© imago/Allstar (Jacqueline Bisset in „Bullitt“)

Beflügelte Verführung - Jacqueline Bisset

Hommage an die britische Schauspielerin Jacqueline Bisset zum 80. Geburtstag

Veröffentlicht am
24. September 2024
Diskussion

Der Kritiker Michael Althen bezeichnete Jacqueline Bisset als „definitiv schönste Frau der Welt“. Viele ihrer Kinofilme setzten auf die Attraktivität und die verführerisch-verletzliche Aura der 1944 geborenen britischen Schauspielerin. Schon bald nach Beginn ihrer Karriere in den 1960er-Jahren brillierte sie aber auch in anspruchsvollen Rollen von „Die amerikanische Nacht“ bis „Reich und berühmt“. Eine Hommage zum 80. Geburtstag am 13. September.


Es ist jetzt über vierzig Jahre her, doch an meinen ersten Jacqueline-Bisset-Film erinnere ich mich noch genau, obwohl ich ihn seitdem nie wieder gesehen habe: „Class“ (1982), in Deutschland zeitweise noch mit dem vielversprechenden, aber holprig-konstruierten Untertitel „Vom Klassenzimmer zur Klassefrau“ versehen. Andrew McCarthy spielt darin einen High-School-Studenten, der sich unwissentlich in die aufregend schöne Mutter (Jacqueline Bisset) seines besten Freundes verliebt. Einmal treiben sie es sogar in einem gläsernen Aufzug. „Kannst du noch mal?“, fragt Bisset anschließend. Eine Wunschfantasie, der man sich, zumindest im Dunkel des Kinosaals (und ohne, dass es tatsächlich gefährlich würde), gerne überlässt. Seit „Class“ weiß ich durch die Recherche, dass Jacqueline Bisset am selben Tag Geburtstag hat wie ich (wie übrigens auch Claudette Colbert). Derselbe Geburtstag – eine besondere Verbindung, so bilde ich mir ein. Was natürlich Unsinn ist, zumal ja Bisset gar nichts von mir weiß.

Sehr gefallen hat mir auch jene Geschichte, die Michael Althen zugestoßen ist und die man in seinem Buch „Warte, bis es dunkel ist“ nachlesen kann. Er berichtet von der Aufregung, sie 1984 anlässlich des Films „Versteckt“ in Berlin interviewen zu dürfen: „Ich meisterte eine halbe Stunde lang Fragen und Antworten, während ich am Rande der Ohnmacht stand.“ Am Abend dann ein Empfang beim Berliner Bürgermeister, wo „die definitiv schönste Frau der Welt“ (Althen) unter großem Applaus den Festsaal betrat und als erstes schnurstracks auf den Filmkritiker zuging, mit ihrer Visitenkarte in der Hand. Er möge sich doch bitte melden, wenn er in Los Angeles sei. „Ich habe dann vorsichtshalber nie angerufen, um die Erinnerung nicht mutwillig auf die Probe zu stellen“, so Althen.


     Das könnte Sie auch interessieren:


Der Filmkritiker erliegt gar nicht erst der Versuchung, Bissets Schönheit beschreiben zu wollen: „Aus Gründen, die auf der Hand liegen, war Jacqueline Bisset der Traum meiner schlaflosen Jugendnächte.“ Für ihn ist klar, dass es daran keinen Zweifel geben kann; eine zweite Meinung hat er nicht vorgesehen. Er weiß, dass er mit seiner Schwärmerei nicht allein ist. Sich selbst auf den Buchseiten zu entdecken, macht „Warte, bis es dunkel ist“ zu einem ganz besonderen Buch über Cinephilie und die Gründe, die uns ins Kino treiben.

Eine Wunschfantasie: Jacqueline Bisset mit Andrew McCarthy in „Class“ (© IMAGO / Ronald Grant)
Eine Wunschfantasie: Jacqueline Bisset mit Andrew McCarthy in „Class“ (© imago/Ronald Grant)

Eine Sehnsucht wecken

Einer der Gründe ist natürlich das nasse T-Shirt, das Bisset in „Die Tiefe“ (1977) von Peter Yates trägt. Sie sei „ein tropfendes Poster“, schrieb David Thomson despektierlich. Sicher hat Jacqueline Bisset auch in Filmen mitgespielt, die von ihrer Schönheit profitieren wollten, die das männliche Publikum unumwunden anlocken und eine Sehnsucht wecken, die sich dann nicht erfüllen darf. Häufig ist es nur Bisset, deretwegen man sich an Filme wie „Die Tiefe“ erinnert.

Sie kann natürlich auch anders: umwerfend ihre Darstellung in John Hustons „Unter dem Vulkan“ (1984) als Frau eines Alkoholikers. Sich hier gegen den fulminanten Albert Finney zu behaupten, hätte nicht jede geschafft. Bei einem Film gelingt es mir nicht mehr (obwohl ich ihn mehrmals gesehen habe und die Erinnerung jederzeit auffrischen könnte), mir Jacqueline Bisset vorzustellen, in „Bullitt“ (1968) nämlich, wieder von Peter Yates. Hier geht es um anderes, um Steve McQueen und seinen Ford Mustang, um Männer und Motoren, um San Francisco und seine hügeligen Straßen, um die beste Autoverfolgungsjagd der Kinogeschichte und die Wahnsinnsmusik von Lalo Schifrin, die in dem Moment abrupt aufhört, in dem die Ampel auf grün schaltet: Die Reifen quietschen und die Hatz beginnt. Pures Männerkino, in dem die Frauen, und seien sie noch so schön, keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. „Ich war der ästhetische Teil im Leben von McQueen, aber ich glaube nicht, dass der Film das wirklich nötig hatte“, schätzte Bisset ihre Rolle illusionslos ein.

Unvergessen und wunderschön in ihrer Verletzlichkeit und Unsicherheit ist sie in François Truffauts „Die amerikanische Nacht“ aus dem Jahr 1973. Da gibt es eine Szene, wo ihr Truffaut, der Regisseur des Films im Film, Anweisungen gibt und ihr Gesicht mit der linken Hand zu modellieren scheint, so als wäre sie Wachs unter seinen Händen. Doch ihrer Schönheit kann er nichts anhaben.

Anspruchsvolle Kino-Selbstreflexion in „Die amerikanische Nacht“ (© IMAGO / Prod. DB)
Anspruchsvolle Kino-Selbstreflexion in „Die amerikanische Nacht“ (© imago/Prod. DB)

Die Geburt einer Ikone

Bisset wurde am 13. September 1944 in Weybridge im englischen Surrey als Winifred Jacqueline Fraser Bisset geboren. Ihr Vater ist George Maxwell Fraser Bisset (1911-1982), ihre Mutter ist die Französin Arlette Alexander (1914-1999), darum spricht sie fließend Französisch. Schon als Kind nahm sie Ballettstunden, später auch Schauspielunterricht. Um dies finanzieren zu können, arbeitete sie seit dem 18. Lebensjahr als Fotomodell. 1965 hatte Bisset so etwas wie ein Kinodebüt, in Richard Lesters „Der gewisse Kniff“, allerdings ohne Credit. 1966, mit gerade mal 22 Jahre, bot ihr Roman Polanski eine kleine Rolle in „Wenn Katelbach kommt“ an – die Geburt einer Ikone, die mit ihrer Schönheit und Anmut, mit ihren eisblauen Augen und der angeborenen Grazie die Kinogänger gefangen nimmt, und das, obwohl sie hier zumeist eine dunkle Sonnenbrille trägt, die ihre Identität verbirgt.

Wieder ein Jahr später, 1967, erregte sie zum ersten Mal größere Aufmerksamkeit an der Seite von Albert Finney und Audrey Hepburn in Stanley Donens „Zwei auf gleichem Weg“ – als Frau, für die sich für Albert Finneys Charakter interessiert, obwohl der eigentlich seine Ehe retten müsste. Eine größere Rolle übernahm sie in „Casino Royale“ (1967) als Miss Goodthighs, und im selben Jahr folgte auch ihre erste Hauptrolle in „The Cape Town Affair“ von Robert D. Webb, der in Deutschland allerdings nicht in die Kinos kam. Der Film ist ein Remake von Samuel Fullers „Polizei greift ein“ (1952), besser bekannt unter seinem Originaltitel „Pickup on South Street“.

Gleich zu Beginn des Films ist zu sehen, wie Jacqueline Bisset in einem vollbesetzten Doppeldecker-Bus durch das sonnendurchflutete Kapstadt fährt. Mit ihren über die Schulter fallenden Haaren, die durch ein breites Band gezähmt sind, und den großen Ohrringen sieht sie hinreißend aus. Doch dann stiehlt ihr ein Taschendieb (James Brolin) die Börse, in der nicht nur Geld, sondern auch ein hochgeheimer Mikrofilm ist. Im Folgenden geht es um einen kommunistischen Spionagering in Kapstadt. Bisset macht sich ebenso wie die Polizei daran, den Taschendieb zu finden, um sich von Vorwürfen reinzuwaschen.

„Eine magische Geschichte, die Erlösung eines American Pickpocket durch die Liebe einer Frau“, schrieb Fritz Göttler über Fullers Original, und das gilt abgeschwächt auch hier. Jacqueline Bisset ist in ihrer Rolle ebenso naiv wie beflissen, mal reagiert sie verzweifelt, dann wieder cool. Als sie von den Kommunisten verprügelt wird, liegt sie mit bandagiertem Kopf und einer von Pflastern verunstalteten Nase im Krankenhaus. Doch ihrer Schönheit kann das nichts anhaben. Einmal greift ihr James Brolin mit der flachen Hand ins Gesicht und massiert es – so wie später François Truffaut in „Die amerikanische Nacht“.

Als Ehefrau eines Alkoholikers (Albert Finney, l.) glänzt sie in „Unter dem Vulkan“ (© IMAGO / Allstar)
Als Ehefrau eines Alkoholikers (Albert Finney, l.) glänzt sie in „Unter dem Vulkan“ (© imago/Allstar)


Aufsehenerregende Schönheit, gelassene Coolness

Einer größeren Öffentlichkeit wurde auf Bisset aufmerksam, als sie 1968 Mia Farrow in „Der Detektiv“ an der Seite von Frank Sinatra ersetzte. Sie spielte eine reiche Frau, deren Ehemann Suizid beging – was die Titelfigur auf eine weitere Spur in einem Mordfall führt. Von nun an war die internationale Karriere nicht mehr aufzuhalten; man sah Jacqueline Bisset in US-amerikanischen, britischen und französischen Filmen. Ihre Rollen wurden immer anspruchsvoller und vielseitiger. Sie spielte eine Stewardess in George Seatons „Airport“ (1970), war in John Hustons „Das war Roy Bean“ (1972) die Tochter des Titelhelden und in „Mord im Orient-Express“ (1974) die Gräfin Andrenyi – bis sie aufgrund ihrer aufsehenerregenden Schönheit und gelassenen Coolness für immer wichtigere Filmen besetzt wurde, etwa in „Die amerikanische Nacht“, in dem sie als Hollywood-Star nach einem Nervenzusammenbruch wieder Fuß im Filmgeschäft fassen will. „Jeder hat davor Angst, beurteilt zu werden; doch in eurem Metier gehört es zum Leben, beurteilt zu werden, bei eurer Arbeit und außerhalb der Arbeit“, sagt Bissets Film-Ehemann, ein Arzt von Beruf, der die Motivation der Selbstdarstellung von Filmschauspielern thematisiert und damit gleichzeitig Bissets Dilemma umreißt.

Zwischendurch gab es immer wieder kleine Abstecher ins kommerzielle Kino, etwa mit „Die Tiefe“ oder als Frau von Onassis in „Der große Grieche“ (1978). „Dabei steht sie im Zentrum immer für eine Idee von Weiblichkeit, die die Verführung nicht ausschließt, sondern beflügelt“, bemerkte Carlo Chatrian in einem Katalogtext.

1981 drehte Jacqueline Bisset „Reich und berühmt“, den letzten Film von George Cukor und darum so etwas wie sein künstlerisches Vermächtnis. Interessanterweise hat Bisset den Film mit ihrer Firma Jacquet Productions, die sie 1980 gründete, auch co-produziert; ein Beweis dafür, dass auch Schauspielerinnen immer öfters die Kontrolle über ihre Filme behalten wollten. An der Seite von Candice Bergen spielt sie in dem Film, der auf dem Theaterstück „Old Acquaintance“ von John Van Druten und der gleichnamigen Filmversion mit Bette Davis und Miriam Hopkins beruht, eine von zwei Freundinnen. Ihre Beziehung ist über 22 Jahre hinweg, von 1959 bis 1981, von Neid und Eifersucht, aber auch von Zuneigung und Verständnis geprägt. Am Schluss bestätigen sie sich die Stärke ihrer Freundschaft.

Bergen und Bisset tragen ihre Streitereien lautstark aus. Manchmal wirkt das in den Dialogen überpointiert, manchmal geht im schnellen Schnitt die Bedeutung der Auseinandersetzung verloren, und auch Bissets Liebesabenteuer mit einem Sitznachbarn im Flugzeug, einer 18-jährigen Straßenbekanntschaft und einem „Rolling Stone“-Reporter, der sie interviewen will, sind nicht immer von Geschmack geprägt.

Zickig und freundschaftlich mit Candice Bergen in „Reich und berühmt“ (© MGM/United Artists)
Zickig und freundschaftlich mit Candice Bergen in „Reich und berühmt“ (© MGM/United Artists)

„Reich und berühmt“ ist sicher nicht Cukors bester und schon gar nicht sein elegantester Film. Das hat damit zu tun, dass er die Regie kurzfristig von Robert Mulligan übernahm und nur wenig Zeit zur Vorbereitung hatte. Trotzdem lobte „Newsweek“: „Es ist, von einem Moment zum nächsten, banal und berührend, literarisch und lächerlich, boshaft komisch und ebenso voll von scharfen, anspruchsvollen Einsichten wie von ungeheuerlichen blinden Flecken.“ „Variety“ war vor allem von Jacqueline Bisset angetan und lobte ihre „mutige, faszinierende und größtenteils herrliche Darbietung“. Es ist ihre wohl komplexeste Rolle.



Eine Klasse für sich

Seitdem war Bisset nur noch sporadisch im Kino zu sehen, etwa als verwitweter Sitcom-Star in der Komödie „Scenes from the Class Struggle in Beverly Hills“ (1989) oder als quirlige Geschäftsfrau in „Wilde Orchidee (1990). „Bisset, immer eine Klasse für sich, schäumt hier über von karikierter Lebenslust“, urteilte „Variety“. 2005 agierte sie noch als Topmodel Sophie Wynn in „Domino“ von Tony Scott. Sie spielt die Mutter der Titelheldin, die als Kopfgeldjägerin arbeitet; Laurence Harvey ist Dominos Vater. Eine wahre Geschichte also, doch vom Regisseur Tony Scott auf seine Weise verfremdet.

Interessanter ist Abel Ferraras „Welcome to New York“ (2015), in dem sie Anne Sinclair, die Frau des von Gérard Depardieu verkörperten französischen Politikers Dominique Strauss-Kahn, spielt (versteckt unter dem Alias „M. Devereaux“). Es geht es um die Sexskandale, aber auch um die Charakterstudie eines mächtigen Politikers, der wieder auf Normalgröße zurechtgestutzt wird. Einen großen Anteil daran hat Jacqueline Bisset, die – trotz ihrer 70 Jahre mit einem frechen Kurzhaarschnitt immer noch schön – wegen der Skandale und ihrer Folgen zutiefst verstört und verärgert ist: „Mein Leben wird auf den Kopf gestellt“, schreit sie einmal vorwurfsvoll. „Gott weiß, ich habe jahrelang versucht, aus dir einen Mann zu machen“, beschreibt sie ihre vergeblichen Bemühungen, den Gatten zu zähmen, und bleibt mit diesem Bedauern allein zurück.

Mit Kurzauftritten wie in „Domino“ bleibt Jacqueline Bisset im Geschäft (© IMAGO / Everett Collection)
Mit Kurzauftritten wie in „Domino“ bleibt Jacqueline Bisset im Geschäft (© imago/Everett Collection)

„Das waren schon lustige Dreharbeiten, Gérard Depardieu mit seinem französischen Englisch und ich mit meinem englischen Französisch. Wir haben mit viel Vertrauen, sogar Liebe zusammengearbeitet. Es war fast so etwas wie Komplizenschaft. Wenn man jemanden liebt und der sich schlecht benimmt, ist man zunächst einmal erstaunt. Doch dann rauft man sich wieder zusammen. Das ist sehr kompliziert, aber auch sehr interessant“, gestand Jacqueline Bisset im persönlichen Gespräch.

Einmal habe ich Jacqueline Bisset kennenlernen dürfen, das war 2013 beim Filmfestival von Locarno, als ihr der „Life Achievement Award Parmigiani“ verliehen wurde. Im Interview war sie freundlich und charmant, natürlich und sehr lebhaft, besonders bei Themen oder Filmen, über die sie gerne sprach. Wenn sie dem Fragesteller antwortete und ihn dabei anschaute, fühlte man sich besonders. Es ist eine dieser Begegnungen, die man nicht vergisst. Am Freitag, den 13. September 2024, wird Jacqueline Bisset 80 Jahre alt.

Kommentar verfassen

Kommentieren