© Filmgalerie 451 ("Pacifiction" von Albert Serra)

Die Welt als Vor-Entwurf

Der 4. Kongress "Zukunft Deutscher Film" erweiterte das Thema um europäische Perspektiven

Veröffentlicht am
10. Mai 2024
Diskussion

Der Kongress „Zukunft Deutscher Film“ hat sich innerhalb weniger Jahren zu einer alternativen Branchenveranstaltung gemausert, in der insbesondere die Bedingungen bei der Entstehung von Filmen zur Diskussion werden. Die 4. Ausgabe erweiterte dies auf europäische Perspektiven und fand vor allem dort aus pessimistischen Positionen heraus, wo enthusiastisch über Filme und das Kino als Ort der Begegnung gesprochen wurde.


Vom 17. bis zum 19. April 2024 fand im Rahmen des Lichter Filmfests in Frankfurt der 4. Kongress „Zukunft Deutscher Film“ statt, der im Jahr der Europawahlen die „Zukunft Europas“ zum Thema hatte. Auf zahlreichen Panels und Workshops wurde über Filmpolitik, Gesellschaft und manchmal auch Filme diskutiert. Wobei es neben der Frage, wie Europa durch Filme enger zusammenrücken kann, immer wieder auch um das Sorgenkind der vorangegangenen Kongresse ging: den deutschen Film und die Frage, wie er besser werden kann. Prominenz war ebenfalls zugegen: Monika Grütters sprach über Kultur und Demokratie, Albert Serra über Albert Serra und Alexander Kluge über Napoleon.

Zunächst ein Disclaimer: Der Verfasser dieses Berichtes war selbst Teil des Spektakels, abgehalten im Frankfurter Massif Arts, einem zur Zwischennutzung bestimmten Gebäude aus massivem Eisen und massivem Beton, an dem in den drei Tagen viel diskutiert wurde, während es draußen fast ununterbrochen regnete. Mir kam es zu, im Auftrag des Frankfurter Lichter-Filmfests eine Chronik über den Kongress „Zukunft Deutscher Film“ zu verfassen. Ich saß außerdem als Gesprächspartner auf einem Panel.

Der Frankfurter Kongress „Zukunft Deutscher Film“ ist eine verhältnismäßig junge Veranstaltung. Auf Anregung von Edgar Reitz fand er 2018 zum ersten Mal statt, als beim 11. Lichter-Filmfest Akteur:innen der deutschen Filmwelt zusammenkamen, um über Reformen in Bereichen wie Förderung, Finanzierung, Ausbildung, Filmbildung, Vertrieb und Kinokultur zu diskutieren. Mittlerweile hat sich der Kongress als alternative Branchenveranstaltung etabliert. Auf Panels und in Diskussionsrunden geht es um die gesellschaftlichen, kultur- und filmpolitischen Rahmenbedingungen, in denen Filme produziert und vertrieben, vermarktet und gesehen werden. Ein Erfahrungsaustausch, dem nichts Offiziöses anhaftet und dessen Wichtigkeit darin besteht, dass die deutsche Filmbranche eine Perspektive „von außen“ auf sich einnehmen kann, sodass aus dem Raum für Diskussionen ein Raum für Kritik und Impulse wird, wie die verhandelten Bedingungen geändert werden können.

Ausschnitt aus dem Festivalplakat für das LIchter Filmfestival 2024 (Lichter Filmfest)
Ausschnitt aus dem Festivalplakat für das LIchter Filmfestival 2024 (© Lichter Filmfest)


Diversität, Autoritarismus, Demokratie

Ein wichtiger Punkt, der in diesem Jahr auf einer im partizipativen Agora-Format abgehaltenen Diskussion mit dem Titel „Europa erzählen“ eine große Rolle spielte, war die Herstellung von mehr Diversität im deutschen und europäischen Filmschaffen. Nicht nur mit Hinblick auf Personen, die in Filmen repräsentiert werden, sondern vor allem im Hinblick auf jene, die Filme machen oder an ihnen partizipieren. Mit Auflagen oder Quoten muss das nicht zwingend einhergehen. Die deutsch-kurdische Filmemacherin Ayşe Polat, die für ihren Film „Im toten Winkel“ in mehreren Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert ist, betont, dass es genüge, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie sei: nämlich divers.

Dies ist umso wichtiger, als autoritäre und neurechte Kräfte europaweit an Zulauf gewinnen. Im Rahmen des Panels „Ein Gespenst geht um in Europa“ hielt Marcus Stiglegger einen Vortrag über die Aneignung popkultureller Symbole, Elemente und Filme, etwa „300“ von Zack Snyder, durch die Neue Rechte. Die Trennlinien zwischen Links und Rechts in der Popkultur verwischen, da einstmals links und antikapitalistisch codierte Filme wie David Finchers „Fight Club“ mittlerweile von rechts verschwörungstheoretisch umcodiert werden.

In dieser Hinsicht haben Kunst und Kultur, aber auch Kunst- und Kulturkritik eine demokratiefördernde Funktion. Auf diese verwies die CDU-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Monika Grütters in einem Impulsvortrag, der dem Panel „Keine Demokratie ohne Kultur“ voranging. Ein Staat, so Grütters, muss sich Kunst leisten können, auch wenn oder gerade weil die Künstler:innen wie ein „Stachel im Fleisch der Gesellschaft“ sein können, die sie immer wieder herausfordern. In der anschließenden Diskussion mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen und dem Publizisten Johannes Franzen ging es nicht zuletzt ums Geld, das staatlich zur Verfügung gestellt wird, damit es in der deutschen Filmlandschaft auf lange Sicht nicht nur Kommerz (Til Schweiger), Kunst (Angela Schanelec) und dazwischen ganz viel Mittelmaß (in den Worten der Filmemacherin Jutta Brückner: „mittlerer deutscher Realismus“) geben möge, sondern tatsächlich auch den einen oder anderen guten Film. Mit anderen Worten: (Film-)Kunst muss frei sein von kommerziellen wie gesellschaftlich-relevanten Zwecken; ästhetischer Hedonismus allein reicht vollkommen aus. Das ist eine frohe Botschaft, alles in allem.


Fernsehen, Streaming, Geoblocking

Die Frage ist nur, wie es sich mit den Strukturen verhält, in denen Filme in Deutschland und Europa entstehen und ausgewertet werden. Die finanzielle Abhängigkeit des deutschen Films von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wurde schon beim 2023er-Kongress im Rahmen des Aufrufs „Angst essen Seele auf“ beklagt; junge deutsche Filmemacher:innnen hatten darin ihrem Ärger und ihrer Frustration Ausdruck verliehen. „Mutlos“, „technokratisch“, „rückgewandt“, „quotenfixiert“: Auch in diesem Jahr bekamen die Öffentlich-Rechtlichen viel Kritik. Sabine Rollberg, ehemals Chefin der arte-Redaktion beim WDR, urteilte über ihren Sender, dass der so reformresistent sei „wie die SED vor dem Mauerfall“. Die erfrischend angriffslustige Rollberg verglich die Intendant:innen mit CEOs privater Unternehmen, und ehemals souverän agierende Redakteur:innen mit hierarchiegesteuerten Wesen ohne Gestaltungsspielraum.

Benoît Magimel in "Pacifiction" von Albert Serra (Anderground Film)
Benoît Magimel in "Pacifiction" von Albert Serra (© Anderground Film)

Gleichzeitig taten sich interessante Differenzen auf. Mit Carlos Gerstenhauer von Bayerischen Fernsehen war der Co-Produzent von Albert Serras Film „Pacifiction“ anwesend, einem international produzierten Werk, dem man sicherlich keinen Mangel an künstlerischer Experiment- und Abenteuerlust vorwerfen kann. Interessant war, dass Ex-Redakteur:innen anders sprachen als aktive; generell wurde immer wieder auf Ausnahmen verwiesen, auf die guten Leute in den guten Redaktionen.

Auf der guten Seite steht nach wie vor arte mit seinem (Kino-)Filmprogramm und den Themenabenden, obwohl sich auch hier die Dinge geändert haben. Auf dem Panel „Europäisch streamen oder alles auf ARTE?“ wurde über Geschichte und Besonderheit des französisch-deutschen Kulturkanals diskutiert, in dem sich die Kinonation Frankreich und die Fernsehnation Deutschland ebenso verbinden wie aufeinanderprallen. Die Frage, wie ein gesamteuropäischer Streamingdienst nach dem arte-Modell aussehen könnte, war vielleicht zu ambitioniert, um ernsthaft angegangen zu werden. Schuld daran war auch die Skepsis einiger Diskutant:innen gegenüber einem gesamteuropäischen Medienprojekt, so als bildeten die kulturellen und sprachlichen Verschiedenheiten eine Barriere, die im Konzept des „Geoblockings“, also der topographischen Beschränkung digitaler Inhalte beim Streamen, ihren Ausdruck fand. Sofern es sich bei der Koppelung des Geoblockings ans nationalstaatlich gebundene Copyright um einen zentralen Wirtschaftsfaktor der Filmbranche handelt, ist zum Geoblocking so schnell keine Alternative in Sicht; gleichzeitig aber wurde die Notwendigkeit beschworen, dem wiedererstarkenden nationalstaatlichen Denken und der Übermacht der US-amerikanischen Big Player wie Netflix, Amazon und Apple etwas Wirksames und Gesamteuropäisches entgegenzusetzen.


Serra, Kluge und die Kinos von Morgen

Aber wurde in Frankfurt nicht zu viel über Filmpolitik und zu wenig über Filme gesprochen? Braucht die „Zukunft Deutscher Film“ oder die „Zukunft Europas“ nicht vor allem – Filme?

Diese kehrten durch die Anwesenheit von Albert Serra zurück, der im Rahmen einer Masterclass eloquent und humorvoll Auskunft über sein Schaffen Auskunft gab. Der katalanische Filmemacher dreht mit mehreren digitalen Kameras gleichzeitig, kommuniziert kaum mit Schauspieler:innen, entzieht ihnen und sich selbst beim Drehen die Kontrolle und „findet“ den Film im Schnitt inmitten hunderter Stunden Rohmaterial. Der Regisseur konstatierte, dass er in seinen Filmen „nichts zu sagen habe“; Serra verweigerte sich konsequent jeder These oder Botschaft. Auch wenn sein Kino Figuren wie Don Quijote, den Heiligen Drei Königen, Casanova oder Ludwig XIV. folgt und sich damit zwischen Respekt vor der Tradition und Ikonoklasmus in einem europäischen Bildraum bewegt, belässt er den Bildern doch ihr „inneres Mysterium“. Vielleicht braucht es, wenn man sich Europa übers Kino nähert, kein hyper-diskursives Verständnis davon, wovon wir reden, sondern eher ein Vertrauen in die Bilder, während man einen Gang ins Rätselhafte und Unverständliche antritt, auf den Spuren von Albert Serra.

Oder auf den Spuren von Alexander Kluge, dem Grandseigneur der assoziativen Historiografie, der in seinem Schaffen den Kulturraum Europa vermessen hat wie kein anderer. Auf dem Kongress war er zwar physisch nicht anwesend, jedoch über Zoom für ein Gespräch mit Elisabeth Bronfen zugeschaltet. Kluge zeigte frisch entstandene Einminuten-Filme, eine Hommage an Formate aus der Frühzeit des Kinos, wie sie Muybridge oder die Brüder Lumière produzierten. Es geht um Napoleon Bonaparte, der die Geschichte Europas im 19. Jahrhundert geprägt hat wie kein zweiter; eine Historie, deren Splitter Kluge mit gewitzter Originalität einfing und die von Elisabeth Bronfen geist- und kenntnisreich weiterkommentiert wurden.

In der Freiheit von Serra und in der Gewitztheit von Kluges Einminütern schien eine ästhetische Utopie auf, die es braucht, wenn über die Zukunft des Films nachgedacht und auf sie gesetzt werden soll. Filme brauchen aber Kinos, ebenso wie Kinos Filme brauchen. In einem der schönsten Panels des Kongresses beseelte die Utopie dann auch zwei Architekten, die Auskunft über neu entstandene oder entstehende europäische Kinobauten gaben. Mit Christoph Hochhäusler moderierte ein Filmemacher, der selbst vor seinem Film- ein kurzes Architekturstudium absolviert hatte. Dietmar Feistel, der das Eye Filmmuseum in Amsterdam sowie das geplante Haus für Film und Medien in Stuttgart entwarf, und Hugo Herrera Pianno, der gerade das Cameraimage European Film Center in Torún in Polen baut, glauben an das Kino als Zukunftsort, als Ort der Begegnung, des Überganges zwischen der realen und der virtuellen Welt, als „unsichtbaren Ort“, als den ihn Peter Kubelka verstand, an dem der Eintritt in eine andere, imaginäre Welt jenseits der Leinwand möglich wird. Eine neue Welt, eine bessere Welt, eine Welt der Zukunft. Eine projizierte Welt und eben ein Projekt, ein Vor-Entwurf.

Mutiger Entwurf: Das Eye Museum in Amsterdam (imago/Marc John)
Mutiger Entwurf: Das Eye Museum in Amsterdam (© imago/Marc John)


Etwas mehr Optimismus, bitte!

In vielerlei Hinsicht war auch der Ort des Kongresses, das Massif Arts, der bei den Architekten großen Anklang fand, ein Übergangsort, bestimmt zur Zwischennutzung. Wird er nächstes Jahr oder in den kommenden Jahren noch da sein? Wir wissen es nicht. Was es aber geben wird, ist ein neuer Kongress. Wenn man sich für diesen etwas wünschen könnte, dann vielleicht etwas mehr von jener „optimistischen Spekulation“, als die Pianno das Kinobauen bezeichnete und die diesem Kongress manchmal abging. Ein wenig Optimismus, ein wenig Utopie hat der Zukunft noch nie geschadet, in der, bedenkt man die Grässlichkeit des diesjährigen Frankfurter Aprilwetters, es draußen gerne wieder schöner sein darf.

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