© Loco Films (aus "Brighton 4th", dem Preisträger-Film der ökumenischen Jury)

Ökumenische Jury beim Filmfestival in Cottbus

Auf Spurensuche kirchlicher Filmbewertungen: Überlegungen anlässlich der Juryarbeit beim 31. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus

Veröffentlicht am
25. März 2022
Diskussion

Die großen christlichen Kirchen, vertreten durch die Medienorganisationen SIGNIS (katholisch) und Interfilm (evangelisch), sind in vielfältiger Weise in der Filmarbeit engagiert, wozu auch die Entsendung ökumenischer Jurys zu Filmfestivals weltweit gehört. Wie etwa kürzlich zum 31. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus (2.-7.11.2021), wo die ökumenische Jury den Film „Brighton 4th“ auszeichnete. Doch wie wirkungsvoll ist diese Arbeit noch? Josef Nagel, ehemaliger Filmredakteur beim ZDF, Filmdienst-Autor und Mitglied der ökumenischen Jury in Cottbus, geht dieser Frage nach – als Standortbestimmung und Diskussionsbasis.


2020 konnte das Filmfestival in Cottbus, als dessen Schwerpunkt seit der Gründung der osteuropäische Film gilt, seine 30. Jubiläumsausgabe nur online stattfinden lassen. Doch vom 2. bis 7. November 2021 bot die 31. Edition wieder ein breites Kinoangebot aus Osteuropa unter fast normalen Rahmenbedingungen: Insgesamt 170 Filme aus über 40 (Ko-)Produktionsländern umfasste das Spektrum, gut 10.000 Besucher haben das diesjährige Festival in den sieben Spielstätten präsent oder online besucht.


      Das könnte Sie auch interessieren:


Die familiäre Atmosphäre des Cottbuser Festivals – mit dem Motto der Völkerverständigung (ohne sozialistisches Vorzeichen), des gegenseitigen Kennenlernens und des Respekts – spiegelt sich auch in der Wertschätzung und Einladung einer kirchlich verankerten, europäisch besetzten ökumenischen Jury. Als unabhängiges, von den kirchlichen Medienorganisationen SIGNIS (katholisch) und Interfilm (evangelisch) nominiertes Gremium kommt einer ökumenischen Jury die kritische Begleitung und Diskussion des jeweiligen Filmprogramms in qualitativer und religiös-moralischer Hinsicht zu; durch die Vergabe von Preisen gilt es schließlich, besonders herausragende Werke zu würdigen und ihnen somit (hoffentlich) zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Die Jury in Cottbus konnte die Filme gemeinsam mit dem Publikum im Kino „Weltspiegel“, dem am 4. Oktober 1911 eröffneten, ältesten „Kinozweckraum“ Deutschlands, sichten.


Die große Aufgabe: Als kirchliche Stimme filminteressierte Zuschauer:innen erreichen

Die Kriterien, die bei der Preisvergabe angelegt werden, sind seit der Einführung ökumenischer Jurys in den 1970er-Jahren (die erste ökumenische Jury nahm 1973 beim Filmfestival von Locarno ihre Arbeit auf) relativ konsistent. Neben der künstlerischen Qualität – dramaturgische und filmsprachliche Umsetzung des gewählten Stoffs, das Verhältnis von konventionellen und innovativen Elementen, insbesondere Leistungen von Produktionsstandard, Regie, Drehbuch, Schauspielern, Kamera, Musik, Schnitt – soll das prämierte Werk wichtige ethische, soziale und/oder (inter-)religiöse Themen ansprechen und auch für die allgemein verständliche Diskussion und Bildungsarbeit geeignet sein, nicht nur im kirchlichen Kontext, sondern im gesamtgesellschaftlichen Rahmen.

Die (Sinn-)Frage, die sich dabei im Lauf der letzten Jahre für kirchliche Jurys immer dringlicher stellt: Welches potenziell interessierte Film-Publikum lässt sich mit der Auszeichnung von Filmen, die diese Kriterien erfüllen, noch erreichen – in Zeiten, in denen nicht zuletzt das jüngere Publikum seinen Filmhunger primär mittels kommerzieller Streamingportale stillt? Umweht die Filmpreise einer kirchlich oder pastoral auftretenden Institution neben den von Algorithmen gesteuerten Filmempfehlungen von Netflix und Co. nicht zwangsläufig der weihräucherige Hauch des Ewiggestrigen und Belehrenden? Dieses Stigma gilt es unter neuen Vorzeichen abzubauen. Das augenblicklich (selbstverschuldete wie medial vermittelte) desaströse Erscheinungsbild der katholischen wie evangelischen Amtskirche erweist sich in diesem Prozess des Strukturwandels nicht gerade als hilfreich.


Muss der Weg fort vom traditionellen Arthouse-Kino führen?

Inwieweit ist da im (Selbst-)Verständnis einer ökumenischen (oder gar interreligiösen) Filmjury die vorherrschende Konzentration auf bildungsbürgerliche Inhalte, aufs traditionelle Arthouse-Kino sinnvoll? Die Orientierung am Programmkino-Anspruch der 1980er- und 1990er-Jahre? Müssen andere Erzählformen, neue ästhetische, technische, mediennutzerspezifische Anwendungen in den Fokus gerückt werden? Ketzerisch: Sollte der Weg fort von den Spuren des Religiösen im Kino führen, die (Arthouse-)Ikonen wie Robert Bresson, Ingmar Bergman, Andrej Tarkowski, Theo Angelopoulos oder Pier Paolo Pasolini hinterlassen haben und denen nachfolgende Generationen bis hin zu Paweł Pawlikowski („Ida“) gefolgt sind? Sollte die Aufmerksamkeit verstärkt auch mainstreamigeren, serienaffinen Produktionen mit emotionaler Bindung durch bekannte Gesichter gelten? Das ist sicher eine Gratwanderung, eine Herausforderung – für das anvisierte Publikum wie für die traditionalistischen Jünger:innen der reinen, hehren Filmkunst!

Die ökumenische Jury in Cottbus erhielt 2021 zur Bewertung 12 Titel aus dem internationalen Wettbewerbsprogramm. Die Preisvergabe sollte – laut Statut von SIGNIS und Interfilm – an ein Werk erfolgen, das auf keiner (vergleichbaren) Veranstaltung bereits von einer ökumenischen Filmjury ausgezeichnet wurde. Eine strategische Überlegung für die undotierte Auszeichnung könnte bereits das Potential für einen Lizenzerwerb und Arbeitshilfen durch interreligiöse Vertriebsstrukturen ausloten. Das 1953 gegründete Katholische Filmwerk (kfw) mit dem Service nichtgewerblicher Film- und Medienarbeit und die evangelische Matthias-Film GmbH, 1950 etabliert und heute zum modernen Vertriebsdienstleister gewandelt, sind da gut einzubeziehen.


Preis der Ökumenischen Jury beim 31. Festival des Osteuropäischen Films in Cottbus:

„Brighton 4th“ von Levan Koguashvili

Georgien/Russland/Bulgarien/USA/Monaco 2021.

Ein ehemaliger Ringerchampion reist von Tiflis nach New York, um seinem Sohn im Kampf gegen die Mafia zu helfen, da er 14.000 Dollar Spielschulden hat und deshalb weder sein Medizinstudium noch die Hochzeit organisieren kann. Das Motiv des verlorenen Sohns überschattet auch das patriarchalische Verhältnis zu seiner Frau, der er sogar seinen Hund vorzieht. Das bereits beim diesjährigen Tribeca-Festival ausgezeichnete Familiendrama bietet eine universale Reflexion über Respekt, Würde und Mitmenschlichkeit, über das Schicksal, die Identitätssuche und die Heimatlosigkeit von Auswanderern. Herausragende schauspielerische Leistungen, eine konzentrierte Kameraarbeit und eine präzise Studie dieser Männergesellschaften verleihen dem Film einen besonderen Reiz. Auch der aus dem georgischen Kino bekannte Humor lockert die Charakterbilder, die strukturelle Gewalt immer wieder auf. Eine Facette, die dem harten Gangsterthriller „Little Odessa“ (1994), dem Regiedebüt von James Gray, als Vorbild entnommen zu sein scheint.

„Brighton 4th“ erhielt auch den Preis der internationalen Filmkritik (Fipresci). Hauptdarsteller Levan Tediashvili als Vater wurde für eine herausragende darstellerische Einzelleistung gewürdigt.

Weitere Preise:

Der Hauptpreis für den besten Film ging an das slowakisch-ukrainisch-tschechische Frauengefängnisdrama „107 Mothers“ von Peter Kerekes. Die polnische Produktion „Leave No Traces“ von Jan P. Matuszyński, kürzlich bereits auf den Festivals in Venedig, Danzig und Haifa gezeigt, wurde mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet.

Kommentar verfassen

Kommentieren