eigenen Bilder machen – oder vielmehr nicht machen, um im digitalen Magma des Audiovisuellen wieder sehen zu lernen. Wie, das lässt sich von pezoldo lernen. Jedes einzelne Bild in ihren drei Filmen ist ein „eigenes“ und „widerständiges“, das nur ihr gehört und genau so, wie es ist und uns gezeigt wird, von der Künstlerin gewollt wurde.

Auf diese Weise widersteht es der Sphäre des Sichtbaren und Visuellen, die von den technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und zuletzt von der Künstlichen Intelligenz mit ihren Möglichkeiten der Bildmanipulation massiv ausgeweitet und verwässert wurde. Wie sie in einer langen Texteinblendung in „Revolution der Augen“ versichert, richtet sich ihr Schaffen mittlerweile gegen diese „Technologie, die an die Stelle von Gott tritt“, und die doch in keiner noch so „intelligenten“ Form diese einzigartige Künstlerin je wird ersetzen können: „Gegen eine Welt, die nichts weiter ist als ein Taschenrechner. Mit revolutionären Grüßen, pezoldo.“

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