Die NS-Zeit war auch für Deutschlands Filmgeschichte ein
verheerender Epochenbruch. Die Ausstellung „Ausgeblendet / Eingeblendet – Eine
jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“ im Jüdischen Museum in
Frankfurt/Main beleuchtet, wie jüdische Filmschaffende, etwa Produzent Artur
Brauner oder Schauspiel-Star Lilli Palmer, nach diesem Bruch in der
Gesellschaft und Filmszene der BRD wieder Fuß zu fassen suchten.
Den schmerzhaften Aderlass des deutschen Films nach der nationalsozialistischen Machtergreifung dokumentierte das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt/Main 1987 mit der Schau „Von Babelsberg nach Hollywood. Filmemigranten aus Nazi-Deutschland“. Drei Jahre später widmete dieselbe Institution der Lebensleistung des Produzenten Artur Brauner eine imposante Ausstellung. Nun bietet das Jüdische Museum in Frankfurt/Main erstmals eine konzentrierte Darstellung der jüdischen Filmgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland – von der vielbeschworenen Stunde Null bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1989.
Der richtungsweisende Titel „Ausgeblendet/Eingeblendet“ will dezidiert den „unterschiedlichen Charakteren und Lebensläufen, die in Bezug auf ihr Jüdischsein mehr eint als trennt“, zur Sichtbarkeit verhelfen, merkt Direktorin Mirjam Wenzel an. Ihr und den Kuratoren Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein geht es im Ausstellungskonzept um eine „Emotionalität der Vermittlung“, um eine neue Perspektive der jüdischen Filmforschung, die aus dem Schatten wohltemperierter Erinnerungskultur heraustritt. Statt Einzelschicksalen sollen Vielfalt und Widersprüchliches im Zentrum stehen, Spielräume erfahrbar werden.
Atmosphäre des Unbehausten
Inhaltlich und optisch überzeugen in der musealen Aufmachung die Atmosphäre des Unbehausten, die Herangehensweise an die Ambivalenz der Nachkriegszeit und den Wiederaufbau im baldigen Wirtschaftswunderland. Gebrauchte Baugerüste führen durch sechs Ausstellungsräume, mit unterschiedlichen Stoffen und Planen dekoriert – unverkennbar auch eine Referenz an das allgegenwärtige Motto Nachhaltigkeit. Großzügig die Platzierung von Vitrinen mit Manuskripten, Briefen und Dokumenten, gehängten Drehfotos und Filmplakaten. Eine Videodokumentation zum Selbstverständnis und Verlust jüdischer Identität lässt Alice Brauner, Dani Levy, Samuel Finzi, Alexandra Sinelnikova und Arkadij Khaet über ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit und ihre Hoffnungen für die Zukunft sprechen. Leinwände und Monitore mit Filmausschnitten erleichtern die Einordnung der Exponate, obwohl man „keine historische Ausstellung im eigentlichen Sinne“ präsentieren will.
Eine Abgrenzung, die nur bedingt sinnvoll ist: Bietet nicht gerade der Blick zurück, eingeleitet mit Statements von zeitgenössischen jüdischen Filmschaffenden, für ältere und jüngere Besucher Chancen, Missverständnisse in der thematischen Annäherung oder Ablehnung jüdischer Filmkultur ins Gedächtnis zu rufen? Es gilt, den künstlerischen Leistungen der Verfolgten, ihrer Berufs- und Lebensgrundlage Beraubten, den Rückkehrern, Gescheiterten und widersprüchlichen Talenten gerecht zu werden. Die Wunden der Vergangenheit verlangen keinen Heiligenschein, aber, neben der Diskussion über (Kollektiv-)Schuld und Versöhnung, eine würdige, gleichberechtigte Existenz.
Im Gegensatz zum wissenschaftlich-theoretischen Ansatz der Ausstellungsmacher wirken die ausgewählten Dokumente zur Rezeption der vorgestellten Filme und Künstler durch Presse und Publikum eher dünn, wenig aussagekräftig. Detaillierte Hintergründe zu häufig problematischen Produktionsbedingungen bleiben überschaubar, konventionell. Anschaulich ist da zum Beispiel ein Brief Artur Brauners von 1947 an den Landrat in Nieder-Barnim mit der Bitte, die Inszenierung von „Morituri“ mit Holz, Stroh und Heu zu unterstützen.
Zwischen Vergessen und Erinnerung
Da viele jüdische Emigranten nach dem großen Exodus in ihren Exilländern blieben, hielten sich Aufbrüche mit einer Rückkehr in das zerstörte, verhasste Deutschland, quantitativ in Grenzen. Der legendäre, streitbare Produzent Artur Brauner (CCC Film, Berlin) startete mit dem KZ-Film „Morituri“ (1948) seine lebenslange Erinnerung an das Schicksal und Leiden jüdischer Menschen. Dank einer prosperierenden Karriere mit „Tralala-Filmen“, wie er seine Unterhaltungsware treffend bezeichnete, hatte er die finanzielle Basis, um auch ernsthafte Themenfilme zu stemmen und den Diskurs und die Konfrontation mit dem (deutschen) Nationalsozialismus wachzuhalten. Die Gründer der Hamburger Real-Film, Gyula Trebitsch und Walter Koppel, setzten dagegen nach eigener Überzeugung in der jungen Bundesrepublik voll auf „Unterhaltung, Lachen und das Vergessen der Sorgen“.
Ihre erste Produktion, „Arche Nora“ (1948), ein sogenannter „Trümmerfilm“, zeigt mit zwei zupackenden Kriegsheimkehrern und der schwangeren Frau eines traumatisierten Ehemanns weniger die ungeschminkte Authentizität der (west-)deutschen Nachkriegslandschaft als unverwüstlichen Optimismus im kleinen Glück. Ufa-Starproduzent Erich Pommer kehrte 1946 als Filmoffizier der US-Armee nach West-Deutschland zurück und versuchte die Filmpolitik der Alliierten im Zeichen der Entnazifizierung zu gestalten. Mehr Glück hatte da Elli Silman: Die erfolgreiche, heute weitgehend unbekannte Schauspielagentin nutzte geschickt ihre Hollywood-Kontakte, fädelte auch den Deal zwischen Fritz Lang und Artur Brauner zu „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“ ein.
Nicht wenige emigrierte Filmkünstler, die an alte Erfolge in der Heimat anknüpfen wollten, erlebten ein Fiasko. Exemplarisch steht dafür der unvergleichliche Peter Lorre, weltberühmt geworden als unheimlicher Kindermörder in Fritz Langs Klassiker „M“. Bert Brecht wollte ihn 1950 mit dem Gedicht „An den Schauspieler P. L. im Exil“ zum Berliner Ensemble locken. Er flehte: „Höre, wir rufen dich zurück. Verjagter / Jetzt sollst du wiederkommen. Aus dem Land / Da einst Milch und Honig geflossen ist / Bist du verjagt worden. Zurückgerufen / Wirst du in das Land, das zerstört ist. / Und nichts anderes mehr / Können wir dir bieten, als dass du gebraucht wirst. / Arm oder reich / Gesund oder krank / Vergiss alles / Und komm.“
Doch Lorres Regiedebüt „Der Verlorene“ wurde 1951 trotz Auszeichnung ein krachender Misserfolg. Die Verkörperung der Hauptfigur, eines vom Faschismus zerfressenen, gequälten Arztes, hatte der Entwurzelte selbst übernommen. Mit wenigen Habseligkeiten und einer Kopie seines Films soll er die Bundesrepublik verlassen haben. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war unerwünscht und zeigte: Eine Stunde Null gab es 1945 und danach nicht.
Lilli Palmer kehrte dagegen als gefeiertes Filmidol aus den USA nach Deutschland zurück. Die flotte, starbesetzte Musikkomödie „Feuerwerk“ (1954) wurde ein Publikumshit. In den Fußboden eingelassene Vitrinen mit Titelblättern der Schauspielerin hinterlassen bei aller Werbestrategie auch ein Gefühl von Stolpersteinen, von Verdrängung. Nicht verdrängen und verbiegen ließ sich „Atze“ Brauner 1955 beim Münchner Filmball, als er das Aufeinandertreffen mit NS-Regisseur Veit Harlan konsequent zu vermeiden wusste.
Kein Platz im Neuen Deutschen Film
Der Ausstellungsraum „Weder Bühne noch Leinwand“ bietet interessante, vergessene Arbeiten jüdischer Filmschaffender aus den frühen 1960er-Jahren, als das Konkurrenzmedium Fernsehen kurze Zeit ungeahnte inhaltliche wie ästhetische Experimentierfreude gestattete. Zwei häuslichen Wohnzimmern nachempfundene Sitzgruppen mit Fernsehgeräten ermöglichen die Wiederbegegnung mit Peter Lilienthals dem absurden Theater nahestehenden Filmen („Striptease“, „Begegnung“) oder mit dem heute weniger in den Schlagzeilen vertretenen Theatermann und Fernsehregisseur Imo Moszkowicz („Es war mir ein Vergnügen“, 1963).
Kein Glück oder Verständnis fanden die jüdischen Vertreter des westdeutschen Nachkriegskinos beim aufbegehrenden Neuen Deutschen Film, der im Vorfeld der Studentenrevolte von 1968 mit dem Schlachtruf „Papas Kino ist tot“ durch die Lande zog. Erwin Leiser, kritischer Dokumentarist und Forscher über den NS-Film („Mein Kampf“), indirekt auch Wegbereiter der US-amerikanischen Straßenfegerserie „Holocaust“, wurde von der unsensiblen linken Studentenschaft als künstlerischer Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin aus dem Amt verjagt. Unbelasteter reagierten im Ausland groß gewordene jüdische Autorenfilmerinnen und -filmer wie Jeanine Meerapfel oder Peter Lilienthal, in der Schau vertreten mit dem Skizzenbuch, Drehfotos und der Deutschen-Filmpreis-Trophäe in Silber für die Produktion „David“ (1979). Schade, dass Thomas Brasch, der widerspenstige Wanderer zwischen den Welten, mit seiner anspruchsvollen Filmsprache und Verunsicherung der Sehgewohnheiten im Vergleich dazu nicht richtig zur Geltung kommt.
Neue Stars
Zahlreiche bekannte, unbekannte und vergessene Entertainer sorgten in der deutschen Fernseh- und Unterhaltungsbranche für Furore, volle Säle und gute Einschaltquoten. Eine Audiostation lädt zur Wiederbegegnung mit den israelischen Sängerinnen und Schauspielerinnen Esther Ofarim und Daliah Lavi ein. Für beliebte Unterhaltung sorgte in der ZDF-Reihe „Dalli, Dalli“ Quizmaster Hans Rosenthal. Weniger bekannt waren und sind seine Überlebenskunst, die Schmähungen der jüdischen Identität bei diversen Anlässen. Eine Kultfigur fehlt in dieser Rubrik des Entertainments: Ilja Richter, seines Zeichens unangepasster, umtriebiger, mit hintersinnigem Humor ausgezeichneter TV-Moderator und schlagfertiger „Disco“-Animateur.
Zu der in Kooperation mit dem Deutschen Filmmuseum und Filminstitut (DFF) und der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf entstandenen Ausstellung ist im Hanser Verlag ein lohnender, reich illustrierter, von Lea Haselberg, Johannes Praetorius-Rhein, Erik Riedel und Mirjam Wenzel herausgegebener Katalog erschienen. Verwiesen sei auch auf das Symposium „Einsamkeit und Resonanz“ (10.-12. September) und ein spezielles Filmbegleitprogramm des DFF.
Zur Ausstellung:
„Ausgeblendet / Eingeblendet“. Jüdisches Museum Frankfurt. Bertha-Pappenheim-Platz 1. Bis 14.1.2024. Geöffnet: Di, Mi, Fr, Sa, So 10–17 Uhr, Do 10-20 Uhr. Katalog 28 Euro.