In der drastischen Satire „The Substance“ ist Margaret Qualley aktuell als künstlich erzeugte junge Version einer ausrangierten Schauspielerin zu sehen. Es ist eine Rolle wie gemacht für die 1994 geborene US-Amerikanerin, ihr dynamisches Spiel und ihre Vorliebe für Untiefen hinter Heiterkeit und strahlendem Äußeren. Ein darstellerischer Wagemut, der seit dem Durchbruch in „Once Upon a Time … in Hollywood“ durch die Zusammenarbeit mit Filmemachern wie Claire Denis, Ethan Coen und Yorgos Lanthimos belohnt wurde.
„Ich wollte die exakten Ausmaße der Hölle kennenlernen“, antwortet Trish auf die Frage, was sie mitten in den politischen Unruhen nach Nicaragua verschlagen habe. Die US-amerikanische Gelegenheitsjournalistin ohne Auftrag, Geld und Pass wirft anderen gerne solche Sätze vor die Füße. Sätze wie aus einem Hardboiled-Krimi, die sie überlegener und abgebrühter wirken lassen, als sie in Wirklichkeit ist. Dabei sind die von der Wahrheit gar nicht mal so weit entfernt. Für 50 „Dolares“, Shampoo, ein paar Stunden Klimaanlage und die Hoffnung auf einen Ausweg torkelt die Protagonistin von „Stars at Noon“ (2022) durch die dampfende Hitze Managuas, schläft mit Geschäftsleuten, Militärs und Regierungsvertretern. Nüchtern ist diese Vorhölle nur schwer auszuhalten; die Verzweiflung muss betäubt werden, doch die unzähligen Gläser Rum helfen nur bedingt.
In Margaret Qualley hatte die französische Filmemacherin Claire Denis ihre ideale Trish gefunden. Um eine Figur spielen zu können, die von „hier und dort und da drüben“ kommt und in ihrem früheren Leben „ein bisschen von diesem, ein bisschen von jenem“ gemacht hat. Die in ein lautes, anfallartiges Schluchzen ausbricht, um im nächsten Augenblick ihrem Gegenüber mit einem breiten Lächeln zu begegnen. Deren fester, entschlossener Gang übergangslos zum Herumschlappen, Losrennen oder auch übermütigem Hüpfen (durch Pfützen) wechseln kann und die sich zudem auch noch in eine Liebesgeschichte hineinstürzt, in der sie das Spiel, das sie zu spielen glaubt, nicht ganz beherrscht. Für diese Figur braucht es vor allem eins: Wendigkeit und Agilität.
Ein Kuckucksvogel
Der Filmemacher Spike Jonze nannte die Schauspielerin einmal treffend einen Kuckucksvogel: ein hübsches Mädchen, hinter dem sich in Wahrheit ein Weirdo verberge. Seine Interpretation dieser Metamorphose lässt sich in „Kenzo: Kenzo World“ (2016) betrachten. In dem Werbefilm für das gleichnamige Parfum stiehlt sich Margaret Qualley von einem formellen Dinner davon, um sich zu dem Dance-Track „Mutant Brain“ in den Hallen des menschenleeren Foyers in eine Besessene zu verwandeln. Sie verdreht die Augen, zwinkert, verzieht ihren Mund zu Grimassen und legt die Stirn in Falten, bevor sich ihr Körper bei einem zombieartigen Tanz aus deformierten Highkicks und Backflips entfesselt.
Vom Kontrollverlust ist es zur Transgression nicht weit. Dass Coralie Fargeat Margaret Qualley in dem Body-Horrorfilm „The Substance“ (2024) besetzte, wirkt naheliegend. Als jüngere, schönere, prallere Version einer ausrangierten Hollywood-Schauspielerin missachtet sie die Regeln eines prekären Vertrags und wird prompt dafür bestraft. Während ihrer sexy Aerobic-Show beult sich plötzlich ihre Hüfte nach außen; wenig später brechen ihr die Schneidezähne aus dem Kiefer. Doch das ist nur der Anfang.
Sarah Margaret Qualley, 1994 als Tochter der US-amerikanischen Schauspielerin Andie MacDowell und des ehemaligen Models Paul Qualley in Montana geboren, machte zunächst eine Lehre am American Ballet Theatre, bevor sie sich – über den Umweg der internationalen Laufstege der Fashion-Welt – der Schauspielerei zuwandte. Die Prägung als Tänzerin ist ihren Auftritten – und ihrem langgestreckten, hochelastischen, fast etwas flummihaft wirkenden Körper – fest eingeschrieben. Dynamik und choreografischer „Sinn“ sind die Substanz ihres Spiels. Alles scheint in permanenter Bewegung und Erregtheit, die schlaksigen Glieder, die Augen, der Mund, gelegentlich sogar der Tonfall ihrer Stimme.
Mit tiefem texanischen Akzent
Innere Ruhe, Entspanntheit und Phlegma sind Qualleys Figuren fremd. Sie wirken vielmehr angetrieben und hibbelig, so als könnten die Füße nicht stillstehen. In der Kritik zu „Stars at Noon“ sprach das Branchenblatt „Variety“ von einer „schrägen, wirbelnden Darbietung“, die BBC attestierte ihr eine „Feuerwerkskörper-Energie“. In zahlreichen Rollen hat sie leicht merkwürdige Ticks, auch tritt sie als Schnellsprecherin auf – in Ethan Coens „Drive-Away Dolls“ (2024) sogar mit tief gebrummtem texanischem Dialekt.
Die prototypische Qualley-Figur zeichnet sich durch Entschlossenheit,
Hingabe, Draufgängertum, manchmal auch Fanatismus aus – egal, ob sie sich auf die
Suche nach einem fehlenden Knopf begibt (in dem Chanel-Werbespot „The Button“), als allein auf der Erde verbliebene Wissenschaftlerin
an einem Verfahren zur Regeneration der Erdatmosphäre arbeitet (in dem postapokalyptischen
Science-Fiction-Film „IO“ (2019) von Jonathan Helpert) oder als
Domina einen psychosexuellen Zweikampf gegen einen Kunden in Gang setzt („Sanctuary“).
In „Novitiate“ von Maggie Betts (2017) verkörpert Qualley eine Novizin in einem katholischen
Frauenkloster der 1960er-Jahre, die ihre
Zweifel und Schuldgefühle mit Selbstkasteiung und manischem Fasten bestraft. Und
in der Mystery-Serie „The Leftovers“ (2014–2017) spielt sie eine rebellische
Siebzehnjährige in den Nachwirren einer rätselhaften Katastrophe. Auch in dem
queeren Coming-of-Age-Film „Adam“ (2019) von Rhys Ernst macht sie
keine halben Sachen. Qualley verkörpert Casey, eine wankelmütige New Yorker
Lesbe, die sich durch die LGBTIQ-Szene liebt und dabei jeweils die Vorlieben
und Überzeugungen ihrer aktuellen Affäre übernimmt.
Qualleys heiteres Wesen und ihre strahlende Schönheit sind eine Falle; hinter der Schauseite lauert etwas Düsteres, Gefährliches. Niemand erkannte diese Ambiguität besser als Quentin Tarantino, der sie in „Once Upon a Time in … Hollywood“ (2019) als Manson-Girl besetzte; eine Nebenrolle, die der Schauspielerin ihren Durchbruch verschaffte. Qualley spielt Pussycat, ein fiktives (an Kathryn Lutesinger angelehntes) Mitglied der „Family“. Die an einer Straßenkreuzung stehende langbeinige Anhalterin in Hot-Pants und Häkelbustier erregt unmittelbar die Aufmerksamkeit des Stuntdoubles Cliff Booth. Was folgt, ist ein ziemlich schräger Flirt durch die Windschutzscheibe, ein Austausch von zweideutigen Blicken und Zeichen.
Raum für Weirdo-Facetten
Die junge, quirlige Frau ist in Booths Augen „Hot Stuff“, ihr Angebot, ihm während der Fahrt zur Spahn Movie Ranch einen Blowjob zu geben, lehnt er dennoch freundlich ab. In den Reihen des Kults wird es schnell ungemütlich, als sich Spahn gegen den Willen der „Family“ Zutritt zu George Spahn, dem Besitzer der Ranch, verschafft. Das zuvor so sonnige Hippie-Girl zeigt ihr fanatisches Potential: „George ist nicht blind, du bist der Blinde!“, schreit sie ihm vom Dach eines Autowracks im wilden Zorn hinterher.
Die Figur einer alleinerziehenden Mutter in der Miniserie „Maid“, die einer missbräuchlichen Beziehung entflieht, ist auf den ersten Blick hingegen eher atypisch; Qualleys Ausstrahlung ist im Grunde viel zu nobel für das „White Trash“-Milieu. Doch im permanenten Stressraum aus Co-Abhängigkeit, ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, Armut, drohender Obdachlosigkeit und den bürokratischen Mühlen des Sozialsystems ist Qualley ganz in ihrem Element.
Raum für ihre Weirdo-Facetten hat sie dagegen in der zweifachen Zusammenarbeit mit Yorgos Lanthimos bei „Poor Things“ (2023) und „Kinds of Kindness“ (2024). Margaret Qualley bleibt weiter in Bewegung. Ethan Coen schickt sie bald auf einen Roadtrip. In Produktion sind außerdem die Filme „Blue Moon“ von Richard Linklater und der Rachethriller „Huntington“. Es ist damit zu rechnen, dass dabei wieder das eine oder andere Ei in fremde Nester hineingemogelt wird.