Im Alter von 74 Jahren ist der Filmemacher und Künstler Christoph Böll am 7. Oktober verstorben. Sein umfangreiches Filmwerk zählt über 100 Werke, darunter Spiel- und Dokumentarfilme, aber auch viele Experimentalfilme. Der Neffe des Schriftstellers Heinrich Böll arbeitete sich darin auch immer wieder an seinen kirchlichen Traumata ab, fand zuletzt aber einen neuen künstlerischen Zugang zum Religiösen.
Am 7. Oktober 2023 ist der Filmemacher und Künstler Christoph Böll nach langer, schwerer Erkrankung im Alter von 74 Jahren verstorben. Er hinterlässt ein umfangreiches Filmwerk, das aufgrund Bölls unermüdlicher Produktivität ziemlich unüberschaubar ist. Er selbst listete an die 100 Arbeiten auf, darunter Spielfilme, Dokumentarfilme, Essayfilme, Experimentalfilme, aber auch Miniaturen in den Bereichen Imagefilm und Musikvideo. Bis zuletzt hat er überdies frühere Filme immer wieder neu bearbeitet oder Filme in verschiedenen Fassungen erstellt.
Der 1949 in Köln geborene Künstler, dessen Vater der ältere Bruder von Heinrich Böll war, verließ 1970 seine Heimatstadt Köln, um an der Bochumer Ruhr-Universität zu studieren. Im Studienkreis Film begann er mit filmischen Experimenten auf Super 8. Damit eröffnete sich ihm ein Experimentierfeld, das er schon bald virtuos beherrschte. Der erste neunminütige Film trug den Titel „Christkind kommt“ (1972). Rund 25 Filme auf Super 8 entstanden bis 1984.
Ausbruch aus der Enge
Der für ihn persönlich wichtigste Film war „A 604“ (1976). Der Filmtitel bezog sich auf die Nummer seines Zimmers im Studentenwohnheim und war ein Etikett für Bölls Gefühl des ausweglosen Eingesperrtseins. Auch sein vielleicht bester Film aus dieser Zeit, „Wie schön ist doch der Blick aus meinem Fenster“ (1977), nutzte sein Studentenzimmer als Setting. Eine expressionistische Selbstbeschreibung in Form einer virtuosen Etüde von 19 Minuten Länge, die einen imaginativen Ausbruchsversuch beschwört, auf suggestive Weise unterlegt mit psychedelischer Musik der Band „Tangerine Dream“.
38 Jahre später war es eine für ihn glückliche Fügung, als 2015 im Rahmen einer ihm gewidmeten großen Filmschau im Osthaus Museum Hagen frühere Mitglieder von „Tangerine Dream“ in einem Live-Konzert die Musik zu seinem neuesten, einmal mehr sehr experimentellen Film „Kirmes“ beisteuerten, was zu einem rauschhaften Erlebnis wurde. Mit der aus ehemaligen Mitgliedern der Bands „Tangerine Dream“ und „Birth Control“ neu formierten Band „Dream Control“ ergab sich im Weiteren eine fruchtbare Zusammenarbeit.
Nach seinen Super-8-Anfängen in der Studentenzeit drehte Christoph Böll 1983 seinen ersten Spielfilm, die Filmsatire „Der Sprinter“. Eine zweite Spielfilm-Satire, „Sisi und der Kaiserkuß“, folgte 1990 mit Stars wie Bernadette Lafont und Jean Poiret in Charakterrollen.
Werke in eigener Verantwortung
Nach dem kommerziellen Misserfolg von „Sisi und der Kaiserkuss“ wandte sich Christoph Böll mehr und mehr dokumentarischen Themen zu. So entstanden in den 1980er-Jahren dokumentarische Filmessays über seine Geburtsstadt Köln („Un sin d’r Dom su vör mir ston…“) und über das Ruhrgebiet als seiner neuen Heimat („Von einem, der auszog … ins Ruhrgebiet“). In der Folgezeit stellte Böll Filme vorzugsweise in Eigenproduktion her und blieb auf diese Weise meist für Produktion, Regie, Buch, Kamera und Schnitt allein verantwortlich.
Wiederholt arbeitete er in Filmzyklen. Zwischen 2002 und 2004 entstand ein siebenteiliger dokumentarischer Filmzyklus über den informellen Maler Hänner Schlieker, der für Christoph Böll schon früh zu einem künstlerischen Mentor geworden war; nach dem Tod des väterlichen Freundes widmete er ihm 2006 einen elegischen Epilog. Zwischen 2006 und 2012 folgte unter dem Titel „Sehenden Auges“ ein weiterer dokumentarischer Filmzyklus als Hommage an den Bochumer Kunsthistoriker Max Imdahl, bestehend aus einem Hauptfilm und sieben Satellitenfilmen.
Die Traumata seiner Kindheit
Daneben entstanden aber weiterhin
experimentelle Arbeiten. Zu den beeindruckendsten Werken aus dieser Zeit zählen
neben dem „Kirmes“-Film der dreiteilige Zyklus „Sinnlichkeit Stahl“ (2004-06) sowie
„Requiem für eine Kirche“ (2012), worin Böll auf experimentelle Weise den
Abriss einer Klosterkirche in Bochum dokumentiert. Auch „Requiem für eine
Kirche“ ist ein Schlüsselfilm, in dem Böll mit den kirchlichen Traumata seiner
Kindheit ins Reine kam.
In seinem Spätwerk mehrten sich auffällig kirchliche Themen, doch Spuren des Religiösen durchziehen sein ganzes Werk, was sich ja schon in seinem allerersten Film auf Super-8 andeutete: „Christkind kommt“.
Hinweis
Auf filmdienst.de sind zwei Texte zu Christoph Böll erschienen: ein Essay mit dem Titel „Zwischen Satire und Experiment“, das ausführlich der Werkgeschichte Bölls nachgeht und seine Filmästhetik beschreibt, die „auch vor Momenten der Erleuchtung oder einer sakralen Aufladung“ nicht zurückschreckte. In einem langen Interview „Experimente im kirchlichen Raum“ gibt Böll bereitwillig Auskunft über sein künstlerisches Grundverständnis und das Konzept seines 90-minütigen Films „Vere homo“, der anlässlich des Evangelischen Kirchentags 2019 in Dortmund entstanden ist.