© Constantin Film/Jürgen Olczyk (John Magaro in "September 5")

Venedig 2024: Terror live

Beim Filmfestival in Venedig wurde der Thriller „September 5“ von Tim Fehlbaum uraufgeführt, der das Münchner Olympia-Attentat von 1972 aus Sicht von live berichtenden US-Journalisten beleuchtet

Veröffentlicht am
10. September 2024
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Das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972 war der erste Terrorakt, der live im Fernsehen übertragen wurde. Palästinensische Terroristen nahmen damals Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln und töteten elf von ihnen. In dem Thriller „September 5“, der bei Filmfestival Venedig uraufgeführt wurde, beleuchtet Tim Fehlbaum den Anschlag ganz aus der Sicht der verantwortlichen Journalisten des US-Senders ABC.


Wie ein Rockstar, sagt einer der US-Journalisten des Senders ABC über einen palästinensischen Terroristen, als der im olympischen Dorf gerade einen Bus besteigt, den die Attentäter des „Schwarzer September“ den deutschen Behörden abgepresst haben, um zusammen mit ihren israelischen Geiseln zum Flughafen Fürstenfeldbruck transportiert zu werden. Wie sonst nur auf echte Stars sind jetzt unzählige Kameras auf die Terroristen gerichtet. Im Abspann des Thrillers „September 5“ von Tim Fehlbaum, der um das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972 kreist, heißt es, dass 900 Millionen Zuschauer weltweit der Live-Berichterstattung des US-Senders ABC Sports über die Geiselnahme folgten.

Szene aus "September 5" von Tim Fehlbaum (Constantin)
Szene aus "September 5" von Tim Fehlbaum (© Constantin)

Es war das erste Mal in der Fernsehgeschichte, dass ein Terrorakt live in die heimischen Wohnzimmer übertragen wurde. Ein zwiespältiger Markstein der Mediengeschichte, der ethische Fragen aufwarf, die bis heute virulent sind. Terror zielt seitdem nie nur auf die unmittelbaren Opfer, sondern adressiert über die audiovisuellen Medien eine breite Öffentlichkeit. Die Sender dienen sozusagen als Verstärker. Über der Arbeit der Journalisten und ihrer Pflicht zur Information hängt damit stets das Damoklesschwert der unfreiwilligen Komplizenschaft.


Ein Kammerspiel in Hochdruck-Manier

Fehlbaum konzentriert sich ganz darauf, wie die ABC-Journalisten in München die Herausforderung der Live-Berichterstattung schultern. Während der fiebrigen, im höchsten Grad angespannten Stunden bis zum tragischen Ende des Attentats werden sie allmählich mit den ethischen Dilemmata konfrontiert, die sich aus ihrer Arbeit ergeben. Der Film entfaltet sich konsequent als Hochdruck-Kammerspiel. Die Handlung findet ausschließlich in und um die Studios herum statt, die die ABC-Crew beim olympischen Dorf eingerichtet haben. Die Geiselnahme, die Verhandlungen, den Abtransport zum Flughafen und die Schießerei im Zuge des misslungenen Befreiungsversuchs durch die Polizei sieht man nur gefiltert durch die ABC-Berichterstattung.

Im Zentrum stehen der verantwortliche Produzent Geoffrey Mason (John Magaro), dessen Vorgesetzter, der erfahrene Roone Arledge (Peter Saarsgard), die Dolmetscherin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch) sowie einige andere Journalist:innen und Techniker.

Das Drehbuch wird um das von ABC zur Verfügung gestellte Archivmaterial des Reporters Jim McKay herum strukturiert. Auch bei den nachinszenierten Szenen in den Studios geht Fehlbaum mit medienhistorischem Ehrgeiz zu Werk. Allein schon wegen der akribischen Rekonstruktion dessen, wie damals Fernsehen gemacht wurde, ist „September 5“ sehenswert, ohne dass über diesem genauen Blick auf das Handwerkliche die Dichte des Thrillers ausfransen würde.

John Magara (M.) in "September 5" (Constantin)
John Magara (M.) in "September 5" (© Constantin)

Das Szenario einer Gruppe von Journalisten, die mit einer völlig unerwarteten Situation fertig werden müssen und dabei enorm viel Energien und teilweise auch eine unorthodoxe Kreativität entwickelt, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter als Athlet verkleidet wird, um Kameraequipment ins abgeriegelte olympische Dorf zu schmuggeln, könnte leicht in eine journalistische Heldengeschichte abgleiten; Fehlbaum aber wahrt die Distanz, indem er den Blick immer wieder auch auf die Tücken des Jobs lenkt, die sich trotz aller Professionalität auftun.


Die Tücken des Jobs

So wird es für Geoffrey Mason zum schrecklichen Aha-Erlebnis, als ihm klar wird, dass auch die Attentäter zu den Fernsehzuschauern gehören und er und sein Team sie durch ihre Berichte vorgewarnt haben könnten, dass die Sicherheitskräfte einen Befreiungsversuch vorbereiten. Als sich dann abzeichnet, dass die ABC-Kameras zur Live-Bühne für die Hinrichtung einer Geisel werden könnten, muss binnen kürzester Zeit entschieden werden, ob man weiter sendet oder aus Pietät gegenüber dem möglichen Opfer abbricht.

Und als dann vorschnell die „Entwarnung“ laut wird, dass die versuchte Geiselbefreiung beim Flugplatz in Fürstenfeldbruck erfolgreich gewesen sei, muss unter Hochdruck abgewogen werden, ob das als „Scoop“ brandaktuell weitergegeben wird oder erst der journalistischen Sorgfaltspflicht Genüge getan und eine offizielle Bestätigung abgewartet werden soll.

Der Druck der Entscheidung: "September 5" (Constantin)
Der Druck der Entscheidung: "September 5" (© Constantin)

Den damit verbundenen Stress, unter dem die Journalisten standen, macht der Film mehr als deutlich. Für die politischen Konsequenzen oder eine breiter aufgestellte Perspektive auf das Attentat bleibt hingegen weniger Raum. Zu den schmerzhaftesten Momenten von „September 5“ gehört der Blick der von Leonie Benesch gespielten Dolmetscherin, der nach dem tragischen Ende der Ereignisse lange auf den Bildern der ermordeten israelischen Athleten und Trainer ruht, die als Schwarz-Weiß-Kopien an einer Studiowand kleben. Die Attentäter bleiben bis auf knappe Blicke auf einen maskierten Kopf am Fenster nahezu unsichtbar. Die „Rockstar“-Situation wird in „September 5“ bewusst nicht nachinszeniert.

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