Me too - Wer will schon normal sein?

Drama | Spanien 2009 | 103 Minuten

Regie: Antonio Naharro

Ein 34-jähriger Mann mit Down-Syndrom arbeitet in einer Beratungsstelle für behinderte Menschen. Er interessiert sich für eine attraktive Arbeitskollegin, die ihm als Einzige mit Offenheit und Natürlichkeit begegnet, doch die Beziehung wird durch Vorurteile und Sticheleien im familiären wie beruflichem Umfeld torpediert. Ungewöhnliche und bewegende, in den Hauptrollen mutig gespielte Liebesgeschichte, die den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderten thematisiert und dabei Tabus wie körperliche Nähe und Sexualität nicht ausklammert. Einziges Manko des Films ist die überpointierte Zeichnung der Charaktere. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
YO, TAMBIEN
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Alicia/Promico
Regie
Antonio Naharro · Álvaro Pastor
Buch
Antonio Naharro · Álvaro Pastor
Kamera
Alfonso Postigo
Musik
Guille Milkyway
Schnitt
Nino Martínez Sosa
Darsteller
Lola Dueñas (Laura) · Pablo Pineda (Daniel) · Antonio Naharro (Santi) · Isabel García Lorca (Maria Ángeles) · Pedro Álvarez Ossorio (Bernabé)
Länge
103 Minuten
Kinostart
05.08.2010
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama

Diskussion
Der deutsche Untertitel führt in die Irre, weil er den Wunsch der Hauptfigur unverständlicherweise in sein Gegenteil verkehrt. Denn Daniel möchte nichts lieber als „normal“ sein. Dass der 34-Jährige nicht so ist wie andere, sieht man ihm sogleich an: Er leidet am Down-Syndrom. Trotz seiner Behinderung hat er allerdings ein Hochschulstudium der Sonderpädagogik mit Auszeichnung abgeschlossen. Inzwischen hat er einen ganz normalen Job in einem ganz normalen Büro, einer Beratungsstelle für behinderte Menschen. Daniel beeindruckt seine Kollegen durch Aufgeschlossenheit und Fachwissen. Trotzdem entgeht ihm nicht, dass er anders behandelt wird als andere: Zu besorgt, zu aufmerksam, zu nachsichtig und zu verklemmt gehen die Kollegen mit ihm um. Nur eine begegnet Daniel offen und natürlich: Laura. Sie ist durch ihre gefärbten Haare, die körperbetonte Kleidung und ihre wechselnden Männerbekanntschaften ebenfalls als Außenseiterin gekennzeichnet. Zwei Seelenverwandte, die sich auf Anhieb verstehen und sich näher kommen: hier eine Berührung, dort ein einladendes Lächeln. Rasch erhofft sich Daniel mehr. Nur zu gern würde er seiner Einsamkeit entfliehen. Doch mit ihrem Techtelmechtel heizen Daniel und Laura den Bürotratsch an. Der Film des Regie-Tandems Álvaro Pastor und Antonio Naharro wirft wichtige Fragen auf: Wie gehen moderne Gesellschaften mit behinderten Menschen um? Welche körperlichen und seelischen Bedürfnisse haben sie? Fragen, auf die die Regisseure keine endgültigen Antworten geben, weil sie sie eher als Denkanstöße verstanden wissen wollen. Dabei berührt der Film auch Tabus, etwa die körperliche Nähe zwischen Behinderten und Gesunden – auch wenn die Inszenierung die damit einhergehenden Bildverbote nicht umgehen will und bei der einzigen Bettszene verschämt abblendet. Die Authentizität des Films ist auf die persönliche Betroffenheit der Macher zurückzuführen. Naharros Schwester Lourdes leidet am Down-Syndrom, ebenso die Tochter des Produzenten Julio Medem. Der Hauptdarsteller Pablo Pineda interpretiert gleichsam sein fiktives Alter Ego, wenn man so will: Er ist der erste Europäer mit Down-Syndrom, der einen Hochschulabschluss erworben hat. Die Annahme, dass er sich selbst spielen würde, wird allerdings seiner darstellerischen Leistung nicht gerecht. Pineda beeindruckt durch Charme, Humor und Schlagfertigkeit. Dafür wurde er beim Filmfestival in San Sebastián als Bester Schauspieler ausgezeichnet. Trotzdem hätte man sich „Me Too“ ein bisschen mutiger gewünscht. Dass ein behinderter Mann und eine gesunde Frau zusammenfinden, hat mit der außergewöhnlichen Besonderheit ihrer Charaktere zu tun. Daniel ist eben nicht nur ein Mann mit Down-Syndrom, sondern hochintelligent und leistungsfähig, Laura wird als psychisch labile Frau gezeichnet, die familiäre Traumata mit sich herumschleppt und ihre Bindungsunfähigkeit durch Promiskuität verdrängt. Die Regisseure scheinen das Dilemma geahnt zu haben und führen als Gegengewicht in einer Nebenhandlung zwei behinderte Figuren ein, die sich in einer Tanzgruppe, dargestellt von der Gruppe „Danza Móbile“, begegnen. Auch sie müssen gegen die Vorurteile ihrer Umgebung kämpfen und finden doch über den Tanz und seinen natürlichen Ausdruck von Nähe und Intimität wie selbstverständlich zusammen.
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