© Netflix ("Die Mitchells gegen die Maschinen")

Filmglück für Kinderaugen - „Drachen reiten. Freunde finden. Älter werden“

Mit viel Erfahrung und ebenso viel Liebe stellt Horst Peter Koll in seinem Buch „Drachen reiten. Freunde finden. Älter werden“ Kinderfilme für alle Altersgruppen vor.

Veröffentlicht am
17. November 2024
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In der Flut an Medienangeboten, die es derzeit für Kinder gibt, die Spreu vom Weizen zu trennen, ist für Eltern oft die Quadratur des Kreises. Abhilfe schafft nun Kinder- und Jugendfilmexperte Horst Peter Koll: In dem Band „Drachen reiten. Freunde finden. Älter werden“ versammelt er eine hervorragende Auswahl an Filmtipps für junge Zuschauer:innen – allesamt verfügbar bei diversen Streamingportalen.


Eltern haben’s nicht leicht, wenn der Nachwuchs ins filmtaugliche Alter kommt. Das Angebot an Filmen, Serien und anderem audiovisuellem Süßkram ist riesig, die Kataloge der Streaming-Plattformen so unüberschaubar wie undurchschaubar. Wer hat da schon rasch den für dieses Alter, diese Stimmung, gar noch diese Jahreszeit passenden Kinderfilm parat?

Doch gemach, Hilfe naht! Mit seinem fast 400 Seiten starken Band „Drachen reiten. Freunde finden. Älter werden“ legt Horst Peter Koll zahlreiche „Entdeckungen für junge Filmfans“ in Elternhände. Vom Einband blicken freundlich grüne Augen aus einem Blätterwald, eine Szene aus „Das Geheimnis von Kells“, und eigentlich kann man sich schon da sicher wähnen, hier in guten Händen zu sein.

Schon der Autor garantiert das: Koll war lange Jahre Chefredakteur beim Filmdienst, Redakteur der Kinder- und Jugendfilmkorrespondenz und kuratiert jetzt bei filmfriend, dem Streaming-Portal der Öffentlichen Bibliotheken, das hervorragende Kinderfilmprogramm. Ein Kenner der Materie also, viel mehr aber noch: ein leidenschaftlich Begeisterter.


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Mit viel Gefühl dafür, was das junge Publikum anspricht

Das sieht er auch selbst so und schreibt es im Vorwort: „‘Filmkritiken‘ im eigentlichen Sinne sind die Texte in diesem Buch eher nicht. […] Lieber habe ich mich vorbehaltlos auf die Seite eines Films gestellt, auch wenn ich dabei die eine oder andere Schwäche stillschweigend unerwähnt lasse.“

Bewertungen der einzelnen Filme lassen sich gelegentlich aus den Texten schon extrahieren, sie stecken in einzelnen Sätzen, Worten, gelegentlich auch nur zwischen den Zeilen. Womöglich würde man nicht alle Filme des Buches unbedingt auf Bestenlisten platzieren wollen (Koll schwärmt davon, keinen Kanon liefern zu müssen) – zunächst aber ist seine Herangehensweise charmant, in jedem Film vor allem zu suchen, was das junge Publikum anspricht oder ansprechen könnte.

Schöner, aber auch schön gruseliger Klassiker: "Hexen, hexen" (© Warner Bros. Entertainment Inc.)
Schöner, aber auch schön gruseliger Klassiker: "Hexen, hexen" (© Warner Bros. Entertainment Inc.)

Schade ist höchstens, dass dabei auch der eine oder andere pädagogische Hinweis verloren geht, der für Eltern hilfreich sein könnte: Dass Disneys „Peter Pan“ etwa kaum noch erträgliche rassistische Stereotype enthält. Oder wie wirklich verstörend „Watership Down“ und „Hexen hexen“ sein können, kann man aus dem Text nur erahnen – man sollte auch die wirklich sinnvollen Altersempfehlungen beachten, die Koll jedem Film mitgibt.


Von „Träumerisch!“ bis „Wirklich!“

Das Buch beginnt mit einigen Filmen (sowie Serien und Kurzfilmen) für die ganz Kleinen ab 4 und endet mit einem kleineren Schwung Jugendfilme, dazwischen gibt es mit Ausrufezeichen versehene Abschnitte zu vielen verschiedenen Themensetzungen („Fremd!“, „Freundlich!“, „Träumerisch!“, „Spannend!“ usw.), auch für gruselige und weihnachtliche Filme ist gesorgt.

Besonders erfreulich ist, dass unter „Wirklich!“ auch eine ganze Reihe kindertauglicher Dokumentarfilme vorgestellt werden, die auch ästhetisch weit jenseits des normalen Fernseh- und YouTube-Programms liegen. (Ein doppelter Filmindex – einmal alphabetisch, einmal nach Altersempfehlung sortiert – sorgt ganz am Schluss unter „Ordentlich!“ für Orientierung.)

"Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer" (© Warner Bros.)
"Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer" (© Warner Bros.)

In der Regel stellt Koll einen für ihn wichtigen Film auf einer Seite vor und ergänzt diesen dann noch mit zwei thematisch verwandten oder sonst passend interessanten Filmen auf der gegenüberliegenden Seite. Das ist manchmal naheliegend („Momo“ neben „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“) und manchmal überraschend („Die Mitchells gegen die Maschinen“ führt zu einem Verweis auf „Wir sind die Millers“), auf jeden Fall eine schöne Idee, die sich auch nicht nur mit oberflächlichen Ähnlichkeiten aufhält à la „Wenn Ihnen XX gefallen habt, werden Sie auch YY mögen“ (wie sie oft die Algorithmus-basierten Empfehlungen der Streamingdienste liefern), sondern die angerissenen Themen, den Horizont erweitert.


Eine Schlagseite zu europäischen und US-Filmen

Die zentrale Beschränkung, die Koll sich auferlegt hat: Die Filme müssen als Streaming-Angebot bei einer der gängigen Plattformen problemlos erreichbar sein. Da das Buch vor allem als Ratgeber für Eltern funktionieren kann, ist das ein sinnvolles Kriterium, das aber natürlich sogleich seine eigenen Schwierigkeiten produziert. Ältere und zugleich weniger bekannte Kinderfilme findet man oft im Streaming noch nicht, ebenso wenig wie Kinderfilme aus dem nicht-japanischen Asien und dem globalen Süden. Und so ist es kein Wunder, dass die Auswahl in „Drachen reiten. Freunde finden. Älter werden“ eine gewisse Schlagseite zu europäischen und amerikanischen Filmen aus den letzten 25 Jahren hat.

Mit in der Auswahl: "Nimona", 2023 bei Netflix gestartet ( )
Mit in der Auswahl: "Nimona", 2023 bei Netflix gestartet (© Netflix)

Auf diese Weise fehlen zum Beispiel fast alle Erich-Kästner-Verfilmungen bis auf die um die Jahrtausendwende entstandenen – aber ganz aktuelle Streaming-Produktionen wie der zu Unrecht untergegangene „Nimona“ und „Schlummerland“ sind dabei. Darüber hinaus gibt es viele schöne deutsche Filme zu entdecken, die ja oft genug (und, wie Kolls Beispiele zeigen, zu Unrecht) auch keinen allzu guten Ruf genießen; er präsentiert zum Beispiel auch gelungene Filme aus den fürs Fernsehen produzierten Märchenreihen.

Man möchte dieses Buch in alle Familien tragen; mit den zahlreichen Filmbildern, dem sehr persönlichen Essay von Kinderbuchautor Andreas Steinhöfel zur Einleitung, der klaren Struktur lädt es zum Schmökern, zum Entdecken, zum Drachenreiten ein – eine Einladung zu entschlossenen ersten Schritten in die Cinephilie.

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