Ein nach Jahrzehnten aus der Haft entlassener Ex-Terrorist wird von der Tochter eines Opfers regelrecht verfolgt, weil die traumatisierte Frau auf ein Schuldeingeständnis wartet. In der Ernsthaftigkeit und Radikalität, mit der sich der Film den aufgeworfenen Fragen nach Verantwortung und Schuld stellt, erweist er sich trotz einiger dramaturgischer Schwächen als spannende Facette der filmischen Aufarbeitung des linksradikalen Terrorismus in Deutschland. Dabei geht es weniger um Zeitzeugenschaft als vielmehr um moralische Haltungen, die aus der historischen Distanz erwachsen.
- Ab 16.
Schattenwelt (2008)
- | Deutschland 2008 | 93 Minuten
Regie: Connie Walther
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Next Film/Gambit Film- & Fernseh Prod.
- Regie
- Connie Walther
- Buch
- Uli Herrmann · Peter-Jürgen Boock · Connie Walther
- Kamera
- Birgit Gudjonsdottir
- Musik
- Rainer Oleak
- Schnitt
- Karen Lönneker
- Darsteller
- Franziska Petri (Valerie) · Ulrich Noethen (Widmer (Saul)) · Tatja Seibt (Ellen Weber) · Uwe Kockisch (Decker (Fisch)) · Christoph Bach (Samy)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Man hat – nicht ganz zu unrecht – gern davon gesprochen, dass sich der Neue deutsche Film beim Thema Terrorismus eher für die Täter als für die Opfer interessiert habe. Präziser wäre es aber vielleicht zu sagen, dass einschlägige Filme wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (fd 19 524), „Messer im Kopf“ (fd 20 988) oder auch „Deutschland im Herbst“ (fd 20 705) von den Effekten, die der Terrorismus in der Öffentlichkeit und im Privaten produzierte, und insofern im Sinne des Gemeinwesens von Opfern, erzählten, die unbescholten, wenngleich nicht ganz zufällig zwischen die Fronten von Staat und politisch motivierter Gewalt gerieten. Kamen einmal die Täter ins Bild, waren sie bei genauerem Hinsehen zumeist ihrerseits Opfer: Opfer autoritärer Väter („Die Reise“, fd 25 820), eines totalisierenden Moralismus („Die bleierne Zeit“, fd 23 135), karnevalesk-simplizistischer Verschwörungen („Die dritte Generation“, fd 22 189), der Springer-Presse („Die verlorene Ehre der Katharina Blum“), der Popkultur („Baader“, fd 35 624) und Versprengte sich radikal wandelnder Zeitläufte („Die innere Sicherheit“, fd 34 691; „Die Stille nach dem Schuss“, fd 34 450). Dass die Täter Täter waren, wusste man auch schon ohne die spektakuläre Ereignisse spektakulär nachstellende Nachhilfe von Bernd Eichinger und Uli Edel. Doch auch die sich selbst auf die Schulter klopfende historistische Authentizität von „Der Baader Meinhof Komplex“ (fd 38 920) – die ja mit der Entdeckung der Stasi-Akte Kurras nun auch hinfällig ist! – hatte für die unbekannten Opfer des Terrorismus kaum Bilder übrig; lieber inszenierte man die Erschießung von Prominenten wie Jürgen Ponto in aller Theatralität. Doch es gibt ein Leben nach der Verbüßung der Haftstrafe, wenn Schuld gegen Resozialisierungsanspruch steht – wie es jüngst der Fall von Christian Klar zeigte, der mehr als ein Vierteljahrhundert hinter Gittern verbrachte und trotzdem noch nicht zum öffentlichen Abschwören seiner politischen Überzeugungen diszipliniert werden konnte: das Gewissen bleibt skandalöserweise noch immer eine Privatsache. Von diesen beiden miteinander verflochtenen Seiten der Medaille handelt „Schattenwelt“, ein Film, der sich in mancherlei Hinsicht auf vermintes Terrain begibt.
Connie Walther erzählt davon, wie es sich anfühlen könnte, nach 22 Jahren Knast wieder in die Freiheit zu kommen. Wenn draußen alte Genossen warten, die es irgendwie cool finden, dass Volker Widmer alias „Saul“ nicht zu Kreuze gekrochen, nicht von der Sache abgefallen ist, keine Namen genannt hat. Was bedeutet ein Verlust von 22 Jahren, wie reagiert man auf den gesellschaftlichen Wandel? Christian Petzold hatte für diese zeitliche Spannung in „Die innere Sicherheit“ ein geniales Bild gefunden, wenn seine Protagonisten auf der Flucht ein altes Bargelddepot aufsuchen, wo allerdings nur noch wertlose D-Mark-Werte gebunkert sind. In „Schattenwelt“ steht eine fehlgeschlagene Entführung mit mehreren Todesopfern im Raum. Wer hat damals die tödlichen Schüsse abgegeben? Widmer hat dafür 22 Jahre gesessen, scheint mit sich und seinem Gewissen scheinbar im Reinen, würde aber von den Erinnerungen an die Vergangenheit gerne nicht mehr behelligt werden. Doch der Kampf geht immer noch weiter; für die Medien ist seine Freilassung ein Skandal; alte Genossen stehen bereit, eine Wohnung zu besorgen; andere Beziehungen – etwa zur ehemaligen Lebensgefährtin Marita – wurden aus politischen Gründen abgebrochen. Was bedeutet institutionalisierte Buße für begangene Verbrechen, wenn man sich weigert, öffentlich zu bereuen? Valerie war damals, als die Entführung scheiterte, noch ein Kind und ist die Tochter eines jener „nicht gemeinten“, zufälligen Opfer, Tochter eines „Kollateralschadens“ der militärischen Auseinandersetzung. Bis heute bekommt Valerie ihr Leben nicht in den Griff: Gerade erst wurde ihr das Sorgerecht für ihren Sohn entzogen, den sie krankenhausreif prügelte. Ist diese Gewaltbereitschaft Ausdruck ihrer Traumatisierung? Valerie weiß, wer damals beim Entführungsversuch geschossen hat, würde aber gerne ein offenes Eingeständnis der Schuld durch den Täter hören. Valerie steigt mit dem gerade aus dem Gefängnis entlassenen „Saul“ in den Ring, drängt sich in sein Leben, Randfiguren wie die Anwältin Ellen Weber, der Ermittler Decker und Widmers Sohn Samy kommen hinzu, verkomplizieren und spiegeln die Schuld-Konstellation mehrfach. Das Spiel, das jetzt beginnt, ist – zumal in Deutschland – wohl bekannt: die Wiederkehr des Verdrängten und die Spuren der Gewalt.
Connie Walther verzichtet allerdings auf erklärende Flashbacks und nostalgisches Zeitkolorit, gibt sich nicht mit Fernsehspieldramaturgie zufrieden, die Konflikte in Dialoge schmiedet, sondern forciert die überfällige Konfrontation bis an die Schmerzgrenze, wo die Spuren alter Gewalt neue Gewalt entstehen lassen. Nicht um Vergebung geht es hier, sondern um die Einforderung eines Dialogs mit offenem Visier. Wer wissen will, welche Gefahren einer vorschnellen Trivialisierung dieser Stoff bietet, der greife zu Bernhard Schlinks „Ein Wochenende“, der dem komplexen Thema mit den Mitteln eines Unterhaltungsromans beizukommen versucht, in dem jede Figur exakt eine mögliche Haltung zum Konflikt einnimmt, damit die Story nicht zu kompliziert wird. „Schattenwelt“ geht einen anderen Weg: Es ist die zugelassene Radikalität, die für unbequeme Filme einnimmt. Ulrich Noethen und Franziska Petri überzeugen mit erstaunlicher Präsenz, die alle Verzweiflung, Hilflosigkeit und Ohnmacht, die im Spiel ist, provozierend spürbar macht. Viel zu viele haben hier viel zu schnell über ihre politische Vergangenheit ein pragmatisches Mäntelchen gebreitet, aber nicht jeder Konflikt wird reibungslos (auf-)geklärt. Einmal konstatiert Widmer fast schon amüsiert, dass Valerie mit ihrem etwas richtungslosen Furor ganz gut „in die Gruppe“ gepasst hätte. Dass der einstige RAF-Kader Peter-Jürgen Boock kurzzeitig am Film mitarbeitete, sollte keinen billigen Skandal in der Öffentlichkeit provozieren, sondern gewissermaßen als Konsequenz der Haltung dieses Films gesehen werden. Boock hatte schon diverse Jobs vor und nach seiner Entlassung aus der Haft medienwirksam absolviert und gilt nicht unbedingt als zuverlässiger Zeitzeuge, als der er in „Schattenwelt“ auch gar nicht eingesetzt wurde, weil es diesem ja gerade nicht um Zeitzeugenschaft geht. Zwar laboriert „Schattenwelt“ durchaus an ein paar empfindlichen Schwächen – etwa die grobschlächtige Signifizierung der Traumatisierung Valeries, die etwas umstandslose Präsenz von Schusswaffen und das permanente Kokettieren mit Shootout-Situationen. Dennoch liefert der Film der „never ending story“ der filmischen Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte einige produktive neue Impulse, insofern der Panzer des Politischen originell aufgebrochen wird und Fragen nach persönlicher Verantwortung oder Schuld virulent werden. Dass Connie Walter kein wohlfeiles, affirmatives oder gar nachtarockendes Sieger-Entertainment anbietet, sondern mit ernsthaften moralischen Fragen in der gebotenen Schärfe umgeht, ehrt diesen kleinen, aber unbequemen und rücksichtslosen Film.
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