Kann Kunst die Welt retten? Mit dieser Frage beschäftigt sich das dokumentarische Essay „Tales of the Purple House“ von Abbas Fahdel, in dem sich ein Künstlerehepaar gegen die Hoffnungslosigkeit ihres zerrissenen Landes wehrt. Die Ökumenische Jury in Locarno zeichnete den Film als eine „bildliche Arche Noah in Zeiten der Sintflut“ aus. Mit einer Lobenden Erwähnung bedachte die Jury das Drama „Tengo sueños eléctricos“ von Valentina Maurel.
Mit einer
Meditation über das Leben im Libanon erschließt sich in „Tales of the Purple House“ eine neue Welt. Der Regisseur Abbas Fahdel
filmt seinen Alltag im violetten Haus, wo er zusammen mit seiner Ehefrau, der
Malerin Nour Ballouk, lebt.
Der Garten
des Hauses ist wunderschön und gleicht einem Garten Eden. Im Wissen um die
Flüchtlingskrise im Libanon – mehr als eine Million Syrerinnen und Syrer leben
dort – und um die desolate politische und wirtschaftliche Lage des von viele
Konflikten zerrissenen Landes inszeniert „Tales oft he Purple House“ einen
Blick auf die Welt, in der die Zeit verlangsamt wird, manchmal sogar
stillsteht.
Der Film beginnt kurz vor der Corona-Pandemie und endet nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Alle wichtigen Ereignisse und Katastrophen dieser beiden Jahre werden thematisiert: die wirtschaftlichen Schwierigkeiten angesichts der Pandemie, die Explosion im Hafen von Beirut, die sozialen und politischen Krisen. Nour Balluks Schwester lebt in der Ukraine. Doch obwohl der krisengebeutelte Libanon im Chaos versinkt, geht das alltägliche Leben weiter. Im unmittelbaren Umgang miteinander kommen die Menschen gut miteinander aus – egal ob sie Christen oder Muslime sind.
Die Kraft und die Macht von Bildern
Abbas Fahdel sagt über seinen Film, dass er die Fragen, ob „Schönheit die Welt retten oder uns die Kunst vor der Realität bewahren kann, dadurch zu beantworten versuche, indem er verschiedene Dinge zusammenbringe. In Fahdels Augen thematisiert der Film „den starken Glauben an die rettende Kraft der Bilder. Sie sind eine bildliche Arche Noah in Zeiten der Sintflut“. Während sich die Welt im Niedergang befindet, existiert weiterhin eine Poesie der Bilder, die vom „Purple House“ und von der Natur im Libanon ausgeht.
Der Film ist auch mit vielen Bildzitate angereichert. Etwa mit Fotos vom Bombardement des Hauses von Nour Ballouk, das sie als junge Frau nur knapp überlebt hat. Ihr damaliges malerisches Werk wurde zerstört. Doch Nour Ballouk hat sich nicht unterkriegen lassen. Bis heute malt sie weiter ihre wunderbaren Bilder von Bäumen, Blumen, Selbstporträts.
Abbas Fahdel verwendet Filmzitate, um Stimmungen zu erzeugen. Er zeigt die Folgen der Explosion im Hafen von Beirut, die viele Menschenopfer forderte. Aber auch persönliche Begegnungen mit syrischen Flüchtlingen, die bis heute in Zeltstätten leben. Erstaunlich ist die Tatsache, dass sich in diesem Dorf Kirche und Moschee in unmittelbarer Nachbarschaft befinden. Der libanesische Bürgerkrieg konnte dieses Dorf nicht spalten. Der Zusammenhalt in der Gemeinde ist weiterhin stark.
Über drei Stunden dauert Fahdels Meditation über das purpurne Haus mit seinen Kunstwerken, seinem Alltagsleben in der Corona-Pandemie und seinem beruhigenden Garten, in dem manchmal auch ein Spatz sein Leben lassen muss, wenn die Katzen hungrig sind.
Nicht die Augen verschließen
Falls die Sintflut kommen sollte, wäre dies der richtige Ort zum Überleben: Ein filmischer Raum, der sich wie eine Arche Noah anfühlt. Dieser Glaube an die Poesie als Retterin in der Not hat die Ökumenische Jury beim Locarno Film Festival mit ihrem Preis ausgezeichnet. Jury-Präsident Lukáš Jirsa, ein tschechischer Filmjournalist, betonte, dass der Film den Zuschauern etwas abverlangt. Doch genau darum gehe es: Nicht die Augen zu verschließen – und dennoch die Hoffnung nicht zu verlieren. „Von der ersten Einstellung an, einem sanften Bild der Sonne, zieht sich ein Hoffnungsschimmer durch den ganzen Film. Darin spielt auch die Kunst eine wichtige Rolle. Sie ist omnipräsent und gibt uns Anlass zur Hoffnung, auch wenn die Welt mitten in einer tiefen Krise steckt.
Auch die „Lobende Erwähnung“ für das Drama „Tengo sueños eléctricos“ von Valentina Maurel gründet in einer Hoffnung, dass nämlich der Kreislauf der Gewalt nicht das letzte Wort hat. Der Film handelt von einer jungen Frau in Costa Rica, die an der Schwelle zum Erwachsenwerden erste sexuelle Erfahrungen macht. Sie lebt in einem schwierigen Umfeld; ihre Eltern lassen sich scheiden; ihr Vater ist gewalttätig und hat sich und seine psychischen Probleme nicht im Griff; doch die destruktiven Kräfte obsiegen nicht.