Schriftstellerinnen und Schriftsteller erfreuen sich seit der Frühzeit des Kinos immer wieder gesteigerter Aufmerksamkeit. Eine Tagung und ein daraus hervorgegangener Sammelband nehmen prominente Beispiele dieser Gattung in den Blick und binden die Filme und ihre Ästhetiken in umfassende gesellschaftliche wie akademische Zusammenhänge ein.
Als Drehbuchschreiber haben sie herhalten müssen, seitdem der frühe Kunstfilm für neue (bürgerliche) Publikumsschichten in festen Lichtspieltheatern den Schweißgeruch der Jahrmarktsattraktion abstreifte. Während 125 Jahren Filmgeschichte wurde über den Stellenwert umworbener Autoren immer wieder journalistisch und akademisch räsoniert. Jüngstes Beispiel ist die von der Siemens-Stiftung organisierte Tagung „Verfilmte Autorschaft“. Der daraus hervorgegangene Band mit 15 Beiträgen pflegt einen vorwiegend akademischen Diskurs. Als Grundthese dient eine „plurimedial“ verstandene Literaturgeschichte: kultursoziologisch-biografisch als Vorbildfunktion von Autorschaft und Kreativität; performativ-theatralisch durch historische Inszenierungspraktiken; ästhetisch-narratologisch als literaturgeschichtliche Betrachtung.
In den wenigen Studien über Schriftsteller*innen als Filmfiguren geht es um (Selbst-)Inszenierungen und -Vermarktungen im dokumentarischen Format sowie um Intermedialität als Mixtur aus Biografie und Fiktion. Deshalb der wissenschaftliche Ansporn: „Der Literaturbetrieb und die literaturhistorische Gedächtniskultur sind längst plurimedial geworden. Selbst erfolgreiche Biografien – wie etwa die Goethe- und Schiller-Biografien von Rüdiger Safranski – erreichen nicht ein Zehntel des Publikums von Kinofilmen wie ‚Goethe!‘ (2010) oder Dominik Grafs Schiller-Film ‚Die geliebten Schwestern‘ (2014). Sie verankern Personen, Werke, Epochen und Konzepte von Autorenschaft im kulturellen Gedächtnis.“
Vom Stummfilm bis zur Gegenwart
Kurzporträts der einzelnen Aufsätze bieten einen raschen Überblick zu allen Themen und Analyseansätzen. Sehr gut für die weitere Beschäftigung eignen sich die Filmografien und Literaturangaben am Ende jedes Beitrags. Der Anspruch einer Darstellung „vom Stummfilm bis zur Gegenwart“ wird nur ansatzweise eingelöst, wenn der Stummfilm als Vergleich zweier Schiller-Produktionen mit vier Seiten auskommen muss. Erschwert wird die Lektüre durch die kleine Schriftgröße. Hinzu kommt, dass die Versalien C und G in den Fußnoten und Zitaten kaum zu unterscheiden sind. Auch vereinzelte Schreibfehler trüben den Gesamteindruck.
„Kaum ein Medium bringt seinen Gegenstand verlässlicher zum Verschwinden als der Film“, spitzt Sigrid Nieberle ihre These zur Differenz von filmischer Inszenierung hinsichtlich literarischer Autorschaft und traditioneller Literaturgeschichtsschreibung zu. In Ruth Beckermanns Celan/Bachmann-Film „Die Geträumten“ (2016) sieht sie das geeignetere Stilmittel der Allusion anstelle von Illusion umgesetzt. Aber sind idealtypisch aufbereitete Unterschiede zwischen Film und Text so gravierend, dass Rezipienten ohne Empathie und Fantasie auskommen (können)? „Auch das Publikum verschwindet aus der Welt. Es geht ins Kino, zappt sich durch, wechselt zwischen First und Second Screen… Beim viel zitierten Tod des Autors handelt es sich im Film sowohl um eine nietzscheanisch inspirierte Kritik an der hermeneutischen Autorschaftsdeutung als auch um ein wiederkehrendes performatives Ereignis“, formuliert Nieberle allzu theoretisch.
Auf Popularität fixierte Komplexitäten und Erzählmuster deuten eher auf eine Konvergenz beider Medien hin. Sicher begünstigen zeitgenössische Porträtfilme oder Dokus das „Verschwinden des Autors im eigenen Werk“. Doch Widersprüche und Absurditäten, wie sie Nieberle etwa an Ilse Aichinger festmacht, zählen bereits vor postmodern aufgeheizten „transmedial-metafiktionalen Inszenierungsformen“ zum Kanon der Film- wie der Literaturgeschichte. Vielleicht wäre ein Blick auf João Botelhos kalligrafisches Fresko „Conversa Acabada“ (1982) über Fernando Pessoas futuristischen Gedankenaustausch mit Mário de Sá-Carneiro in diesem Kontext erhellend.
Am Beispiel von Friedrich Schiller
Konkreter geht Stephanie Catani im Beitrag „Vom ‚verlorenen Sohn‘ zum ‚großen Deutschen‘“ vor, in dem sie den jungen Schiller in biografischen Filmen vor 1945 untersucht. Während Curt Goetz’ Stummfilm „Friedrich Schiller. Eine Dichterjugend“ (1923) den Nationaldichter als vom württembergischen Landesherrn unterdrückten verlorenen Sohn beschreibt, destilliert ihn Herbert Maischs „Friedrich Schiller – Triumph eines Genies“ (1940) zur heroischen, ideologisch aufgeladenen Führungsfigur im Zeichen der NS-Diktatur. Dass der schwäbische Klassiker auch distanzierende und teilnehmende Gefühlsgeschichtsschreibung ermöglicht, weist Gerhard Kaiser anhand von Dominik Grafs „Die geliebten Schwestern“ nach. Sprachliche und historisierende Aspekte legen seiner Meinung nach eine melancholische Utopie frei, in der das Scheitern eines verklärten Ideals romantischer Liebe dem weiblichen Gegenentwurf den Siegeskranz beschert.
Ein Konzept doku-fiktionalen Erzählens stellt Agnes Bidmon mit Heinrich Breloers/Horst Königsteins Dreiteiler „Die Manns - Ein Jahrhundertroman“ (2001) vor. Das Oszillieren zwischen den Medien und Erzählstrategien will mit Quellen und Zeitzeugen möglichst nahe an „die historische Wahrheit, die Beziehungskonstellationen“ des Autors herankommen. Co-Herausgeber Torsten Hoffmann versucht sich an Rilke „als sidekick“ in aktuellen Kinofilmen. Er sieht in Cordula Kablitz-Posts Film „Lou Andreas-Salomé“ (2016) die Präsenz von Künstler und Werk literarisch und filmästhetisch gelungen umgesetzt.
Anna-Katharina Gisbertz untersucht
in ihrem Aufsatz „Autorschaft im Exil zwischen Trauma und Widerstand“ Maria
Schraders Film „Vor der Morgenröte. Stefan Zweig in Amerika“ (2016). Die
sensible Produktion ist für sie ein Paradebeispiel, das biografische Bezüge
geschickt in dramaturgisch-literarische (Exil-)Zeitläufte eingliedert. An
Steven Soderberghs eigenwilligem „Kafka“-Porträt von 1991 deduziert Stefanie Kreuzer mit den Parametern
Fiktionalität und Faktualität, der Kombination aus Literatur, Bildender Kunst
und filmischen Referenzen „eine spielerische und unterhaltsame filmische
Vermischung von Autorbiografie und fiktionalen Textwelten im Zwitter-Genre
eines anspielungsreichen Horror-Kunstfilm-Formats“.
Vexierspiele, Autofiktionen, Innen- und Außenwelten
Jürgen Heizmann widmet der vielbemühten Filmfigur Bertolt Brecht zwei Annäherungsversuche und vergleicht „Abschied - Brechts letzter Sommer“ (2000) mit „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ (2018). Seine Analyse fördert ein vermenschlichtes, politisch desillusioniertes Auslaufmodell sowie ein massentaugliches Abziehbild des Bürgerschrecks zutage. Björn Hayer stellt die Schreibmethode der „filmischen“ Schriftstellerin und Kino-Figur Marguerite Duras mit dem Film „Diese Liebe“ (2001) von Josée Dayan vor. Dabei wird „Literarizität“ als Meta-Raum skizziert, der medienspezifische Grenzen des Kinos durchbricht und durch prosaisches Erzählen audiovisuelle Innovation optioniert.
Zwei knorrige Skandalautoren, Thomas Bernhard und Peter Handke, analysieren Thomas Wegman und Alexander Honold mittels Monolog- und Interviewfilmen oder biografischer Doku als Amalgam aus Vexierspiel, autofiktionalen Kunst- und Dichterpersönlichkeiten inklusive Außenwirkung und Innenwelten. Stringent liest sich Angela Hildebrands Beitrag „Den Künstler filmen. Francisco de Goya in den Spielfilmen von Konrad Wolf und Carlos Saura“. Während der DDR-Regisseur eine künstlerische und sozialpolitische Perspektive favorisiert, bevorzugt der Spanier neben dem ästhetischen den individualistischen Zugang, um Goyas Isolation in der Gesellschaft herauszustellen.
Am Ende des anregenden
Sammelbands entsteht der Gedanke vom Phänomen der Ungleichzeitigkeit, des
Außenseiterstatus, wenn es um die Interpretation von Erzählstrukturen und
künstlerischen Narzissmus geht. In diesen Kontext passte auch der Sturm- und
Drang-Vertreter J. M. R. Lenz, den George Moorse 1971, Egon
Günther 1991, Thomas Imbach 2006 und Andreas Morell
2009 porträtierten.
Literaturhinweis
Verfilmte Autorschaft. Hrsg. von Torsten Hoffmann, Doren Wohlleben. transcript Verlag, Bielefeld 2020. 284 S., 35 Abb., 40 EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.