© ZDF/Constantinfilm (Giulietta Masina in "La Strada")

Filmklassiker: "La Strada – Das Lied der Straße"

arte zeigt das frühe Meisterwerk von Federico Fellini am 21. März in einer rekonstruierten und ergänzten Fassung

Veröffentlicht am
08. Mai 2023
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Federico Fellinis erster Welterfolg „La Strada“ spaltete bei seiner Uraufführung 1954 die italienische Filmkritik, weil viele darin einen Verrat an den Idealen des Neorealismus sehen wollten. Für die internationale Auswertung wurde der ursprünglich 115 Minuten lange Film stark gekürzt; arte zeigt am Montag, 21. März, jetzt eine rekonstruierte Fassung mit 108 Minuten.


Federico Fellinis erster Welterfolg „La Strada – Das Lied der Straße“ gilt als ein Meilenstein des Kinos. 1954 beim Filmfestival in Venedig uraufgeführt und mit einem „Silbernen Löwen“ für die beste Regie ausgezeichnet, spaltete der Film die (linke) italienische Filmkritik wie auch das Lager der Intellektuellen. Der Vorwurf lautete auf Verrat an den Prinzipien des Neorealismus, auf fehlende Reflexion und einen Anachronismus in der Hinwendung zum Einzelschicksal. Luchino Viscontis Melodrama Sehnsucht ging 1954 am Lido hingegen leer aus.

Für die Produktion von „La Strada“ musste Fellini enorme Hürden überwinden, bis Dino De Laurentiis und Carlo Ponti die Realisierung schließlich ermöglichten. Im Gegensatz zu Italien wurde die Tragikomödie in Frankreich jedoch von Anfang an gefeiert. Die französische Begeisterung rührte sicher auch aus der Nähe des Films zum poetischen Realismus der 1930er-Jahre. 1956 sicherte sich „La Strada“ dann auch den „Oscar“ für den besten fremdsprachigen Film.


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Im Branchenblatt „Variety“ war die Laufzeit der Festivalfassung mit 115 Minuten angegeben; dort wurden auch einige Längen des Schwarz-weiß-Films moniert. Der spätere Medienmogul Leo Kirch erwarb die Rechte an „La Strada“ damals persönlich in Rom; der Constantin-Filmverleih brachte das international inzwischen auf 108 beziehungsweise auf 94 Minuten gekürzte Werk 1956 mit einer Laufzeit von 102 Minuten in die deutschen Kinos. arte nimmt den Film jetzt in der 108-Minuten-Fassung am 21. März um 20.15 Uhr erneut ins Programm. In der Mediathek ist er bis zum 18. Juni abrufbar.

Fahrendes Schausteller-Duo: Giulietta Masina, Anthony Quinn (ZDF/Constantinfilm)
Fahrendes Schausteller-Duo: Giulietta Masina, Anthony Quinn (ZDF/Constantinfilm)

Der Film erzählt von dem fahrenden Schausteller Zampanò, der sich selbst als Künstler sieht und eine Hilfe sucht. Einer alleinerziehenden Mutter bietet er für ihre älteste Tochter Gelsomina 10.000 Lire, was Anfang der 1950er-Jahre eine vergleichsweise bescheidene Summe war. Mit seinem klapprigen Wohnwagen und einer alten Harley-Davidson als Zugmaschine tingelt das ungleiche Duo fortan durch die Kleinstädte und schlägt sich beim Zirkus mit Kettensprenger-Attraktionen durch. Doch der jähzornige Zampanò kann mit dem kindlich-naiven Gemüt seiner Assistentin nicht umgehen. Das stille Mädchen fungiert nur als Blitzableiter für seine Unzufriedenheit und seine Gewaltausbrüche.


Trauer über ein vergeudetes Leben

Doch als Gelsomina vom Seiltänzer Matto musikalisch instruiert wird und auf ihren Wert als Mensch und das Recht auf ein eigenes Leben aufmerksam wird, provoziert Zampanò seinen Rivalen und landet kurzfristig sogar im Gefängnis. Auf der Landstraße stehen sich die Kontrahenten erneut gegenüber. Der gesundheitlich angeschlagene Matto überlebt diese Auseinandersetzung nicht.

Gelsomina leidet fortan unter Wahnvorstellungen, und auch Zampanò verliert seine Balance; er will die nutzlose Assistentin loswerden. Jahre später erfährt er durch eine Melodie, Gelsominas Trompetenmotiv, von ihrem Tod, betrinkt sich in einer Weinschenke und kann den Hass auf die Menschen und sich selbst nicht mehr zügeln. Allein am Meer, unter dem Sternenhimmel, erkennt er seine Einsamkeit und lässt den Tränen über sein vergeudetes Leben freien Lauf.

Außer den Anfangs- und Schluss-Credits sind in der deutschen Version vier Sequenzen von Kürzungen betroffen, die die Filmaussage aber nicht grundsätzlich tangieren. So dauern die umfangreicheren Einleitungstitel des italienischen Originals gut 30 Sekunden länger. Bedeutender ist eine fehlende Szene mit Gelsomina, die am Straßenrand eine Blume pflückt, nachdem sie Zampanò sturzbetrunken aufgegabelt hat. Ein Mädchen mit einer Tasche beobachtet sie, ein Junge spielt im Sandloch. Gelsomina nähert sich dem Zaun und lauscht gedankenverloren am Holzpfahl.

Die anderen drei Sequenzen: Nach ihrer Flucht sitzt Gelsomina traurig am Straßenrand und nimmt einen Grashüpfer auf die Hand. Auf der Böschung tauchen drei Musikanten auf. Verzaubert vom Klang, läuft sie dem Trio auf der regennassen Straße hinterher. – Auf einer unbefestigten Landstraße stoppt Zampanò sein Gefährt und beruhigt seine durch Mattos Tod aufgewühlte Begleiterin. Als er abseits ein Feuer macht, ergreift Gelsomina die Chance zur erneuten Flucht. Aber Zampanò bemerkt das Verschwinden und fragt, wohin sie gehe. Seine Frage, ob sie wieder nach Hause möchte, beantwortet sie mit einem zögerlichen Kopfschütteln. – Im Schutz einer Steinmauer hat Zampanò eine Nudelsuppe zubereitet. Sichtlich unzufrieden mit dem Ergebnis, will Gelsomina das Kochen übernehmen. Zampanò freut sich ungläubig über diese Veränderung, nachdem zwischen ihnen zehn Tage lang Stillschweigen herrschte.


Ein kaltes, unwirtliches Land

„La Strada“ ist eine zeitlose Parabel aus der Nachkriegszeit in einem kalten, provinziellen Italien. Der Zustand der Vorstädte, die ärmlichen Wohngegenden, die tristen Landschaften und die wenig einladenden Strände weisen noch nichts von der Anziehungskraft auf, die deutsche Touristen in den 1960er-Jahre so attraktiv fanden. Inmitten der Suche nach Identität und Wegen aus der Ausweglosigkeit trifft der tägliche Kampf ums Überleben die Schwächeren in besonderer Weise, vor allem die Frauen. „‚La Strada‘ ist aus der Vorstellung von einem Mann und einer Frau entstanden, die äußerlich zusammenleben, aber in ihrem Inneren durch astronomische Weiten voneinander getrennt sind“, erklärte Fellini.

Die Opferrolle und Ausbeutung (der Poesie) der Frau durch das Patriarchat sowie das Recht des Stärkeren spiegeln eine sozialkritische Komponente, die auf eine erweiterte Auslegung des Neorealismus abzielt. Es geht dem Film um den Wert des individuellen und sei es noch so unbedeutenden Lebens. Er zeigt die Welt, den Rhythmus und den Zyklus der einfachen Menschen. Seine christlich-humane Botschaft wird nicht zuletzt in der Sequenz im Frauenkloster sichtbar, wo eine jüngere Ordensschwester in Gelsomina sofort eine Leidensgenossin erkennt und sie ermutigt. Über allem liegt eine Atmosphäre des Schweigens, eine „Verfinsterung der Seele“. Gewährt der Akt der späten Reue Zampanò doch noch so etwas wie Gnade?

"Dialektik der Gefühle": Anthony Quinn und Guilietta Masina (ZDF/Constantinfilm)
"Dialektik der Gefühle": Anthony Quinn und Giulietta Masina (ZDF/Constantinfilm)

„La Strada“ verweist auch auf die zeitgenössische, in den Don-Camillo- und Peppone-Filmen unterhaltsam eingefügte Dichotomie zwischen Katholizismus und Kommunismus. Wenig überzeugend ist das Urteil von Luchino Visconti, dass Fellinis Charaktere nicht repräsentativ seien; die Probleme der verarmten Landbevölkerung stünden trotz der scheinbaren Authentizität der Schauplätze und Arbeitsbedingungen der Zirkusleute nicht im Zentrum von „La Strada“. Doch Fellinis „Dialektik der Gefühle“ versteht sich gerade als Versuch, den orthodoxen Neorealismus aufzubrechen und die Vorstellung von Authentizität zu erweitern. Durchaus im Sinne von Michelangelo Antonioni, der die Stilrichtung durch seine omnipräsente Melancholie, die Krankheit der Gefühle in einer von der Industrialisierung entfremdeten urbanen Mittelschicht, umwidmete.


Pilgerschaft ohne Heiligenschein

„La Strada“ und Gelsomina sind auch eine Hommage an Charlie Chaplin, mit poetisch-humanen Zwischentönen der Selbst- und Nächstenliebe. „Gezeichnet“ vom Guten im Menschen, vom Glauben, der Hoffnung und der Liebe. In diesen grauen, existentiellen Seelenlandschaften müssen die Ruhe- und Ziellosen Schiffbruch erleiden, weil sie sich selbst nicht wertschätzen und gegenseitig nur verletzen. Sie sind unfähig zur Kommunikation und Solidarität, einer gesellschaftlichen Unterschicht verhaftet und durch die Auswirkungen des Krieges zu Einsamkeit und Isolation verdammt. 1976 sprach Fellini im Vorwort zum Drehbuch von einem „Gefühl, dem die Vorstellung eines ziellosen Herumwanderns durch Vorstädte und Dörfer entsprang, in einer Zeit, die durch die Abfolge der Jahreszeiten ihren Rhythmus erhielt; eine pikareske Erzählung von Zigeunern und Gauklern.“

Diese emotional aufwühlende Pilgerschaft – mit einem unsichtbaren Heiligenschein – verdankt dabei sehr viel den unprätentiösen, hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Giulietta Masina, Anthony Quinn und Richard Basehart. Der dezent-verführerische Zauber der Musik, das vielzitierte leitmotivische Trompetenspiel, stammt von Nino Rota. Und der Kameramann Otello Martelli taucht die zum Kultfilm avancierte Geschichte einer Hassliebe in unvergessliche Schwarz-weiß-Bilder.




Hinweis:

arte zeigt am Montag, 21.3., 20.15-22.00 Uhr, die rekonstruierte Fassung von „La Strada“ mit einer Laufzeit von 108 Minuten. Der Schwarz-weiß-Film ist bis 18. Juni auch in der arte-Mediathek zu sehen.

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