© arte/1980 Columbia Pictures Industries, Inc.

Machine Gun Lover - Gena Rowlands

Zum Tod der US-amerikanischen Darstellerin Gena Rowlands, die am 14. August im Alter von 94 Jahren verstorben ist

Veröffentlicht am
04. September 2024
Diskussion

Am 14. August 2024 ist die Schauspielerin Gena Rowlands im Alter von 94 Jahren verstorben. Als Hauptdarstellerin und Frau des Regisseurs John Cassavetes bildete sie mit ihm ein Paar, das wie kein anderes im US-Kino für die Auflehnung gegen Konventionen stand. Gena Rowlands prägte dabei das Bild der wehrhaften Frau, die sich gegen eine bedrängende Gesellschaft auflehnt. Eine Hommage an die Darstellerin, die dem Kino einige seiner ehrlichsten Momente schenkte.


Virginia Cathryn Rowlands, geboren am 19. Juni 1930 in Madison, Wisconsin, jenem Bundesstaat, aus dem so viele große Filmschaffende stammen: Nicholas Ray, Gene Wilder, Orson Welles, Fredric March, Joseph Losey, Willem Dafoe oder Spencer Tracy. Denkt man an „Gena“, wie sie überall genannt wird, denkt man auch an John Cassavetes. Es gibt wohl kaum ein inspirierenderes Liebespaar in der Filmgeschichte, vor allem nicht auf diesem künstlerischen Niveau. Wie ein emotionaler Wirbelwind wurde ihr Kino ab den 1960er-Jahren zum Inbegriff unabhängigen Filmschaffens und setzt bis heute Maßstäbe in einem Freiheitsbegehren, das sich zwischenmenschlichen Beziehungen in mitreißender Radikalität und Ambivalenz widmet. Filme wie Eine Frau unter Einfluss, Opening Night,Love Streams oder Gesichter haben nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Vom kürzlich verstorbenen Jonas Mekas über Peter Bogdanovich bis zu Jim Jarmusch oder Cristi Puiu gibt es zahlreiche Bewunderer und noch mehr hoffnungslose Nachahmer. Ihre Filme sind zeitlose Dokumente des Menschseins, in denen ekstatisch die Realität in die Kamera hineingeschrien, -geweint und -geliebt wird.

Aus dem Herzschlag dieses Kinos entstand das Bild von Gena Rowlands, das sich bis heute in den Köpfen festgesetzt hat und das ihr 2015 auch den „Oscar“ für ihr Lebenswerk einbrachte. Es ist das Bild einer wankenden, sich wehrenden Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie versprüht eine starke, manchmal kühle Eleganz, oft sieht man sie mit verwischten Lidschatten, aber selten weinend. Eine Frau, die in dieser Gesellschaft lebe, sagte Cassavetes, müsse verrückt werden. Sein Eine Frau unter Einfluss, in dem Rowlands als Mabel Longhetti eine der größten Performances der Filmgeschichte zum Exzess bringt, erzählt diese Geschichte.


Dekonstruktion konservativer Lebensmodelle

Es ist die Dekonstruktion des konservativen amerikanischen Lebensmodells und man muss sich nichts vormachen, Rowlands verstand genau, was ihr arbeitswütiger, sich im Schneideraum einschließender und sie mit den drei Kindern im Wohnzimmer lassender Ehemann da trotz ihrer gemeinsamen Ablehnung patriarchaler Strukturen unter einer verrückt-machenden Gesellschaft verstand. Sie übersetzte die Intensität seiner Beobachtungsgabe in pure, unberechenbare und verletzlich offene Präsenz. Als Ehefrau von Peter Falk kümmert sie sich im Film um die herumtollenden Kinder und den Haushalt, ist dazu psychisch aber schon lange nicht mehr in der Lage. Beinahe wie jene berühmte Aufnahme von ihr aus Gesichter, in der man ihr zur Hälfte beleuchtetes, tränenverschmiertes Gesicht in Richtung Kamera blicken sieht, stellt sich die Frage, ob sie im Licht oder im Schatten von Cassavetes steht, mit dem sie von 1954 bis zu dessen Tod 1989 verheiratet war. Klar scheint nur, dass sie sein Kino unendlich bereichert.

"Eine Frau unter Einfluss"
"Eine Frau unter Einfluss" (© imago/United Archives)

Aber gibt es eine Gena Rowlands ohne Cassavetes? Vielleicht so wie es eine Marlene Dietrich, die Rowlands als großes Vorbild bezeichnet, ohne Josef von Sternberg gibt. Nicht wirklich, weil das Kino immerzu seine stärksten Bilder in uns verfestigt, die alles verändern, was wir danach sehen und auch weil sich der romantische Gestus dieser Bonnie-und-Clyde-Geschichte erstaunlich gut hält. Zu aggressiv gegen die Konvention, zu intensiv in der Konfrontation mit sich selbst, zu geschickt im Spiel mit den doppelten Böden der Illusion gingen Cassavetes und Rowlands vor, um die Seele ihres gemeinsamen Schaffens zu übersehen. Sie bedienten dieses Bild sogar in Filmen, in denen Cassavetes gar nicht Regie führte. Etwa in Die Unschlagbaren, einem italienischen Las-Vegas-Heist-Thriller von Giuliano Montaldo. Darin spielt Cassavetes einen rabiaten, aber tragischen Räuber und Rowlands seine ehemalige Partnerin und Geliebte.


Der Traumpart der Gangsterbraut

In den wenigen gemeinsamen Szenen im Film offenbart vor allem Rowlands die zurückbleibenden Narben einer Welt der coolen Sprüche und Macho-Männer, die bis dahin allzu selbstherrlich durch das Narrativ stolziert. Der Spitzname des Paares im Film: Machine Gun Lovers. Eine Bezeichnung, in der sich Rowlands wiederfinden dürfte, denn in der Rolle der dominanten Gangsterbraut hat sie sich immer besonders wohlgefühlt. Schließlich schenkte ihr Cassavetes mit seinem Gloria, die Gangsterbraut eine Rolle, in der sie diese Vorlieben in Verbindung mit der im Werk der beiden allgegenwärtigen Ohnmacht vor gesellschaftlichen Strukturen ausleben durfte. Sie spielt die Partnerin eines Gangsters, der einen kleinen Jungen aufgrund von Informationen, die dieser mit sich trägt, umbringen lassen will. Kurzerhand schießt sie auf die Gangster und macht sich mit dem Jungen auf die Flucht. Es ist auch ihre eigene Chance, dieser Welt zu entkommen.

Wie stark das Bild von Cassavetes das Kino von Rowlands prägt, kann man in einer Szene von William Friedkins Kriminalkomödie Das große Dings bei Brinks sehen. Darin spielt Rowlands wieder eine Gangsterbraut, nur dass ihr Mann ein ziemlich erbärmlicher, chronisch erfolgloser Kleinganove ist. Verkörpert wird er von Peter Falk. Als die beiden sich zum ersten Mal im Film sehen, sie ihn zuhause und mit zusammengedrückten Backen erwartet, kann man nicht anders, als in ihrer Umarmung eine Fortsetzung ihrer Beziehung aus Eine Frau unter Einfluss zu sehen. Es wirkt so, als hätten die beiden kurz Urlaub genommen von Cassavetes, um das, was sie dort über sich selbst erfahren haben, von nun an auch in anderen Filmen anzuwenden.

"Opening Night"
"Opening Night" (© imago/United Archives)

Neben dem Kino widmete sich Rowlands vor allem zu Beginn ihrer Karriere auch dem Theater und dem Fernsehen. Ausgebildet wurde sie wie Cassavetes auf der American Academy of Dramatic Arts. Sie stand unter anderem mit Edward G. Robinson auf der Bühne. In ihren zahlreichen Auftritten in TV-Serien von Bonanza über Adventures in Paradise bis zu Alfred Hitchcock Presentsfinden sich bereits erstaunliche Zeugnisse ihres Könnens, oft aber wurde sie als die schöne blonde Frau, öfter noch als die schöne blonde Hausfrau besetzt. Das galt auch für ihr erstes Serien-Treffen mit Cassavetes in Johnny Staccato. Dort gab Cassavetes einen über die Maßen abgezockten Privatdetektiv. In einer Folge hatte er es in einem Flugzeug auf die schöne Gena abgesehen. Viel ist daraus nicht zu holen außer der lapidaren Feststellung, dass die Chemie zwischen beiden stimmte. In Bonanza gilt die erste Einstellung ihren Beinen, in 87th Precinctspielt sie eine schöne, hilflose Taubstumme und in Laramiewäscht sie sich halbnackt in einem Teich.


Spiel frei von Eitelkeiten

Schmachtend an der Seite von Rock Hudson oder Kirk Douglas wurde sie auch im Kino gerade zu Beginn ihrer Karriere oft zu einsilbig besetzt. In ihrer Rolle als heimliche Verbündete des Outlaws in Einsam sind die Tapferenbringt sie es einmal in einer paradoxen Formulierung, die die ihr zugeschriebene Rolle als Frau akzeptiert und nicht-akzeptiert auf den Punkt: „Wenn es keine Männer bräuchte, um Kinder zu machen, würde ich nichts mit ihnen zu tun haben.“ Das Spiel von Rowlands ist frei von Eitelkeiten. Im Mut zur unerwarteten Geste oder Mimik vermag sie Unsicherheiten zu offenbaren, die ihr die eigentlichen Rollen gar nicht zugedacht hätten. So führt sie wiederholt ihre Zunge an die Vorderzähne in Erwartung von Unheil oder bläst ihre Backen auf, wodurch eine gewisse Ermüdung sichtbar wird.

Wenn es so etwas wie einen Auteur in Gena Rowlands gibt, dann ist es ihre Beziehung zu Kindern, die sich durch ihr ganzes Schaffen zieht und niemals als einfache Mutterrolle interpretierbar bleibt. Ein gutes Beispiel dafür findet sich in der Episode The Lonely Hoursbei The Alfred Hitchcock Hour. Darin spielt sie die Mutter von vier Kindern, der Vater existiert nur am Telefon. Eine fremde Frau beginnt sich für ihren jüngsten Sohn zu interessieren, sie scheint zu glauben, dass es sich um ihren eigenen Sohn handelt. Im Spiel von Rowlands gibt es hier und auch in anderen Arbeiten zur gleichen Zeit den Eindruck einer liebenden Mutter und jenen, der nahe an der Käthe in Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“ gebaut ist, also einer Mutter, die sich vor ihren Kindern entfremdet.

"Eine andere Frau"
"Eine andere Frau" (© imago/United Archives)

Es gibt die Mutter und die Mutterrolle in Gena Rowlands. In Light of Day hat Paul Schrader sie als Mutter besetzt, die keinen Zugang zu ihren Kindern hat, und in Woody Allens Eine andere Frau ist es die Kinderlosigkeit, die im Unterbewusstsein ihrer Figur nagt. Allen hat gemeinsam mit Kameralegende Sven Nykvist in diesem Film an einem anderen, von Cassavetes losgelösten Bild von Rowlands gearbeitet. Auf eine merkwürdige Art macht sie der von Ingmar Bergman besessene Film zu einer amerikanischen Liv Ullmann, die rötlich beleuchteten Nahaufnahmen und Profilaufnahmen inklusive. Trotz dieser Bemühungen scheint im Spiel von Rowlands diese immense Sensibilität unter der kühlen Fassade hindurch. Man erwartet immer mehr einen Schrei oder ein unkontrolliertes Lachen als stille Tränen von ihr. Eigentlich erinnert Rowlands in Eine andere Frauauch ein wenig an Cate Blanchett in Allens Blue Jasmine. Ob der geteilten Eleganz würde sich ein Vergleich der beiden Darstellerinnen aufdrängen, jedoch ist Rowlands deutlich näher am Boden gebaut, ihre Rollen haben nichts von der außerweltlichen Präsenz Blanchetts und selbst wenn Rowlands in einer Fernsehproduktion von Rapunzel einmal mit hysterischer Frisur die Hexe gab, so könnte sie doch keine Elbin spielen.


Sie macht, was ihr gefällt

Love Streams markiert die letzte Zusammenarbeit von Cassavetes und Rowlands, den letzten Film des bereits schwer erkrankten Filmemachers. Es wäre schön, wenn man behaupten könnte, dass Rowlands in ihrer Arbeit seitdem ihr gemeinsames Erbe weiterführe. Bis zu einem gewissen Grad tut sie das auch, in dem sie sich sehr für die Bewahrung und Vermittlung ihrer gemeinsamen Filme einsetzt. In ihrer Rollenwahl aber ist sie nie wieder solche Risiken eingegangen. Allerdings kann man auch nicht behaupten, dass sie sich besonders verrenkt. Sie macht, was ihr gefällt, was sie interessiert. So hat sie mit ihrem Sohn Nick Cassavetes gearbeitet, wurde von Jim Jarmusch sehr ironisch als Hollywood-Casterin in einem Taxi mit Winona Ryder in Night on Earth besetzt und brillierte noch einmal in einigen TV-Arbeiten sowie als Sängerin in Neon Biblevon Terence Davies. Dort tanzt sie im Sitzen zu einer Version von „Perfidia“ und singt im Stil Ella Fitzgeralds „My Romance“, ohne vorher zu verschweigen, dass sie natürlich nicht „God Bless America“ singen würde. Sie ist eine Außenseiterin im Film und nur für ihren Neffen ein Vorbild. Ihre Figur hängt zwischen der Erinnerung an ein früheres Leben, einer aufgesetzten Souveränität und fragiler Rastlosigkeit. In den letzten Jahren hat sie sich rarer und rarer gemacht. Mit ihrem zweiten Ehemann lebt sie immer noch im Haus, in dem sie mit Cassavetes lebte und in dem unter anderem auch Love Streams gedreht wurde.

Unter der Regie ihres Sohnes Nick Cassavetes in "Wie ein einziger Tag" (2004), mit James Garner.
Unter der Regie ihres Sohnes Nick Cassavetes in "Wie ein einziger Tag" (© Warner Bros.)

Gena Rowlands spielt oft jene Dinge, die wir selbst nicht gut an uns kennen, die wir womöglich vor uns selbst verstecken. Sie spielt den Breaking Point menschlicher Emotionen, in Anlehnung an die gleichnamige Psychiatrieserie, in der sie 1963 einen bemerkenswerten Auftritt als betrunkene oder suizidgefährdete Frau hinlegte. Ihr widerstrebt alles, was sie unbedingt will, sie fällt würdevoll in sämtliche Zweifel, die es zu vermeiden gilt. Wer mit ihr durch die Tortur am Ende von Opening Night gegangen ist, als sie sturzbetrunken bereit für ihren Theaterauftritt sein muss, kann die in verschiedene Richtungen laufenden Emotionen in ihrem Spiel bei der gleichzeitigen Arbeit erleben. Ein Spektakel ist das, genau wie ihre Fähigkeit zur immensen Wut, zum Ausbruch, zur Unberechenbarkeit.

Es gibt die sich beherrschende Gena Rowlands, die sich schminkt, lächelt und ihr Leben und ihre Lebendigkeit eindämmt, und es gibt die Gena Rowlands außer Kontrolle, die es nicht mehr erträgt, die eine freie Frau sein will. Diese Ambivalenz spiegelt sich sowohl in ihren Rollen als auch in ihrer Karriere zwischen abhängigem und unabhängigem Kino. In Wisconsin ist man sicher stolz auf diese Gena Rowlands.


Hinweis

Das Porträt wurde erstmals am 19. Juni 2020 anlässlich von Gena Rowlands 90. Geburtstag publiziert.

Kommentar verfassen

Kommentieren