Mit seinem markerschütternden Auftritt in Luc Bessons „Dogman“ könnte sich Caleb Landy Jones erstmals auf „Oscar“-Kurs befinden. Der 1989 in Texas geborene Schauspieler wurde mit seiner Nebenrolle in „X-Men: Erste Entscheidung“ einem breiteren Publikum bekannt, hat sich aber seitdem eher im Independent-Kino auf abgründige, beschädigte Charaktere spezialisiert. Ein Porträt.
Als Red Welby von einer schroffen Frau im Blaumann aufgesucht wird, ist er gerade in seine Lektüre vertieft. Natürlich liest er nicht wirklich, vielmehr wirft er hinter den Buchseiten – die Füße liegen auf dem Schreibtisch – einen verstohlenen Blick in sein Büro. Sein verdruckster Auftritt als Werbetafelverkäufer in Martin McDonaghs „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (2017) ist für den Schauspieler Caleb Landry Jones fast schon charakteristisch. Seine Figuren betreten die Filme meist etwas verkorkst, mit gespanntem Körper, verstört oder aus der Fassung.
Das Buch, das Welby als Spähschutz dient, lässt
sich rückblickend sogar wie eine Art Résumé seines Rollenprofils lesen. Schließlich
versammelt die Kurzgeschichte „A Good Man is Hard to Find“ (1953) von Flannery
O’Connor zahlreiche Motive und Themen, die in Caleb Landry Jones’ Filmografie
zu finden sind: der Mensch als gefallene Kreatur, eine pathologische Figur,
Momente von Groteske, Southern Gothic.
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Mit seinen roten Haaren, der durchscheinenden,
von Sommersprossen übersäten Haut und dem stechenden Blick aus glasigen, immer
etwas fiebrig wirkenden Augen zählt Caleb Landry Jones zu den markantesten Gesichtern im US-Independent-Kino der
letzten Jahre. Es gibt wenige Schauspieler, die so schön und ätherisch aussehen
können und gleichzeitig so verwahrlost, kaputt und debil – „…a face that shifts
easily between Luciferian beauty and something troglodytic“ (wobei „troglodytic“
hier so viel meint wie „zurückgeblieben“, Anm. d. Red.) , so beschreibt ihn der
„Guardian“.
Auch in kleinen Rollen hinterlässt Caleb Landry Jones Eindruck
Caleb Landry Jones ist Spezialist für Außenseiter, Hinterwäldler, Freaks, Nerds, Heroin- und Virenjunkies, Posttraumatisierte und Menschen mit Persönlichkeitsstörungen. Auffallen tut er aber auch ohne das Attribut einer Verhaltensauffälligkeit. Schon in seiner allerersten, winzigen Rolle in „No Country for Old Men“ (2007) hinterlässt er eine Spur. Als „Bike Boy 1“, im Gesicht sitzt noch ein Rest Babyspeck, nähert er sich mit dem Fahrrad an der Seite von „Bike Boy 2“ einem blutverschmierten, psychopatischen Killer. Sein einziger Satz, den er zu sagen hat, wird zur Punchline: „Mister, you got a bone sticking out of your arm.“ (hier zu sehen auf Youtube)
Der 1989 in Garland, Texas geborene Schauspieler war zunächst Musiker (er macht nach wie vor Musik, vor drei Jahren veröffentlichte er sein erstes Album), bevor er sich dem Kino zuwandte. Seine Rollen in den ersten Jahren sind oft klein, aber wirkungsvoll. In Jordan Peeles satirischem Horrorthriller „Get Out” (2017) lässt er bei einer Tischszene zum ersten Mal in den rassistischen Abgrund einer sich liberal gebenden weißen Familie blicken, im gleichen Jahr ist er in Nebenrollen in „The Florida Project“ (2017) und „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ zu sehen wie auch in der Serie „Twin Peaks“.
Ein früher Ausflug ins Blockbuster-Kino – „X-Men: Erste Entscheidung“ (2011) bleibt eine Ausnahme, Landry Jones sieht seinen Platz von Anfang an im unabhängigen Kino, er arbeitet mit Kult-Regisseuren und weniger bekannten Autorenfilmern (mit Ausnahme von Lone Scherfig sind es bisher ausschließlich männliche Regisseure) wie etwa dem Österreicher Peter Brunner. In der Rolle des Bobby Wiggins, Nosferatu-T-Shirt tragender Inhaber einer Tankstelle, in der es auch Comics und Fan-Artikel von Horrorfilmen zu kaufen gibt, verkörpert er in „The Dead Don’t Die“ (2019) von Jim Jarmusch nicht nur den Filmnerd und George-A.-Romero-Spezialisten, sondern ist gleichzeitig auch selbst- und medienreflexive Instanz.
Im Fieberwahn
Nie wirkte der Schauspieler blasser und durchsichtiger als in dem überbelichteten, cleanen Setting von „Antiviral“ (2012), seinem Debüt als Hauptdarsteller und dem Regiedebüt von Brandon Cronenberg. Syd March ist Mitarbeiter einer Klinik, die sich darauf spezialisiert hat, obsessive Fans mit Viren und Krankheitserregern ihrer Lieblingsstars zu infizieren; nebenbei betreibt er Geschäfte auf dem Schwarzmarkt und spritzt sich die „gerippten“ Viren auch selbst. Als Träger eines gleichermaßen tödlichen wie exklusiven Star-Virus spielt Landry Jones verschiedene Stadien der Erkrankung, Virulenz und Entfesselung durch; dabei torkelt er in fast choreografischer Manier durch eine aseptische Bildwelt, die zunehmend von Zeichen einer kranken Physis angegriffen wird.
Im Genre des Body Horror mutet sein Körperspiel wesentlich artifizieller und kontrollierter als in dem Straßenrealismus von „Heaven Knows What“ (2014) von Benny und Josh Safdie, wo er an der Seite der Laiin Arielle Holmes agiert, die hier ihre eigenen Erfahrungen als wohnungslose, heroinsüchtige Frau auf den Straßen New Yorks re-enactet. Ein Film, der permanent nach vorne drängt, die Sucht nach dem Stoff gibt den Rhythmus vor.
Zwischen Autodestruktion und Terror
Zwischen den Caleb-Landry-Jones-Rollen existieren oft fließende Übergänge und Querverbindungen: der Junkie Ilya, der in einem leerstehenden Abbruchhaus in den Flammen stirbt („Heaven Knows What“) und Norman, ein Künstler, der von inneren Dämonen geplagt wird, nachdem er als Kind beide Eltern bei einem verheerenden Brand verloren hat („To the Night”, Peter Brunner, 2018) kommunizieren ebenso miteinander wie der namenlose Amokläufer in Justin Kurzels „Nitram“ (2021) und der mehrfach beeinträchtigte Hundeflüsterer Douglas Munrow in Luc Bessons „Dogman“ (2023), der sein Recht auf Selbstjustiz von einem schweren Kindheitstrauma ableitet. Oft stehen die Figuren an einem prekären Kipppunkt zwischen Autodestruktion und Terror, zwischen Opfer- und Täterrolle.
Auch wenn sich Landry Jones in den letzten Jahren immer
mehr auf einen gewissen Rollentypus hat festlegen lassen, so ist er doch
erstaunlich frei von Marotten und Manierismen, Überschreitung und
Dysfunktionalität etwa bringt er mit jeder Figur neu und in differenzierten
Schattierungen zum Ausdruck. In „Nitram“ bewahrt nicht nur
Kurzels diskrete Inszenierung, sondern auch Landry Jones’ Interpretation des
Amokläufers die Figur vor den fetischisierenden Effekten des True-Crime-Formats
(der Film ist an einen historischen Fall in Tasmanien Ende der 1990er-Jahre angelehnt).
Seine zwischen Hyperventilierung und Stumpfheit, Aggression und kindlicher
Unbekümmertheit oszillierende Darbietung hat mit der Methodik des Method Acting
wenig zu tun, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein hat.
Tatsächlich ist der Realismus der Charakterstudie eher rational und technisch grundiert,
Landry Jones’ Spiel (in Cannes mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet) wirbt
weder für Empathie, noch ist es darauf angelegt, Abscheu zu erregen. Auch die
Figur des „Dogman“ widersetzt sich, anders etwa als Joaquin Phoenix’ Darstellung des Jokers, der Überhöhung des Opferstatus, stattdessen
schleichen sich Ironie und performativer Überschuss ein.
Sich in den Abgründen und Vorhöllen der menschlichen Psyche einzurichten, ist in Caleb Landry Jones’ Filmografie dennoch eine Gefahr. Anstehende Projekte mit Alex Gibney und Athina Rachel Tsangari klingen vielversprechend und lassen hoffen, noch andere Gesichter des Schauspielers entdecken zu können.