Der kanadische Regisseur Norman Jewison scheute Zeit seines Lebens nie vor „heißen Eisen“ zurück, die ihm am Herzen lagen. So wurde der Südstaaten-Krimi „In der Hitze der Nacht“ zu seinem berühmtesten Werk. Weitere Erfolge mit sozialen Themen waren das Musical „Anatevka“ oder die Science-Fiction-Dystopie „Rollerball“. Als profilierter Filmemacher setzte Jewison aber ebenso überzeugend auch romantische Komödien wie „Mondsüchtig“ oder den Pokerfilm „Cincinnati Kid“ um.
In der schwelenden Hitze einer Südstaaten-Nacht des Jahres 1967 ließ der kanadische Regisseur Norman Jewison seinen Helden, gespielt von Sidney Poitier, einen Satz sagen, der einen langen Nachhall in der Kinogeschichte fand: „They call me Mr. Tibbs.“ Der Festgenommene entgegnet so selbstbewusst einem weißen Cop, der den schwarzen Mann fragt, wie man „einen wie ihn“ nennen solle. Virgil Tibbs ist in „In der Hitze der Nacht“ nicht nur ein Mann im eleganten Anzug, der seinen Stolz besitzt; er ist obendrein ein City Cop aus Philadelphia, den es bei einem Besuch bei seiner Mutter in das Städtchen Sparta in Mississippi verschlägt; dort ereignete sich aber ein Mord an einem wohlhabenden Geschäftsmann, als dessen Hauptverdächtiger Tibbs zunächst erscheint. Der erfahrene Ermittler wird vom örtlichen Sheriff Gillespie (Rod Steiger) aus der Gefängniszelle heraus engagiert, um das heimtückische Verbrechen aufzuklären.
Der missmutige Polizeichef aus der Kleinstadt und der coole Großstadt-Cop werden zu einem für diese Zeit im Mainstreamkino – erst drei Jahre zuvor war 1964 die berüchtigte Jim-Crow-Gesetzgebung außer Kraft getreten – durchaus ungewöhnlichen Filmpaar, das sich im Laufe der Handlung immer wieder gegenseitig aus der Patsche hilft. In einer Szene ohrfeigt Poitier sogar einen augenscheinlichen Südstaaten-Gentleman, der dem Ermittler obendrein verbal despektierlich und rassistisch zu Leibe rückt. Bei der „Oscar“-Verleihung im Jahr 1968, deren Feierlichkeiten aufgrund des Mordes an Martin Luther King um zwei Tage verschoben wurden, gingen sowohl Jewison als auch Poitier leer aus; doch „In der Hitze der Nacht“ gewann in fünf Kategorien, darunter als bester Film und für Rod Steiger als bestem Hauptdarsteller.
Soziale Probleme & gesellschaftspolitische Themen
Norman Jewison hat auch später erfolgreich viele unterschiedliche Filme wie „Thomas Crown ist nicht zu fassen“, „Anatevka“ und „Mondsüchtig“ gedreht. Mit „In der Hitze der Nacht“ aber wurde der Regisseur, der sich in seiner Laufbahn immer wieder sozialen Problemen und gesellschaftspolitischen Themen zuwandte, Zeit seines Lebens in Verbindung gebracht. Bereits mit 18 Jahren reiste der Kanadier im Anschluss an seinen Dienst bei der Royal Canadian Navy per Anhalter durch die USA. Bei einem Besuch in Memphis kam der junge Filmbegeisterte mit der strikten Rassengesetzgebung in Berührung. Weil sich Jewison im Bus arglos in den für Schwarze vorgesehenen hinteren Bereich setzte, wurde er vom Fahrer harsch zurechtgewiesen. Eine Episode, die, wie Jewison mehrfach erwähnte, den jungen Mann beschämte und für ihn immer prägte.
Der in Toronto geborene Sohn eines Kaufmanns entwickelte schon früh ein Interesse an verschiedenen Künsten. Er nahm Klavierunterricht, inszenierte Schultheaterstücke, schauspielerte und studierte am Royal Conservatory, wo sein Interesse fürs Showbusiness und für Musicals wuchs. Ein früher Auslandsaufenthalt bei der BBC in London ließ ihn Fernseherfahrungen sammeln, um im Anschluss im US-amerikanischen TV-Betrieb Fuß zu fassen. Jewison inszenierte TV-Specials mit Judy Garland und Harry Belafonte. Und schließlich auch Kinofilme, leichte Komödien, unter anderem mit Doris Day und James Garner („Was diese Frau so alles treibt“ und „Bei Madame Coco“).
Im klassischen Stil und publikumsnah
Seinen
Durchbruch als Regisseur feierte Norman Jewison ab 1965, in der Zeit der jungen
Wilden des „New Hollywood“-Kinos – Altman, Coppola,
Scorsese. Jewison hielt sich eher am Rand der neuen filmischen
Welle auf, inszenierte gerne klassisch und weniger explizit bei Gewalt und Sex.
Soziale Themen, die in seinen Filmen Eingang fanden, wollte er stets einem
Massenpublikum zugänglich machen. Das tat er später auch mit Filmen wie „F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“ (1978), „… und Gerechtigkeit für alle“ (1979) und „Sergeant Waters - Eine Soldatengeschichte“ (1984).
Auch in dem Film „Cincinnati Kid“ (1965) mit dem lässigen Steve McQueen in der Hauptrolle verschlug es Jewison bereits in den von Rassenspannungen geprägten Süden des Landes, nach New Orleans. Der Film folgt ein paar fiebrigen Tagen im Leben eines Pokerasses, das schließlich mit Edward G. Robinson, „The Man“, seinem Meister begegnet.
„Cincinnati Kid“ ist einer der besten Pokerfilme überhaupt. Jewison zeigt darin seine Zuneigung für Loser, die er faszinierender fand als die Gewinner des sozialen Spiels. „You tried too hard, man“, lässt die alte Leadsängerin einer Bluesband den Protagonisten wissen. Eigentlich sollte Sam Peckinpah das in der Depressionszeit angesiedelte Drama inszenieren. Doch die Produzenten schmissen ihn zugunsten von Jewison hinaus. Beim Publikum und der Kritik kam „Cincinnati Kid“ gut an und bereitete dem Kanadier den Weg zu „In der Hitze der Nacht“, der zwei Jahre später entstand. Mit Steve McQueen drehte Jewison 1968 auch den Heist-Film „Thomas Crown ist nicht zu fassen“, in dem McQueen an der Seite von Faye Dunaway das perfekte Verbrechen plant.
1971 ließen United Artists Jewison die Verfilmung des Broadway-Musicals „Fiddler on the Roof“ übernehmen, dessen Dreharbeiten den Regisseur abermals nach Europa, nämlich nach Jugoslawien führten. Die Adaption des Bühnenstücks mit Chaim Topol in der Hauptrolle erzählt die Geschichte des jüdischen Schtetls Anatevka während der Zeit des zaristischen Russlands und seiner Bewohner, die von Antisemitismus, Vertreibung und Pogromen bedroht werden. Die bombastische Filmmusik arrangierte John Williams, und der Stargeiger Isaac Stern spielte als Violinist auf. „Tradition“ lautet eines der bekanntesten musikalischen Themen des Films, das auch erklingt, als die vertriebenen jüdischen Bewohner Anatevkas auswandern und sich in ihre neuen Heimatländer begeben. Norman Jewison blieb dem Musical damals verbunden und drehte gleich im Anschluss „Jesus Christ Superstar“ (1971), das er wie alle seine Filme nach „In der Hitze der Nacht“ selbst produzierte.
Von immenser Vielseitigkeit
Seine immense Vielseitigkeit als Regisseur stellte Jewison unter anderem auch 1975 in der Science-Fiction-Dystopie „Rollerball“ unter Beweis, die einige ihrer Kulissen in der just zu den Olympischen Spielen entstandenen Architektur in München fand. In einer gar nicht allzu fernen Zukunft haben in „Rollerball“ anstelle von Nationalstaaten große Unternehmen das Sagen. Sie veranstalten Blutspiele zur Volksbelustigung, um den Systemerhalt zu sichern. James Caan trat in der cleveren Mediensatire als alternder Brot-und-Spiele-Champion auf, den seine Bosse am liebsten loswerden wollen. Für seine ruhige und besonnene Schauspielerführung war Jewison stets bekannt. Stars wie Michael Caine, Al Pacino und Denzel Washington gehörten zu seinen Besetzungen.
Die romantische Komödie „Mondsüchtig“ (1987) zählte zu den großen kommerziellen und auch kritischen Erfolgen des „Meister-Handwerkers“, wie der Filmkritiker Roger Ebert den über Genregrenzen hinweg umtriebigen Regisseur zu bezeichnen pflegte. Drei „Oscars“ erhielt die romantische Komödie mit Cher und Nicolas Cage in den Hauptrollen, die von einer nicht ganz unerwarteten Liebesaffäre der beiden Italo-Amerikaner handelt. Eigentlich will die von Cher gespielte Loretta ihren etwas spröden Freund Johnny (Danny Aiello) heiraten, doch dann macht sie die Begegnung mit dessen Bruder Ronny (Nicolas Cage). Ihren großen Abend haben die beiden schließlich in der New Yorker Metropolitan Opera, bei „La Boheme“. Auch bei den Golden Globes und Baftas räumte Jewisons stimmungsvolle Komödie seinerzeit ab.
1994 folgte eine weitere romantische Komödie, „Only You“, ehe sich Jewison mit „Hurricane“ wieder einem ernsteren Stoff zuwandte, der Geschichte eines zu Unrecht wegen Mordes verurteilten Boxers (Denzel Washington). „Filme, in denen es um Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit geht, liegen mir am meisten am Herzen“, erklärte er. Der sehr schöne Titel seiner Autobiografie, die im Jahr 2004 erschien, soll nicht unerwähnt bleiben: „This Terrible Business Has Been Good to Me“. Norman Jewison starb am 20. Januar im Alter von 97 Jahren in Los Angeles.