Als enigmatische Blonde, auf die Cary Grant im Hitchcock-Klassiker „Der unsichtbare Dritte“ trifft, hat Eva Marie Saint bleibenden Eindruck hinterlassen. In den 1950er-Jahren fasste die US-Schauspielerin, die über das Talent einer Charakterdarstellerin und die kühle Schönheit einer Grace Kelly verfügte, in Hollywood Fuß. Doch in den 1960er-Jahren wurden gute Rollenangebote rar, weshalb sie aufs Theater und das Fernsehen auswich. Erinnerungen an großartige Darstellerin, die am 4. Juli 2024 ihren hundertsten Geburtstag feiert.
Wenn Eva Marie Saint
in „Die Faust im Nacken“ (1954) zum ersten Mal auf Marlon Brando trifft,
ist sie schüchtern und zurückhaltend, fast scheu. Ein wenig widerwillig erlaubt
sie, dass Brando sie durch einen kahlen, neblig-trostlosen Park in Hoboken, New
Jersey, begleitet, mit der kalten Skyline Manhattans im Hintergrund, während
Schiffssirenen und Dampfpfeifen heulen. Irgendwie fürchtet sie sich vor dem
rohen Kerl und ist doch gleichzeitig fasziniert von ihm. „Can I see you again?“
fragt Brando, „What for?“, antwortet sie in ihrer Unerfahrenheit. Ihrem Gesicht
verleiht die Schauspielerin dabei einen Ausdruck von herber Ernsthaftigkeit.
Später wird Brandos Figur ihr seinen Taubenschlag auf dem Dach zeigen, von dem
man einen wunderbaren Blick auf den Hafen hat. Jetzt endlich lächelt sie. Dass
ihr „love interest“, wenn auch unwissentlich, Mitschuld hat am gewaltsamen Tod
ihres Bruders, kann sie da noch nicht wissen.
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„Die Faust im Nacken“ war in den 1950er-Jahren das Filmdebüt von Eva Marie Saint. Da war sie schon 30 Jahre alt und überzeugte als „spröde, zarte, biegsam-unbeugsame Antigone-Gestalt“ (Klaus Kreimeier). Auf Anhieb gewann sie mit dieser Rolle einen „Oscar“ als beste Nebendarstellerin. Natürlich „Die Faust im Nacken“ vor allem Brandos Film. Doch ohne die Wärme von Eva Marie Saint, ohne ihre Unschuld, ist seine Wandlung zur Christus-ähnlichen Figur, die mit ihrem abschließenden Leidensweg die streikenden Dockarbeiter zum Weiterarbeiten auffordert, nicht denkbar. Ein furioser Erstauftritt!
Von Elia Kazan zu Alfred Hitchcock, vom Einfühlen in eine Figur hin zu deren Konstruktion durch die äußere Darstellung, vom Erspüren der Motivation zum Spiel mit den Objekten, die eine Figur ausmachen: Eva Marie Saint verkörpert fünf Jahre später in Hitchcocks zeitlosem Meisterwerk „Der unsichtbare Dritte“ (1959) die ikonische Rolle der Eve Kendall. Als Verführerin, als Betrügerin, als Doppelagentin, aber auch als Opfer bringt die grazile Blondine, von Hitchcock geschickt gegen ihren Typ und ohne Interesse für ihr Method Acting besetzt, eine gehörige Prise Erotik und Humor in diesen Film. Als sie Cary Grant als Roger Thornhill im Zug hilft, sich vor der Polizei zu verstecken, und er ihr mit einer fadenscheinigen Ausrede dafür kommt, warum die Cops hinter ihm her sind, lässt ihr langgezogenes „Ohhh!“ erkennen, dass sie ihm nur bedingt glaubt. Im engen schwarzen Kleid geht sie anschließend den Gang hinunter, Cary Grant blickt ihr fasziniert hinterher.
Später, im Bordrestaurant – Eve Kendall hat den Kellner bestochen, damit sich Roger Thornhill zu ihr setzt – geht das anzügliche Wortgefecht weiter. Beim Anzünden ihrer Zigarette hält sie seine Hand fest, die das Streichholz hält. „Es wird eine lange Nacht. Und das Buch, das ich lese, gefällt mir nicht besonders. Sie wissen, was ich meine?“ Das ist eine für die damalige Zeit ziemlich forsche und großzügige Einladung.
Thornhill kann sich der offensiven Schönen aber noch lange nicht sicher sein; das wird sogleich klar. „Es gibt nur ein Bett“, stellt Cary Grant hoffnungsfroh im Abteil fest. „Was das wohl bedeutet?“ „Dass Sie auf dem Boden schlafen werden“, kontert Eva Marie Saints Figur. Selbstironisch und lasziv, selbstbewusst und enigmatisch spielt sie die Doppelagentin, die sich mit dem falschen Mann, nämlich James Mason, eingelassen hat („Ich hatte nichts zu tun an jenem Wochenende, also habe ich mich entschlossen, mich zu verlieben“), um den Richtigen, nämlich Cary Grant, lange im Unklaren über ihre Absichten zu halten. Ausdruck dieses Zwiespalts ist die grandiose Auktionsszene, in der sie im rotgeblümten Kleid zwischen Cary Grant und James Mason sitzt, die sich mit zynischer Höflichkeit beharken. Wie sie hier schaut, stumm, traurig und verzweifelt, bis ihr sogar die Tränen kommen, das ist ganz große Schauspielkunst.
Charakterdarstellerin mit Star- Appeal
Eva Marie Saint wurde am 4. Juli 1924 in Newark, New Jersey geboren. Ausgebildet an der Bowling Green State University, begann sie ihre Karriere in Radio- und Fernsehdramen. 1948 belegte sie auch Kurse am renommierten Actor’s Studio. Von 1949 an war sie regelmäßig in TV-Shows wie „Actor’s Studio“ und „The Prudential Family Playhouse“ zu sehen. Aber auch am Theater landete sie einen großen Erfolg mit dem Stück „The Trip to Bountiful“ von Horton Foote, für das sie den Drama Critics Award bekam. Es war dieses Theaterstück, das Elia Kazan für „Die Faust im Nacken“ auf sie aufmerksam machte. Nach diesem überragenden Filmdebüt war sie 1957 in Fred Zinnemanns „Giftiger Schnee“ (1957) zu sehen und bewies sich auch darin als versierte Charakterdarstellerin.
Eva Marie Saint spielt darin Celia, die schwangere Frau eines Soldaten, der im Koreakrieg gefoltert und während das Krankenhausaufenthaltes drogenabhängig wurde. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf seine Familie. Celia gerät immer mehr in eine Mutterrolle, weil sie sich nicht nur um ihren Mann, sondern auch um seinen Bruder kümmern muss. Eine Doppelbelastung, die die Eheleute immer stärker voneinander entfremdet. Doch der Wunsch, an ihrer Liebe festzuhalten und sich nach dem Krieg eine gemeinsame Zukunft aufzubauen, gibt ihnen Kraft.
Mit der Drogenabhängigkeit in den Nachkriegsjahren und einer offenen Diskussion über den gesunkenen Lebensstandard in den USA nach dem Koreakrieg packt Zinnemann gleich mehrere heiße Eisen an. Bezeichnend dafür ist ein Gespräch zwischen Celia und ihrem Schwiegervater, der für einige Tage zu Besuch ist, über das „Leben im Zeitalter des Vakuums“. Eva Marie Saint begegnet der Arroganz des Mannes verärgert, aber auch mit Stärke und Widerspruchsgeist. Ihre Liebe wird sie sich nicht nehmen lassen. Ihre Wutausbrüche, ihre Eifersuchtsanfälle, ihre Versuche, mit ihrem Mann zu reden, ihre Zweifel, ob sie ihn noch liebt, aber auch die zärtlichen Momente meistert die Schauspielerin sensibel und souverän. Wenn sie am Schluss des Films den Notruf wählt, um den Gatten zum Drogenentzug einweisen zu lassen, wird man diese Szene so schnell nicht vergessen.
Eine erfreuliche Erfahrung
Ebenfalls 1957 entstand „DasLand des Regenbaums“, der Versuch des MGM-Studios, den Erfolg von David O. Selznicks „Vom Winde verweht“ (1939) nachzuahmen. Hintergrund ist erneut der amerikanische Bürgerkrieg, Handlungsort das sogenannte Raintree County in Indiana. Eva Marie Saint ist als Nellie Gaither bis über beide Ohren verliebt in John Shawnessy (Montgomery Clift), und erhofft sich eine gemeinsame Zukunft. Doch Shawnessy macht den Fehler, dem Charme der verführerischen, aber psychisch kranken Südstaaten-Schönheit Susanna (Elizabeth Taylor) zu erliegen und sie zu heiraten. Der verletzte und verwunderte Blick, mit dem Saint die Taylor anschaut, spricht Bände; ihr ganzer Schmerz, ihre ganze Enttäuschung sind darin enthalten. Eva Marie Saint kommt hier die Rolle zu, geduldig zu warten, bis Clift – er kämpft für die Nordstaaten – aus dem Krieg zurückkommt und sich ihr wieder zuwendet. „Eva Marie Saint war schon immer eine Vollblutschauspielerin; mit ihr zu arbeiten, war eine erfreuliche Erfahrung“, erinnert sich Regisseur Edward Dmytryk. Mit ihren weiten Kleidern und den breitrandigen Hüten, dem fröhlichen Lachen und dem Stolz, mit dem sie bei einer Parade ein Banner hochhält, sieht sie einfach bezaubernd aus.
Noch einmal wird es Eva Marie Saint mit Elizabeth Taylor als Rivalin zu tun bekommen, und zwar in Vincente Minnellis „…die alles begehren“ (1965). Sie spielt die Ehefrau von Richard Burton, der als streng religiöser, zugeknöpfter Direktor einer Jungenschule vorsteht; gemeinsam haben sie zwei heranwachsende Zwillings-Söhne. Elizabeth Taylor spielt eine unangepasste Malerin, eine Mischung aus Beatnik und Femme Fatale, die sich auf eine Affäre mit Burton einlässt – ein kleiner Abglanz der schlagzeilenträchtigen Beziehung, die sie damals im realen Leben führten. Eva Marie Saint hat nur einige wenige Kurzauftritte und weiß sie zu nutzen. Am bemerkenswertesten ist wohl ihre souveräne Reaktion auf Burtons Geständnis seiner Untreue; ansonsten ist das Ganze ein undankbarer Part in einem Melodram, das nicht zu den besten Filmen Minnellis zählt. Für Elizabeth Taylor hat Eva Marie Saint, trotz der Rivalität in ihren gemeinsamen Filmen, nur lobende Worte.
Das Beste aus einer Rolle machen
Zuvor war noch Otto Premingers „Exodus“ (1960) entstanden, ein dreieinhalbstündiges Epos über die Gründung Israels. Kernstück des Films ist jene Episode, in der ein alter, rostiger Frachter 611 Juden aus allen Herren Ländern nach Palästina bringen soll, von den Briten aber auf Zypern festgehalten wird. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die Liebesgeschichte zwischen Paul Newman als Führer der Haganah und Eva Marie Saint als US-amerikanischer Witwe, die als gelernte Krankenschwester den jüdischen Flüchtlingen helfen will, sich aber in der Rolle der spröden Beobachterin wiederfindet. Eine etwas konventionelle Liebesgeschichte, zumal Newman als leidenschaftlicher Verfechter seiner Sache zwar überzeugen kann – doch als Liebhaber fehlen ihm Wärme und Menschlichkeit. „Saint hat einige gute Szenen und macht das Beste daraus“, lobte das Branchenblatt Variety.
Das Beste aus einer Rolle machen – das verweist auf Eva Marie Saints Professionalität, die sich keine Nachlässigkeit erlaubt. Zum anderen deutet es aber auch an, dass Hollywood die Schauspielerin nicht vollends zu schätzen wusste und ihr deshalb keine besseren Drehbücher anbot. Eva Marie Saint hätte es mit ihrem Talent in den Olymp der Hollywood-Stars schaffen können. Doch wegen der mangelnden Qualitäten der Drehbücher machte sie sich rar und nahm nur ausgewählte Rollen an, wodurch sie letztlich im Schatten von Diven wie Elizabeth Taylor, Marilyn Monroe oder Grace Kelly blieb.
In den 1960er-Jahren war sie noch in John Frankenheimers „Mein Bruder… ein Lump“ als nicht mehr ganz junge Schönheit zu sehen, die von einem jungen Mann angehimmelt wird. Doch dann muss der hilflos mit ansehen, wie sein älterer Bruder (Warren Beatty) sie verführt – und fallen lässt, als sie schwanger wird. Mit tragischen Folgen. Höhepunkt des Films ist jener Kuss beim Abendessen, der von Angela Lansbury als böse Mutter par excellence misstrauisch beäugt wird, bis die Kamera zum Gesicht des enttäuschten und eifersüchtigen Bruders fährt. „I am lost. You are free“, bringt Eva Marie Saint ihre hoffnungslose Situation bei einem Streit mit Beatty auf den Punkt, in dem sich ihre Verzweiflung eindrücklich Bahn bricht.
In der Kriegskomödie „Die Russen kommen! Die Russen kommen!“ (1965) verkörperte Eva Marie Saint die Ehefrau von Carl Reiner, die gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Mann den Sommer auf einer Insel an der neuenglischen Küste verbringt. Doch ausgerechnet dort strandet ein russisches U-Boot; die nun folgende Panik ist bereits im Filmtitel angedeutet.
In „Grand Prix“ (1966), einer erneuten Zusammenarbeit mit John Frankenheimer, spielte sie eine Redakteurin, die den Rennzirkus der Formel 1 für einen Artikel begleitet. Ihre Figur beruht auf der authentischen Louise King, der Frau des Ferrari-Fahrers Peter Collins, der – ähnlich wie die Figur des Yves Montand im Film – tödlich verunglückte.
Späte Rückkehr ins Kino dank Wim Wenders
Als die Qualität der Filmangebote in den 1970er-Jahren weiter abnahm, arbeitete Saint wieder vermehrt fürs Theater und Fernsehen. Fünf Mal war sie für den „Emmy“ nominiert, ehe sie die Trophäe 1990 für die Miniserie „People Like Us“ gewann. In den 1980er-Jahren war sie in einigen Folgen der Serie „Das Model und der Schnüffler“ die Mutter von Cybill Shepherd.
Es ist Wim Wenders zu
verdanken, dass er sie 2005 für das Kino neu entdeckte. In „Don’t Come Knocking” spielt sie in einer kleinen Nebenrolle die Mutter von Sam
Shepard alias Howard Spence. Ob er denn auch wirklich „ihr Howard“ sei, will
sie bei der ersten Begrüßung wissen. Ein kurzer Satz nur, und doch macht er die
Entfremdung zwischen zwei Menschen eindringlich deutlich. Dann teilt sie ihm
mit, dass er Vater eines inzwischen 20-jährigen Sohnes ist. Köstlich, wie Eva
Maria Saint ihren erwachsenen Sohn noch immer wie einen Lausbuben behandelt, in
einer Mischung aus Verständnis und Resignation. Als ihre Figur von Freunden und
Bekannten gefragt wird, warum sie so nett zu ihrem Film-Sohn gewesen sei, der
sie 30 Jahre lang nicht besucht hat, antwortet sie lakonisch: „Weil er mein
Sohn ist.“
Ein Jahr später war sie in „Superman Returns“ als Martha Kent, die Adoptivmutter von Clark Kent, zu sehen. Es ist eine ihrer letzten Rollen. Den Ruhestand hatte sie sich da mit über 80 Jahren schon längst verdient. Am 4. Juli wird Eva Marie Saint 100 Jahre alt. Sie ist nach dem Tod von Olivia de Havilland 2020 die älteste noch lebende „Oscar“-Gewinnerin aus dem Hollywood der „Goldenen Ära“.