Rund 25 Jahre, nachdem sie mit „The Virgin Suicides“ erstmals von sich reden machte, sorgt Sofia Coppola derzeit mit ihrem neuen Film „Prisiclla“ für Aufsehen. Einmal mehr setzt sich die Filmemacherin darin mit einer weiblichen Coming-of-Age-Geschichte auseinander und blickt aus weiblicher Perspektive auf ein Stück Popkultur. Mit ihren Arbeiten ist sie zur Wegbereiterin für eine neue Generation von Filmemacherinnen mit eigenen Perspektiven, Visionen und Ausdrucksweisen geworden.
Ein Bekleidungsgeschäft wird zum Laufsteg und damit zum Ort einer Metamorphose. Genau hier ist schon in vielen Filmen aus dem unscheinbaren Mädchen von nebenan eine Prinzessin geworden. Für die 14-jährige Priscilla Beaulieu geht dieser Traum sogar noch etwas wörtlicher in Erfüllung, denn vor der Umkleide wartet der King of Rock’n’Roll. Mit seiner Entourage lümmelt Elvis Presley auf Plüschsofas herum, und die Männer mustern das Mädchen von oben bis unten, wenn es in einem neuen Outfit auftritt. Schüchtern und doch geschmeichelt steht die junge Frau im Rampenlicht.
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Die amerikanische Filmemacherin Sofia Coppola lugt in ihrem neuen Film „Priscilla“ hinter die Kulissen dieses Teenagertraums der Marke Elvis Presley. Sie rückt dabei jedoch die Perspektive seiner späteren Ehefrau in den Fokus. Als Priscilla und Elvis sich 1959 kennenlernen, ist sie erst 14, er 24 und schon ein Megastar. Da prallen Welten aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein könnten, und es entsthet von Anfang an ein ungleichgewichtiges Machtverhältnis zwischen erwachsenem Mann und minderjährigem Mädchen, zwischen Star und Fan, zwischen neureichem Aufstieg und bürgerlicher Herkunft. Das Biopic basiert auf Priscilla Presleys 1985 veröffentlichter Autobiografie „Elvis and Me“.
„Das hier gefällt mir,“ sagt Priscilla nach einigen Outfitwechseln und schaut an sich herunter. Elvis verzieht das Gesicht und scheucht sie zurück in die Umkleide: „Ich hasse Braun.“ Erst als sie in Blau- und Goldtönen erscheint, entfährt ihm ein wohlwollendes Pfeifen. Elvis steht auf, stellt sich vor sie hin und hält ihr Gesicht in den Händen: „Schwarze Haare und mehr Makeup würden deine Augen noch mehr betonen!“, beschließt er. Das lächelnde Mädchen nickt verliebt. Die Einkaufstour entpuppt sich letztlich für Priscilla als komplettes Make-over. Der ikonische Stil aus Katzenaugen, hoch aufgetürmter Bouffant-Frisur und glamourösen Outfits ist seither in die Modegeschichte eingegangen.
Sofia Coppola interessiert sich jedoch weniger für die faktische Überprüfbarkeit der Popgeschichtsschreibung als für die Entstehung der allgegenwärtigen Bilder – die Inszenierung, die dahinter liegende Erwartungshaltung, das Streben nach Perfektion. So wird die Geburt dieser Ikone in „Priscilla“ zu einem ambivalenten Ereignis und macht die alles bestimmende Maske sichtbar: Priscilla, die zukünftige Queen of Rock’n’Roll, auf dem Reißbrett einer größer angelegten Marketingstrategie entworfen. Die Szene bekommt damit einen bitteren Beigeschmack. Modenschau, Casting oder Escortservice – ganz klar ist das Setting nicht, denn die sprunghafte Stimmung des Königs bestimmt das Ambiente.
Girlhood zwischen Rollenbildern und Schwärmereien
Szenen wie diese spielen in Sofia Coppolas Filmen immer eine wichtige Rolle: Anproben von Kleidern, Frisuren und Makeup sind auch immer auch ein Ausprobieren von Identitäten – und dem Versprechen, dass diese einen anderen Menschen kreieren können. Marie Antoinette lässt im gleichnamigen Biopic über die berüchtigte Königin (2006) regelmäßig Perückenmacher und Schneider anrücken, um der Mode voraus zu sein und sich in ihrem durchgetakteten Leben am französischen Königshof eine eigene kleine Welt zu schaffen. Sowohl die Schülerinnen als auch die Lehrerinnen eines Südstaaten-Internats werfen sich in „Die Verführten“ (2017) während des amerikanischen Sezessionskriegs für einen Soldaten der Nordstaaten in Schale und buhlen um seine Aufmerksamkeit. In „The Bling Ring“ (2013) rasten jugendliche Einbrecherinnen beim Anblick von Paris Hiltons wohnzimmergroßem Schuhschrank regelrecht aus. Näher werden sie ihrem Idol wohl nie wieder kommen und staksen in exklusiven Luxus-High-Heels vom Tatort. „The suspects wore Louboutins“ lautet der Titel der Reportage, die Sofia Coppola zu diesem Film inspirierte. Auch hier interessiert sie weniger der unumstößliche Tatbestand als die emotionalen und sozialen Mechanismen, die am Werk sind.
Das klingt trocken und analytisch, doch Coppola schwelgt visuell in Erinnerungen an das überbordende Gefühlschaos und die wilden Träumereien junger Mädchen und Frauen – merkwürdig anti-nostalgisch wirkt das, vielleicht auch weil genau diese Bilder noch nicht in das kollektive Gedächtnis und somit die Vorstellung von Erwachsenwerden eingegangen sind: So lässt sie etwa die Kamera gerne in den Privaträumen ihrer Protagonistinnen schweifen, an den Kosmetikprodukten vor Schminkspiegeln entlang, an aus den Schränken gerissenen und nach dem Anprobieren auf den Boden geworfenen Kleidungsstücken, an Schallplatten, Deko-Gegenständen, handschriftlichen Notizen und Tagebüchern. Diese Kinder-, Bade- und Schlafzimmer werden durch Coppolas Blick zu gleichermaßen chaotischen wie dauerbespielten Gedanken- und Entwicklungsräumen. Für ihre Protagonistinnen macht sie diese greifbar und für ihr Publikum emotional zugänglich.
Die „Girlhood“ ist in Kunst und Medien bisher seltener aufgetaucht als die Adoleszenz von Jungen. Der vorherrschende männliche Blick, der „male gaze“, hat über Jahrhunderte das Bild von Frauen bestimmt und auch lange die Filmgeschichte mitgeprägt. Sofia Coppola spiegelt dieses einseitige Bild in ihren Filmen zwar wider, jedoch um den Blick der Männer selbst in den Fokus zu nehmen und ihn postwendend um eine eigene Perspektive zu ergänzen. Die Titelsequenz in „Lost in Translation“ (2003) mit langem Verharren auf der Rückenansicht von Scarlett Johansson in Unterwäsche etwa ist angelehnt an Brigitte Bardots Nacktszene in Jean-Luc Godards „Die Verachtung“ (1963). Marie Antoinettes erster Auftritt wirkt wie ein Tableau vivant aus einem Werbefoto von Guy Bourdin. Coppola registriert und kuratiert diese Inszenierungen, fügt jedoch eine wichtige Perspektive hinzu, indem sie die Kamera auch auf den bewundernden, oft auch verwunderten Blick der Jungen und Männer richtet: den verstohlenen Blick eines Schulkamerads, der in „The Virgin Suicides“ (1999) in einen Badezimmerschrank lugt und mit großen Augen den beeindruckenden Tampon-Vorrat im Haushalt der fünf Lisbon-Schwestern findet, oder den amüsiert-besorgten Blick des abgehalfterten Schauspielers Bob Harris, der in „Lost in Translation“ ein herumliegendes Selbsthilfe-Hörbuch seiner Bekanntschaft Charlotte begutachtet.
Der Blick hinter die Maske
In „Priscilla“ nun reinszeniert Coppola nicht nur ikonische Fotos des Ehepaars, sondern auch die Entstehung ebenjener Bilder aus Priscillas Sicht: Die Traumhochzeit vor sechsstöckiger Torte, der erste Schritt aus der Entbindungsklinik in perfektem Outfit und Makeup – und eine ganze Serie von offiziellen Familienfotos vor goldenem Vorhang. Auf den Bildern strahlen Elvis, Priscilla und die noch kleine Tochter Lisa-Marie in die Kamera. Zwischen den Knipsern des Fotografen jedoch zeigt Coppola einen Elvis Presley, der als einziger auf einem Sessel platziert ist. Frau und Kind bringt er wie Requisiten in Position, um sich selbst als Familienmenschen zu inszenieren. Priscilla kniet, hockt und lehnt angestrengt neben ihm und lächelt statt von Herzen nur auf Knopfdruck. Erstaunlich heutig wirken diese Szenen, denn sie erinnern an die ironischen Making-ofs von scheinbar perfekten Social-Media-Inszenierungen – „Insta vs. Reality“ mit Elvis und Priscilla. Ihr Traum vom Prinzessinnendasein an der Seite des Kings ist schon früh von Dissonanzen durchzogen. Elvis glorifiziert das Mädchen zur engelhaften Kindfrau und macht sie zum Accessoire seines Stils. Für Priscillas eigene Persönlichkeit ist kein Platz vorgesehen.
Wie die anderen Frauen in Sofia Coppolas Filmen ist sie sich bewusst, dass Männer sie immer und überall anschauen und beobachten. Nur wenn sie unter sich sind, können sie die Masken fallen lassen. Für Priscilla wird selbst das irgendwann ein Ding der Unmöglichkeit, da sie im paradiesischen Graceland einsam auf Elvis warten muss, während dieser sich auf Tour selbst verwirklicht. Die junge Frau ist letztlich auf sich selbst zurückgeworfen.
In dieser Rolle hat Priscilla in Coppolas bonbonbuntem Biopic über Marie Antoinette eine Schwester im Geiste. Wie Priscilla wird diese als Vierzehnjährige zur repräsentativen Anziehpuppe im goldenen Käfig stilisiert, mit zahleichen Pflichten, aber ohne persönliche Rechte. Schon beim ersten Betreten von französischem Boden muss die junge Österreicherin sich symbolisch bis aufs Hemd entkleiden und selbst ihre engsten Vertrauten zurücklassen. Aus einer selbstständigen Persönlichkeit wird in diesem Moment eine Projektionsfläche für den zukünftigen König und das französische Volk.
Ihre Morgentoilette gleicht in einer absurden Verschärfung des Ankleide-Rituals einem öffentlichen Spektakel. Die jeweils ranghöchste Dame darf sie anziehen, was am ersten Morgen in einer regelrechten Farce ausartet: Immer noch wichtigere Hofdamen und Adelige machen der neuen Prinzgemahlin die Aufwartung und müssen das gezückte Unterhemd weiterreichen – Marie Antoinette steht derweil nackt und vor Kälte schlotternd vor ihrem Publikum und muss freundlich lächeln. Coppola zelebriert die Absurdität solcher Szenen und macht deutlich, wie kulturelle Mythen und Rollenbilder diese Frauen kleinhalten – sei es die klassische Monarchie, eine politische Ehe oder eine Gesellschaft, die regelrecht besessen ist von Stardom und fixiert auf das perfekte Image. Dass Marie Antoinette letztlich gerade wegen ihrer überbordenden Mode-Eskapaden als oberflächlich und klassistisch gilt, liest Coppola als systemischen Fallstrick: Der Königshof macht sie zur Projektionsfläche und bestraft sie letztlich dafür, dass sie nach den Regeln spielt und diese für sich selbst nutzt.
Überväter, Don Juans und Muttersöhnchen
Die Schwierigkeiten beim Navigieren zwischen privaten und öffentlichen Rollen, als Tochter, Ehefrau, Mutter, Model und Filmemacherin kennt Coppola selbst nur zu gut, stammt sie doch aus einer royalen Hollywood-Familie. Ihr Vater Francis Ford Coppola läutete mit Filmen wie „Der Pate“ (1972) und „Apocalypse Now“ (1979) ein neues Hollywood-Zeitalter ein und dominierte somit auch die Wahrnehmung seiner Tochter. Erste schauspielerische Versuche führten für Sofia Coppola vor die Kamera ihres Vaters, allerdings lange belächelt; ihr Auftritt in „Der Pate III“ (1990) wurde als eine der schlechtesten schauspielerischen Leistungen verhöhnt. Auch ihre Mutter Eleanor fungierte lange Jahre im Hintergrund als Dokumentaristin der Projekte ihres Mannes, etwa der desaströsen Dreharbeiten zu „Apocalypse Now“ (1979), die sie in der sehenswerten Studie „Hearts of Darkness – Reise ins Herz der Finsternis“ (1991) festhielt.
Fahrwasser oder Schatten, Fluch oder Segen – oft sind derlei Familienkonstellationen eine Mischung aus beidem. Eleanor schwamm sich mit über 80 Jahren frei und drehte die sentimentale Beziehungskomödie „Paris kann warten“ (2016) über die vernachlässigte Ehefrau eines Filmproduzenten. Sofia Coppola verarbeitete ihre gescheiterte Ehe mit dem Filmemacher Spike Jonze in „Lost in Translation“. Übergroße Vaterfiguren nehmen in fast allen ihrer Filme eine zentrale Rolle ein.
Der Clou an ihrem Zugang jedoch ist, dass sie solch bestimmende Figuren weniger zu Antagonisten formt, sondern die Frauenfiguren zu treibenden Kräften entwickelt, die auch ihre Ehemänner und Väter mitreißen. Coppolas Männerfiguren sind zwar oft in der Krise, aber immer selbstverschuldet, auch wenn sie das natürlich anders sehen. Bob Harris hat seine Ehe durch konstante Abwesenheit beschädigt, Marie Antoinettes Prinzgemahl glänzt durch Infantilität, und der Schauspieler Johnny Marco muss im tragikomischen „Somewhere“ (2010) seine Rolle im Leben seiner Tochter Cleo neu definieren. Als Wochenend-Vater kommt er zwar mit seiner Show als Entertainer und jung gebliebener Lebemann durch, muss jedoch einsehen, dass er Cleo nicht dauerhaft mit Computerspielen und nächtlichen Eisbestellungen beim Room-Service kaufen kann – aber auch nicht muss. Cleo lehrt ihn durch ihr Grundvertrauen, dass gemeinsam totgeschlagene Zeit am Pool und selbst zubereitetes Frühstück viel mehr wert sind als flüchtiges und oft einsames Stardom.
Schon früh nimmt Sofia Coppola die Krise der Männlichkeit vorweg, die Ende der 2010er-Jahre ihren Höhepunkt erreichen würde. Figuren wie Bob Harris und Johnny Marco funktionieren ja auch deshalb so gut, weil Coppola die Rollen mit Schauspielern besetzte, die selbst schon über den Zenit ihrer Karrieren waren. Sie verhalf Bill Murray und Stephen Dorff damit zu kleinen Comebacks, entlarvt jedoch die Allüren ihrer Charaktere als das, was sie sind. Bill Murray machte aus dem Figurentypus des ältlichen Don Juan dann ein eigenes Geschäftsmodell, wiederholte ihn in Jim Jarmuschs „Broken Flowers“ (2005), nur um von Frauenfiguren immer und immer wieder ausgestochen zu werden. Zuletzt in „On the Rocks“ (2020), in dem der angeschlagene Frauenheld auf eine Welt prallt, in der „#MeToo“ bereits stattgefunden hat und er wie ein Relikt wirkt.
Coppolas Fokus hat sich mit den Jahren von den Vätern auf die Töchter verlagert, in einer natürlichen Fokusverschiebung und Weiterentwicklung der Frauenfiguren. Aus Teenagern sind erwachsene Frauen geworden, während die Männer meist unreif bleiben. Auch Elvis wird durch Priscillas Augen zum Muttersöhnchen, das immer seine Eltern anruft, wenn etwas nicht so läuft, wie er es sich vorgestellt hat. Die Frauen erkennen schneller, dass sie erst zu sich selbst finden können, wenn sie aufhören, auf die Männer zu warten, und anfangen, selbstbestimmt zu handeln.
Von der Anziehpuppe zur Persönlichkeit
Marie Antoinette und Priscilla sind damit sicherlich auch Vorreiterrinnen für Greta Gerwigs „Barbie“ (2023) über die Weltherrschaft einer als Anziehpuppe vermarkteten Frau – ein Film, der Sofia Coppola viel zu verdanken hat, sowohl in seiner ironischen Haltung und haarscharfen Analyse als auch in seiner Filmsprache voller überbordender Visualität und dem lustvollen Eintauchen in Popkultur aus weiblicher Sicht. Sofia Coppola, das wird nun 25 Jahre nach ihrem ersten Film endlich deutlich, ist eine Wegbereiterin für eine neue Generation von Filmemacherinnen mit eigenen Perspektiven, Visionen und Ausdrucksweisen, einer eigenen Filmsprache. Kein Wunder also, dass sie nun ihrerseits zitiert wird, etwa von der Britin Charlotte Wells, die mit „Aftersun“ (2022) zwar ein eigenes Urlaubserlebnis verfilmte, sich visuell jedoch vor „Somewhere“ verneigt.
Coppolas Blick auf die Frauen ist lebensnah und fantasievoll zugleich, weil er aus eigener Erfahrung stammt. Sie gießt die Sorgen, Nöte und Ängste, aber auch die Interessen, Träume und Schwärmereien in Bilder und Sounds, die historisch frei flottieren und gerade deshalb die generationenübergreifenden Emotionen ihrer Figuren so genau treffen. Deshalb bewegt Marie Antoinette sich auch zu modernem New Wave und Post Punk durch Versailles, hat fliederfarbene Converse-Sneaker zwischen ihren prunkvollen Prinzessinnenschuhen und schert sich wenig um die Etikette bei Hof. Diese Anachronismen brechen starre Strukturen auf, weniger revisionistisch als ironisch und mit einem kleinen, aber feinen Perspektivwechsel, dessen Auswirkungen größer nicht sein könnten. Und so ist es nur folgerichtig, dass sich in Priscillas einsamem Leben auf Graceland zwar an der Oberfläche alles um die Hochs und Tiefs des Kings of Rock’n’Roll dreht. Elvis taucht jedoch kaum auf – und deshalb auch kein einziger seiner Songs.