Jean-Luc Godards großer Film über die Wirkmacht des Kinos, die Dialektik aus Inszenierung und Realität, über Kunst und Kommerz. Mit auffälliger Farbdramaturgie und inszenatorischen Brechungen, Spiegelungen und Zitaten macht Godard „Die Verachtung“ zu einer unermüdlichen (Selbst-)Reflexion: Er verhandelt sowohl seinen eigenen Status als Kultregisseur, als auch die Ehekrise mit seiner Frau Anna Karina. Anlässlich des 60. Leinwandjubliäums ist der Film in restaurierter 4K-Fassung als Special Edition neu erschienen.
Die Dreharbeiten für einen Film sind in vollem Gange, die Kamera fährt auf Schienen und nähert sich immer mehr dem Publikum im Kinosaal. Beinahe könnte man meinen, sie erwiderte dessen Blick, nehme die Zuschauer ins Visier und starre unverhohlen einfach zurück. Eine Männerstimme spricht den Vorspann geduldig und zitiert nun: „Das Kino schafft für unseren Blick eine Welt, die auf unser Begehren zugeschnitten ist.“ Was nun folgt, deutlicher kann man es kaum sagen, ist nicht einer von vielen Filmen über Film, sondern der Film über das Kino schlechthin, über seine überwältigende und unberechenbare Wirkmacht: Jean-Luc Godards „Die Verachtung“.
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Odyssee der Blicke
Für den Schriftsteller Paul bricht sich diese unbändige Kraft des Kinos Bahn, als er Anfang der 1960er-Jahre mit seiner Ehefrau Camille von Paris nach Rom in das sagenumwobene Studio Cinecittà reist. Dort soll er mit der großen Regielegende Fritz Lang eine andere Sage verfilmen: die Odyssee. Der hat sich mit Produzent Prokosch überworfen, und Paul soll es nun richten. Mit Lang diskutiert er die Frage, ob Odysseus möglicherweise so lange auf Reisen war, weil er eigentlich keine Lust darauf hatte, zu seiner Frau Penelope zurückzukehren. Dass Paul hier aus eigener Erfahrung argumentiert, bleibt unausgesprochen, ist jedoch offensichtlich. Camille hingegen hat schon länger die Befürchtung, dass er sie an den Produzenten abtreten wolle, um seine Karriere zu befördern. Michel Piccoli und Brigitte Bardot, damals schon ein internationaler Superstar, spielen das französische Ehepaar, „Lost in Translation“ in Rom. Odysseus Irrfahrten werden zur Folie für ihre verfahrene Beziehung.
Sie alle belauern einander, um dem nächsten Schritt des Gegenübers immer ein wenig voraus zu sein: Mann und Frau, Drehbuchautor und Produzent, Produzent und Altmeister – und immer guckt auch das Kino zurück. In einer der berühmtesten Szenen des Films liegt die nackte Brigitte Bardot bäuchlings auf einem Bett und fragt ihren Mann, wie er ihren Hintern finde, wie ihre Brüste, und lässt ihn und zugleich das Publikum ihren ganzen Körper mit Blicken abtasten. Voyeuristischer Male Gaze in Reinform. Die Szene wurde auf Wunsch der Produzenten eingebaut, um das Publikum in die Kinos zu locken. Godard unterzieht Bardots Status als Sexsymbol einer (Selbst-)Reflexion, nutzt ihn jedoch auch unverblümt aus und genießt den Blick sichtlich. Heute, 60 Jahre nach Veröffentlichung des Films, lässt sich ein altväterlicher Beigeschmack nicht ganz leugnen. Die Szene jedoch schließt direkt an den Vorspann an, der so laut mitteilt: „Alles Film, alles Vorstellung – genau darum geht es!“ Realität und Sagenwelt, Kunst und Kommerz – wie Paul und Camille können sie weder mit noch ohne einander.
Doppelt- und Dreifachspiegelung
Das Melodram im Kern von „Die Verachtung“ bleibt eines der traurigsten der Filmgeschichte – die Geschichte einer Entliebung und der Lähmung, die beide Seiten befällt, als sie realisieren, welch unaufhaltsamen Prozess sie losgetreten haben. In einer der Schlüsselszenen sitzen sich Piccoli und Bardot als Paul und Camille gegenüber – er mit einem Hut auf dem Kopf, sie mit einer dunklen Kurzhaar-Perücke. Piccoli und Bardot als Paul und Camille spielen Godard und seine damalige Ehefrau Anna Karina. Spätestens hier wird deutlich: Godard hat seine eigene Ehekrise verfilmt und spiegelt sie doppelt und dreifach hin und zurück, als könnte es helfen, die Situation nur ausreichend zu durchdenken.
Ein Gespräch kommt zwischen Camille und Paul jedoch kaum mehr zustande, so konsequent reden die beiden aneinander vorbei: ob sie die Wohnung behalten oder verkaufen sollen, ob und weshalb Camille Paul nicht mehr liebt und ob Paul den Film drehen solle oder nicht. Die offenen Möglichkeiten machen die beiden keineswegs frei, sondern die Unverbindlichkeit all der Optionen regelrecht handlungsunfähig. Wo andere Filmemacher klassische Schuss-Gegenschuss-Dramaturgien etabliert hätten, um in diesem Streitgespräch die Fronten klarzuziehen, setzt Godard auf eine kaum enden wollende Plansequenz, in der die Kamera beinahe wie in einem Tennis-Match zwischen Paul und Camille hin und her pendelt – und hält so den unangenehmen und doch diffusen Druck, der sich zwischen den beiden aufbaut, ohne Schnitt aufrecht.
„Die Verachtung“ gilt zurecht als einer der wichtigsten Filme über das Kino selbst. Bis heute beziehen sich unzählige Filmemacher und Filmemacherinnen visuell wie thematisch auf ihn, etwa Sofia Coppolas „Lost in Translation“ (2003), der sogar mit einer Hommage an Bardots Räkelszene beginnt, wenn Scarlett Johansson in einer durchscheinenden Unterhose auf einem Hotelbett liegt und darauf wartet, dass ihr Ehemann von einem Job wiederkommt.
Zum 60. Jubiläum wurde der Film digital restauriert, um
die auffällige Farbdramaturgie wiederherzustellen: Kalte Töne in Rot, Blau und
Weiß in den Innenräumen, warme in Grün, Gelb und Braun bei Außenaufnahmen
machen in jeder Sequenz Realität und Mythos gleichermaßen sichtbar: Der Film
und das Kino gucken immer auch zurück und legen ihre Inszenierung offen, die
Emotionen jedoch sind immer real.