Im Jahr 2024 ein vierteiliges Kino-Großprojekt ausgerechnet im Western-Genre zu verwirklichen, scheint an allen aktuellen Entwicklungen vorbeizugehen, liegt aber ganz auf der Linie des Urhebers dieses Epos: Als Schauspieler und Regisseur führt Kevin Costner mit „Horizon“ nur fort, was er seit seinen Anfängen im Filmgeschäft aufgebaut hat. Mit Charme, konservativen, aber nicht reaktionären Werten und einem gehörigen Schuss Naivität und Idealismus hat Costner seine Version des US-Gründungsmythos geschaffen. Eine Würdigung des Phänomens Kevin Costner.
Mit einem Pfahl in der Erde beginnt die West-Expansion. Nahe bei einem Fluss wird er in den Boden getrieben. Zusammen mit dem um ihn gespannten Faden steckt er den Grundriss einer Hütte ab, die hier neben zwei anderen gebaut werden soll. Bevor sie errichtet ist und die geplante Siedlung um sie herum entstehen kann, werden alle Siedler sterben. Als die nächsten vorbeiziehen, sind nur noch die Gräber der Pioniere zu sehen. Kevin Costners „Horizon“, genauer: der erste Teil der von ihm produzierten und inszenierten, insgesamt vierteiligen Kinoreihe, ist ein Panorama des Wildes Westens. Die kleinen Markierungen aus Holz und Faden stecken ebenso wie die Grabsteine die letzten Jahre der „Frontier“ und damit den Teil des amerikanischen Mythos ab, der so eng verbunden ist mit dem Regisseur, dem Schauspieler, der Figur und der Persona Kevin Costner.
In den frühen 1990er-Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, hält eine dieser Costner-Figuren, der Kriminelle Butch Haynes, in „Perfect World“ (1993) die Postkarte einer anderen, der „letzten“ Frontier in der Hand. Auf ihr ist der Rest einer Traumvorstellung des wilden und freien Lands abgebildet: Alaska. Es ist das Ziel der Reise, auf der sich Butch und der von ihm entführte Junge befinden. Butch weiß, dass er nie an dieser letzten Frontier ankommen, nie den zu ihr gehörigen Mythos berühren wird. Für den von Costner gespielten Protagonisten bleibt die Freiheit ein Postkartenmotiv. Für den Jungen aber, der seine Geisel ist und sukzessive eine Art Patenkind wird, ist diese Welt noch nicht verstellt. Die Momente, in denen Butch zum Ersatzvater dieses Jungen wird, ihn Teil einer Welt werden lässt, von der kein Kind jemals Teil sein sollte, ihm aber zugleich auch das Abenteuer und die Zukunft schenkt, die ihm selbst immer verwehrt waren, sind magisch. Das Ende der Reise ist die harsche Realität, die dem ein Ende setzt. Eine Clint-Eastwood-Version des rührseligen Endes, das Phil Alden Robinson mit Kevin Costner in „Feld der Träume“ (1989) inszenierte, dem wohl bekanntesten „Tearjerker“ der Filmgeschichte.
Dem Zeitgeist aus dem Weg gehen
„Perfect World“ ist das erste und einzige Aufeinandertreffen der Hollywood-Ikonen Costner und Eastwood, die beide nach den „Oscar“-Erfolgen von „Der mit dem Wolf tanzt“ (1990) und „Erbarmungslos“ (1992) auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen schienen. Interessant ist die Paarung nicht wegen der angeblichen Ähnlichkeiten der beiden, sondern wegen der Unterschiede zwischen ihnen. Wo man Clint Eastwood attestiert, „nie jung gewesen zu sein“ (Matthias Wittmann), sieht man Costner im Alter dabei zu, wie er immer mehr zu der Figur wird, die er so oft auf der Leinwand verkörpert hat. Costners Karriere zu folgen, heißt entsprechend auch, zu beobachten, wie die Zeit ihn langsam überholt. Im 2019 auf Netflix erschienenen Film „The Highwaymen“ gibt es eine Sequenz, die fast emblematisch scheint für Costners Karriere. Als verrenteter Texas Ranger Frank Harmer rollt er in einem alten Ford über den Highway. Nur sporadisch blickt er aus der Frontscheibe, bleibt so vertieft in die Karte des Bundesstaats und die Ermittlungsakten, dass er das mit feiernden jungen Menschen vollbesetzte Kabrio erst bemerkt, als es ihn hupend, mit voller Geschwindigkeit überholt. Die Zeit rauscht vorbei, die mythische Figur Costner hält Kurs.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Unterwegs im „Taylorverse“. Eine Annäherung an Taylor Sheridan
- Grenzen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das Kino von Kelly Reichardt
- Western für die Gegenwart. Das Genre erlebt eine Art Renaissance
Wo Clint Eastwood mit einer im Alter nur noch zunehmenden Neugier die Konfrontation mit dem Zeitgeist sucht, halten fast ausnahmslos alle von Costner mitverantworteten Produktionen an einem Amerika fest, das dem Zeitgeist schlicht aus dem Weg geht. Die späten Costner-Figuren kommen exakt da an, wo man Costner als Schauspieler schon immer verortet hat.
Keine Überraschung also, dass Costner Lieblingsgenre eben jenes ist, das seit seinen Anfängen von Männern erzählt, die die Welt längst abgehängt hat; Männer, die sich ein letztes Mal aufraffen, um für Prinzipien einzustehen, die längst keine Geltung mehr haben. Costner wird mit dem Spätwestern zum Star, in einer Phase, in der das Genre nicht nur von antiquierten Männerfiguren erzählt, sondern immer auch von der eigenen Antiquiertheit. Costners Anfänge im Genre wirken, aus einer Zeit betrachtet, in der er als einer der letzten Stars gilt, der regelmäßig als stoischer Western-Archetyp auftritt, durchaus erstaunlich. In Lawrence Kasdans „Silverado“ (1985) platzt der damals 30-jährige Costner als jüngerer Bruder des archetypischen Revolverhelden Emmett (Scott Glenn) mit jovial-naivem Enthusiasmus in das ansonsten mit stillen und rauen Haudegen gespickte 1980er-Western-Pastiche-Abenteuer hinein. „Silverado“ leitete, zusammen mit Eastwoods „Pale Rider“ (1985) ein Western-Revival ein, das erneut mit Costner und Eastwood, mit „Der mit dem Wolf tanzt“ und „Erbarmungslos“, seinen Höhepunkt fand.
Die Wildnis entdecken
Für Pauline Kael war Costner der „Boyish Man of the Hour“. Eine abfällige Spitze in Richtung seiner ihrer Ansicht nach allzu „naiven“ Idee einer Annäherung an den Wilden Westen, die aber ziemlich exakt das beschreibt, was Costner den Weg an die Spitze Hollywoods ebnete. Der junge Costner ist eben das Kind, das die weite Wildnis entdeckt und ihr in „Der mit dem Wolf tanzt“ übermütig den nackten Hintern entgegenstreckt. In Kevin Reynolds’ „Fandango“ (1985), dem zweiten Durchbruchsfilm Costners, ist besagte Wildnis die Wüste zwischen Texas und Mexiko, die nicht als Naturrefugium dient, sondern der Ort ist, den die von Costners Gardner Barnes angeführte Studenten-Gruppe aufsucht, um der Geschichte zu entfliehen, die für das Studenten-Quintett bald die Geschichte des Vietnamkriegs werden wird. Costner treibt die Gruppe, treibt den Film mit eben dieser Energie voran, die einen Ort der Unbeschwertheit sucht, der nicht mehr zu finden ist, weil er allein in der Vergangenheit, nicht aber in der Zukunft existiert, der Zukunft, die nur den Vietnamkrieg vor sich sieht.
Costner selbst aber wird Star und versichert als solcher mit maskuliner Grundsatztreue, einem wohlgefälligen Sex-Appeal und einem zunehmend ins Stoische kippenden Charisma, dass amerikanische Helden immer ihren Weg gehen werden. Pauline Kael nannte Costner einen „Orson Welles with no Belly“, einen so reizlosen wie überambitionierten Hollywood-Aufsteiger. Kaels Gift galt „Der mit dem Wolf tanzt“, einem Film, der bis heute mancherorts als ein grandios überschätzter „Oscar“-Abräumer gilt, zugleich aber seinen Status als historisches Projekt, als Film, der eine Fahne gesetzt hat, nie verloren hat. Costner mag beileibe nicht den ersten Hollywood-Film gedreht haben, der aus Perspektive der indigenen Völker Amerikas, in diesem Fall aus Perspektive der Lakota Sioux, erzählen möchte, nicht den ersten Western, der sich über deren Sprache an Authentizität versucht. Dennoch: Als Blockbuster-Projekt seiner Größe ist „Der mit dem Wolf tanzt“ trotz der langen Liste historischer, narrativer und ethischer Missverständnisse, die er mit sich herumträgt, ein Meilenstein.
Für
Costner ist sein Regiedebüt nicht nur des Erfolgs wegen der Knotenpunkt seiner
Karriere, sondern auch, weil es beide großen Phasen seines Schaffens in sich trägt: den stoischen Westernhelden und den jugendlichen
Überschwang, der auch Jahrzehnte später noch sichtbar ist und immer mit einem Lachen aus der
archetypischen Fassade hervorzubrechen vermag. Vielleicht am deutlichsten aber
zeigt sich Costner als Filmemacher, der mit naivem und zunehmend antiquiert
wirkendem Klassizismus die Freiheit jenseits des Zeitgeistes sucht. „Der mit dem Wolf tanzt“ ist
Costners „Middle of the Road-Epos“ (wieder: Kael), das sich eben nicht durch Komplexität, Ambiguität oder den Willen, an Grenzen zu gehen, auszeichnet.
Costner sucht Klarheit, inszeniert direkt statt elegant, naiv statt komplex,
aber immer mit einer absoluten Hingabe zum oft parabelhaften Kern seiner Filme.
Costners gesamtes Werk baut auf einen betont bescheidenen, aber durch und durch
maskulinen Humanismus auf, mit dem der Filmemacher mehr und mehr aus der Zeit fällt.
Er macht einfach nur seinen Job
„Der mit dem Wolf tanzt“ ist als verspäteter und zugleich auf seine eigene Weise progressiver (aber alles andere als revisionistischer) Western, der Film, der „Postman“ (1997) möglich macht; den Film, der Costners einzigartige Antiquiertheit erstmals deutlich sichtbar machte. „Postman“ ist der ultimative „Middle of the Road“-Blockbuster. Ein Film, der Science-Fiction als Label trägt, aber eben doch nicht anders kann, als ein Western zu werden, ein gescholtenes Unikat, ein pathetischer wie patriotischer Film über die Vereinigten Staaten, die sich nach der Apokalypse aus der Asche erheben, aber eben nicht mit dem Bombast eines Roland Emmerich, sondern mit der Sentimentalität und dem Idealismus eines Frank Capra. Costner stellt sich selbst ins Zentrum des Films, lässt sich ohne Furcht vor Kitsch und Pathos selbst in Bronze zu gießen und versichert dabei als namenloser, selbsternannter Postman zugleich auch immer wieder, er mache einfach nur seinen Job.
Kritik und Publikum stießen den einfachen Mann, der sich selbst auf das Podest hob, schnell von selbigem hinunter. „Postman“ galt lange als schlechtester Film des Jahres. Überhaupt schlägt den Phasen von Costners Werk, die sich explizit der Überparteilichkeit widmen, nicht viel Anerkennung entgegen. Der von Costner produzierte „Swing Vote“ (2008) ist eine „Bipartisan Comedy“ um einen gutherzigen Trinker (Costner), dessen Stimme die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten entscheidet. „Black or White“ (2014) greift mit ähnlich versöhnlichem, aber nicht ganz so capraaeskem Tonfall einen Sorgerechtsstreit auf, der zwischen Costner als grantigem, liebevollem und erneut trinkendem Großvater und der ebenso liebevollen Großmutter (Octavia Spencer) um die Enkelin entbrennt. Costner ist noch immer magisch an der Seite der Kinderdarstellerinnen und es steckt nicht weniger Herz in seinen modernen „Middle of the Road“-Politfilmen als in Capras Klassikern. Wirkliche Resonanz haben sie seit „Der mit dem Wolf tanzt“ aber nicht gefunden.
Es scheint, als fehle dem Publikum, das Costner aus seinen Hochzeiten kennt, das mit seinem Namen verbundene Abenteuer. Die beiden größten bestritt er an der Seite von Regisseur Kevin Reynolds: „Robin Hood – König der Diebe“ (1991) und „Waterworld“ (1995). Costner gibt in beiden den verwegenen Outlaw, ohne sich allzu weit von einem gesellschaftsfähigen Moralempfinden und der dazugehörigen Etikette zu entfernen. Er mag ein Aufschneider (Robin Hood) und ein Grantler (der Mariner in „Waterworld“) sein, aber ist eben doch immer anständig genug, um das strahlend integre Gegenbild des frei drehenden Despoten Alan Rickman und des überekstatischen bösen Hippies Dennis Hopper zu sein.
Die Zügel fest in der Hand
Was Costner in diesen Rollen aber eben doch mehr Strahlkraft gibt als sein Saubermann-Charisma, ist die Haptik seines Spiels. Jede Art von Mechanik, sei es der Katamaran des Mariners in „Waterworld“, der Bogen des Robin Hood, der Mercedes des Popstars in „Bodyguard“ (1992) oder Zügel und Bügel in den unzähligen Western: Costner ist verdammt gut, wenn er anpackt. Wer Interviews mit ihm hört, merkt schnell, dass „der Mann, der anpackt“ ziemlich exakt dem von Costner präferierten Selbstbild entspricht. Der in Kalifornien geborene Filmemacher und Sänger (die Welt nennt seine Band „Modern West“ eine Countryband, Costner besteht auf „Rockband“) will sich als Mann verstanden wissen, der bereit ist, das Ruder, die Zügel et cetera nicht nur sinnbildlich, sondern auch tatsächlich in die Hand zu nehmen.
Das konservative Ethos dahinter, das eben nicht von der Gemeinschaft, sondern vom Individuum ausgeht, hat Costner aber nie unterschreiben wollen. Dass erst seine Abnabelung vom erzkonservativen Elternhaus seine Schauspielkarriere ermöglicht habe, betont er in Interviews ähnlich nachdrücklich wie die Tatsache, dass er sowohl Bush als auch Obama unterstützt hat. So sehr sich Costner auch gegen die Medienöffentlichkeit wehrt, die regelmäßig politische Bekenntnisse von ihm fordert: auf der Leinwand liebt Amerika den alten Costner als Konservativen.
Taylor Sheridans Neo-Western-Serie „Yellowstone“ ist der wohl einzige große konservative Text im gesamten Fernseh-/Streaming-Mainstream und ist als solcher ohne Costner in Zentrum kaum denkbar. Als Rancher John Dutton verteidigt er seine Version der alten Welt gegen Fortschritt, Großkapital und Staatsgewalt. Der Patriarch ist der Quasi-Fürst von Montana. Ihm gehört mehr Land als vielen kleineren Staaten der Welt. Zugleich ist er Patriarch einer gänzlich dysfunktionalen und traumatisierten Familie, die nur noch im Widerstand gegen die oben beschriebenen Kräfte zum Zusammenhalt fähig scheint. Die wichtigste dieser Gegenkräfte ist ironischerweise der Chief des angrenzenden Indianerreservats, der das Dutton-Land für den eigenen Stamm zurückzuerobern gedenkt. Hier verdrängen die Indigenen wieder die Siedler. John Dutton ist eine Paraderolle für Costner: er ist nicht alt, dafür ist er zu präsent, zu stark, zu schnell und zu oft im Sattel. John Dutton ist gezeichnet, trägt die Spuren eines langen, harten, tragischen und abenteuerlichen Lebens auf seinen Schultern. Er ist eine nach Montana exportierte mythologische Gestalt.
Gerechtigkeit, im einfachen Leben verwurzelt
Der Mythos Amerika klebt an Costner. Schon immer. Am sichtbarsten ist er sogar dort, wo er scheinbar keinen Platz hat. In „JFK: Tatort Dallas“ (1991), dem großen Verschwörungsepos von Oliver Stone, also jenes Filmemachers, der nie eine Gelegenheit oder Absurdität auslässt, um seinen Ruf als Nestbeschmutzer zu bekräftigen, ist Costners Schlussplädoyer als Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison das Herzstück des Films. Es ist der Monolog eines Mannes, der mit Tränen in den Augen ein traumatisiertes Amerika anspricht. Costners Stimme bricht schon früh und doch drängt er weiter, zeigt keine Angst vor Pathos, schmeißt mit dem Literaturkanon und der Unabhängigkeitserklärung um sich, immer mit der Versicherung, dass er seine Tränen an erster Stelle als einfacher Amerikaner vergießt. Costner funktioniert so fantastisch als der Heros amerikanischer Gerechtigkeit, weil er glaubhaft im einfachen Leben verwurzelt ist, dort wo die alten Werte besonders in Krisenzeiten Schutz suchen: bei Vaterland und Familie.
So ist es natürlich auch Costner, der in Brian DePalmas wohl ungewöhnlichstem, weil konventionellstem Film „Die Unbestechlichen“ (1987) Eliot Ness, also den Mann spielt, dessen Team Al Capone (Robert De Niro) zur Strecke bringen wird. Ness ist der „Everyman“ im Team, den Costner zum Strahlen bringt. Und auch hier kann der Film um Costner herum sich kaum dagegen wehren, zum Western zu werden. Auch Costner kann nicht gegen das stoische Heldentum an, das ihn auch in die weniger erfolgreichen Rollen seiner Karriere in den 2000er- und 2010er-Jahren nicht verlassen will. In „Mr. Brooks“ (2007) braucht es William Hurt als Alter Ego, das ihm die Mordlust einflüstert. „Das Jerico Projekt“ (2016), ein Film über einen zum Tode verurteilten Kriminellen, dem die Erinnerungen eines CIA-Agenten implantiert werden, lässt sich als Meta-Film über Costners späte Karriere lesen, in der er, so sehr er zunächst als gefährlicher Psychopath erscheint, sich doch unweigerlich wieder in den stoischen amerikanischen Helden verwandelt.
Frauen aus einer fremden Welt
Am freiesten, verwundbarsten und wohl auch am besten ist Costner während seines Aufstiegs in Hollywood in der Zeit, in der er zunehmend als „Ladies’ Man“ gebucht wird, besonders in den Filmen, in denen Costners Figuren auf Frauen treffen, die ihnen eine Welt jenseits des vaterlandstreuen Pflichtbewusstseins offenbaren und ohne die sie gänzlich verloren wirken in dieser scheinbar fremden Welt. An der Seite von Sean Young spielt Costner in „No Way Out“ (1987) einen jungen Offizier, der seine wahre Bestimmung noch nicht wirklich gefunden hat, ihr aber so gierig nachstellt wie Young, die die Liebhaberin seines Chefs, des Verteidigungsministers der Vereinigten Staaten, spielt. Costner wirkte selten so frei wie auf der Rückbank der Limousine, auf der er und seine Partnerin übereinander herfallen wie Teenager, immer beobachtet vom Fahrer, dem Costner, als er ihn bittet, die Zwischenwand zu schließen, noch ein Augenzwinkern zuwirft.
Der Verlust, der in Roger Donaldsons Politthriller das Erotische mit dem Politischen verschweißt, ist in Tony Scotts „Revenge“ (1990) fast schon ein tragischer Schlusspunkt. Der zentrale Teil des Films ist eben nicht die im englischen Original titelgebende Rache, sondern die im deutschen Titel „Eine gefährliche Affäre“. Scott übergießt einen Traumstrand mit Regen, um Madeleine Stowe und den erneut aus dem Militär in die Welt zurückkehrenden Costner zusammenzubringen, bevor die höhere Gewalt einer nicht zu bändigenden Libido weicht, die erneut bei einer Autofahrt ihren Höhepunkt findet. Diesmal nicht auf dem Rücksitz, sondern direkt am Steuer, das Costner zusammen mit seiner Bierflasche halten muss, während Stowe seine freie Hand in ihren Schritt führt. Das vor Sex triefende, noch tief in den 1980er-Jahren verwurzelte Abenteuer wendet sich, als die Beziehung ein gewaltsames Ende findet, zur ödipalen Tragödie, die kein anderes Ende kennt als die Rache eines ausgebrannten Mannes.
Aber auch ohne die große Tragödie scheint Costner oft im Zusammenspiel mit der jeweiligen Partnerin zu sich zu finden. Etwa in „Open Range - Weites Land“ (2003) mit Annette Bening als unverheirateter Schwester eines Arztes im Wilden Westen. In ihrem winzigen Gemüsegarten, der nach dem stundenlangen Shootout mit den korrupten und mörderischen Männern der Stadt wirkt wie ein aus einem Paralleluniversum entführter Garten Eden, hält der Mann, der soeben ein Dutzend Gegner in den Tod geschickt hat, schüchtern und ungelenk um die Hand Benings an. „Open Range“ ist der wohl reinrassigste Western der 2000er-Jahre und doch gibt Costner als Regisseur und Schauspieler seiner Figur als Schlussakkord nicht den hart erkämpften Sieg eines Cowboys über seine Feinde, sondern einen unbeholfenen ersten Versuch der Verliebtheit.
In Ron Sheltons „Tin Cup“ (1996) spielt Costner als Golfprofi, dessen Karriere so abgeschmiert ist, dass er seine Zeit auf einer Driving-Range in der Wüste fristet, auf andere Art den unbeholfenen Liebhaber. Der „Tin Cup“ genannte Golfer hat ein endloses Repertoire an Verführungs-Maschen, weiß aber schnell nicht mehr weiter, als sein prolliger Charme und sein unverbesserliches Draufgängertum erst einmal an der Psychotherapeutin Molly Griswold (Rene Russo) abprallen, die schnell den verunsicherten und unreifen Mann hinter der schönen und scheinbar selbstsicheren Fassade zu entlarven weiß. In „Annies Männer“ (1988), ebenfalls von Ron Shelton inszeniert, spielt Costner die erwachsenere Version des abgehalfterten Sportprofis, der sich in Annie Savoy (Susan Sarandon) verliebt, die treueste Anhängerin der „Kirche des Baseballs“ und Edelgroupie des „Bull Durham“-Minor-League-Baseball-Teams. Sheltons Liebeskomödie ist einzig getragen vom pubertären und libidösen Wettkampf zwischen den Athleten Costner/Tim Robbins sowie dem einander versprochenen Pärchen Sarandon/Costner.
Charisma und Präsenz
Costners Schauspiel war schon immer ganz auf das Charisma gebaut, das derartige Konstellationen möglich macht. Nicht „Method“ ist sein Schauspiel, sondern die Präsenz. Costner trägt sie in jedes der großen amerikanischen Genres, die ihm allesamt gut stehen. Er trägt die Erkennungsmarke genauso gut, wie er den Baseball-Schläger schwingt oder die Zügel hält. Als amerikanischer Archetyp gehört Costner, der 1955 geboren wurde, eigentlich der falschen Generation an. Vielleicht ist er auch deswegen seit jeher ein Schauspieler, dem man schon immer gerne beim Altern zusehen wollte. Costner hat sich über die Jahre nicht nur den unbändigen Wunsch erhalten, der integre Mann zu sein, der sich mit zunehmender Zeit hinter stoischerer Miene und immer rauer geschliffener Stimme versteckt; er hat auch das in seiner frühen Karriere so omnipräsente jungenhafte Lachen nicht verloren – man muss nur genauer hinsehen.
Retrospektiv scheint es, als sei Costner in exakt die Figur hineingealtert, die er schon früh mühelos zu spielen wusste. Eine Figur, die mit zunehmendem Alter von einem Film in den anderen verfrachtet wurde. Eine Figur, die Verkörperung eines immer schon dagewesenen Helden ist. Sei es Wyatt Earp in Lawrence Kasdans gleichnamigem Western (1994), Anse Hatfield in „Hatfields & McCoys“ (2012) oder ein generischer Westernheld mit dem Namen Charley Waite, der in „Open Range“ an der Seite von Robert Duvall den Colt umschnallt, sei es der wohlhabende Rechtsanwalt, der in „Black or White“ (2014) trinkend im Vorruhestand um seine Frau trauert, während er um das Sorgerecht für seine Enkelin kämpft, sei es der Großvater in „Lass ihn gehen“ (2020), der an der Seite von Diane Lane seine Schwiegertochter und einen weiteren Enkel aus den Händen einer grausamen Redneck-Familie zu befreien versucht und dafür ebenso wie der ausrangierte Texas Ranger in „The Highwaymen“ (2019) ein letztes Mal in den Sattel steigt.
Costner ist auch dort der gleiche Star geblieben, wo das alte Starsystem Hollywoods fast vollständig erodiert ist; die gleiche Figur, deren Mythos mehr und mehr verblasst scheint.
Mit „Horizon“ kehrt Costner noch einmal an die Frontier, zum Mythos Amerika zurück, den er unverhohlen als seine Version eines großen Western inszeniert. Es ist ein 1990er-Western: klassizistisch gedacht, antiquiert geschrieben, mit gewaltigem Ego als Kino-Epos angelegt. Ein Epos, das sich nicht an die Streaming-Dienste und deren Verwertungslogik annähert, nicht als Style-Kino inszeniert, sondern in vier langen Teilen auf die größten der Bewegtbild-Leinwände gemalt werden soll. „Horizon“ geht den Weg des Genres konsequent bis zum Ende, kommt so spät, dass er nur noch ein Klagelied auf sich selbst sein kann, der letzte Pfahl, den Costner in die Erde schlägt, bevor der Western nur noch ein Postkartenmotiv ist.