Die Auferstehung der Toten habe er sich anders vorgestellt, sagte in einer frühen „The Walking Dead“-Staffel einer der Charaktere über die Zombie-Apokalypse. Der unheimliche Untod, der Verstorbene ruhelos über die Erde streifen und nach dem Fleisch der Lebenden gieren lässt, war in der Serie, die auf den Comics von Robert Kirkman fußt, nie nur eine physische Bedrohung, sondern für einige Figuren auch eine spirituelle. Welche Werte haben Gültigkeit und an was kann man noch glauben, wenn etwas geschehen ist, das die Ordnung der Dinge so fundamental auf den Kopf stellt wie das Zombie-Virus?
Ein regelrechter Glaubenskrieg
Im dem Serienableger „The Walking Dead: Daryl Dixon“ rückten solche Fragen vom Rand der dystopischen Action ins Zentrum. Daryl, den es am Serienbeginn unfreiwillig nach Frankreich verschlagen hat, sieht sich dort in einen regelrechten Glaubenskrieg verwickelt. Die „Union de l’espoir“ aus Christen und Anhänger anderer Religionen interpretiert die Zombieseuche als göttliche Prüfung und hofft auf baldige Erlösung. In dem unter ungewöhnlichen Umständen geborenen Laurent (Louis Puech Scigliuzz) glauben sie, einen Messias gefunden zu haben, der die ins Dunkel gestürzte Menschheit zurück ins Licht führen soll. Der „Union“ steht eine andere große Bewegung gegenüber, die unter dem Motto „Pouvoir des Vivants“ („Macht der Lebenden“) eigene Heilspläne verfolgt: eine neue, faschistoide Ordnung für ein starkes Frankreich, durchgesetzt mit brutalen Methoden, zu denen unter anderem auch Experimente an Zombies gehören, mit denen die schlurfenden Leichen zu rasenden Waffen gemacht werden.
Titelheld Daryl ist zwar nicht gläubig, schlug sich in der ersten Staffel
aber trotzdem auf die Seite der „Union de l’espoir“ und avancierte zum
Beschützer des Jungen Laurent und seiner einzigen Verwandten Isabelle (Clémence Poésy). Ziel in Staffel
1 war es, die beiden unversehrt zum Hauptquartier der „Union“ nach
Mont-Saint-Michel zu bringen. In Staffel 2 trifft man die Figuren dort wieder. Fürs Erste in Sicherheit, bald aber bedroht von etwas, was zwar weniger bösartig ist als das
Machtstreben der „Pouvoir“-Gruppe, für Laurent aber ähnlich destruktiv werden
könnte. Denn einige der Gläubigen in Mont-Saint-Michel werden ungeduldig und
verlangen nach einem Beweis für Laurents Auserwähltheit. Den Test, den sie sich
für ihren Messias ausersehen haben, könnte für den Jungen tödlich enden.
Powerfrau-Verstärkung aus den USA
Da trifft es sich gut, dass schlagkräftige Verstärkung naht, wie der Untertitel von Staffel 2 („The Book of Carol“) in Aussicht stellt. Carol (Melissa McBride), seit den frühen „The Walking Dead“-Staffeln Daryls engste Vertraute, findet in der Auftaktfolge heraus, dass es ihren Freund nach Frankreich verschlagen hat, und geht daran, ihm dorthin zu folgen. Damit reaktivieren die „The Walking Dead“-Macher eine der faszinierendsten Frauenfiguren der ursprünglichen Serie: Einst in Staffel 1 als biedere Mittelstands-Mutti und geknechtete Ehefrau eines prügelnden Mannes in die Zombie-Apokalypse geworfen, entwickelte sich Carol nach dem Tod ihres Gatten und dem traumatischen Verlust ihrer Tochter zur Überlebenskünstlerin, die hinter ihrer harmlosen Erscheinung einen eisenharten Kern verbirgt. Eine Frau, die warmherzig und loyal, aber auch so radikal sein kann, dass sie im Lauf der Serie immer wieder nicht nur andere, sondern auch sich selbst immer wieder damit erschreckte, zu was sie in Extremsituationen fähig ist.
Carols Ringen mit ihrem düsteren Potenzial, andere zu verletzten und zu opfern, spielt auch in der neuen Serie eine Rolle. Sie findet tatsächlich einen Weg, um zu Daryl nach Frankreich zu kommen, muss sich dafür aber der Hilfe eines Unbeteiligten (Manish Dayal) versichern. Das tut sie auf eine höchst manipulative Art und Weise, die ihr selbst immer bitterer aufstößt, je mehr sie ihren Reisegefährten kennenlernt.
Obwohl die Serienautoren nun eine zweite Hauptfigur integrieren müssen, halten sie am Fokus um den Konflikt zwischen „Union“ und „Pouvoir“-Bewegung fest; recht zügig wird Carol ins Kräftemessen zwischen den Gruppen integriert, bei dem der Junge Laurent zu einer Art Unterpfand wird. Da in Teilen der „Union“ der Glaube in Fanatismus umschlägt, verschieben sich dabei allmählich die Fronten. Und für Daryl verschärft sich das Dilemma zwischen seiner Zuneigung zu den neuen Freunden und der Sehnsucht, in die Heimat zurückzukehren. Gebraucht werden seine Schutzengel-Qualitäten in Frankreich mehr denn je; mit Carol taucht aber auch eine konkrete Option auf, wieder in die USA zurückzugelangen.
Bis in die Katakomben von Paris
Dabei hält Staffel 2 das Niveau der ersten Staffel und sucht ihr Heil keineswegs nur in verschärfter Zombie- und Kampfaction, auch wenn nervenzerrend-splattrige Gefechte nicht fehlen. Die Inszenierung nimmt sich auch Zeit, die moralischen Konflikte zu entfalten, die Charaktere und ihre Hintergründe auszuleuchten und ihre Beziehungen zu vertiefen. Neben Daryl und Carol bleiben auch die Nebenfiguren spannend. Etwa der „Pouvoir“-Kämpfer Codron (Romain Levi), der in der ersten Staffel noch einer der gefährlichsten Antagonisten war, dann aber eine Art Damaskus-Erlebnis hatte und in Staffel 2 jetzt zum neuen Verbündeten wird. Oder auch die „Pouvoir“-Generalin Genet (Anne Charrier), deren tragische Vorgeschichte man erfährt.
Damit kommt auch einer der zentralen „Production Values“ ins Spiel, der „Daryl Dixon“ im Vergleich zu anderen „The Walking Dead“-Ablegern seinen besonderen Reiz verleiht. Die Macher haben noch immer sichtlich Spaß, den Horizont der Serie über die USA hinaus zu weiten und mit französischem Lokalkolorit und Sehenswürdigem zu wuchern. Genets Vorgeschichte bringt den Louvre ins Spiel, wo die grausame Miliz-Anführerin einst als Putzfrau für Ordnung sorgte. Der Mont Saint-Michel und die Küstenlandschaft um den Felsen herum spielen eine zentrale Rolle, und schließlich führen die Abenteuer Daryl & Co. bis in die legendären Katakomben von Paris hinunter. In Europa bleiben oder in die USA zurückkehren? Für Daryl mag das ein quälendes Dilemma sein, aber aus Zuschauersicht ist die Sache klar: Gerne noch länger in der alten Welt bleiben.