Messer im Kopf

wernstein@web.de | 05.05.2023

Da Reinhard Hauff im elfköpfigen Filmemacher-Kollektiv von „Deutschland im Herbst“ nicht dabei war, könnte man „Messer im Kopf“ als fehlenden Beitrag zu diesem Episodenfilm aus dem gleichen Produktionsjahr auffassen, da in ihm einige Grundannahmen in der Einschätzung des politisch-sozialen Klimas Westdeutschlands nahezu unverändert wiederholt werden, wie sie bereits in diesem kontrovers aufgenommenen Vorgängerfilm zum Ausdruck gebracht worden sind: Die Bundesrepublik Deutschland ist auf dem Weg zum Polizeistaat, bespitzelt und unterdrückt seine eigenen Bürger, jeder belauert jeden. Es herrscht ein Klima der Angst und Denunziation, das Grundgesetz ist nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt wird. Bringt „Deutschland im Herbst“ seine Thesen pointiert zum Ausdruck, so behindert die verquaste und zerdehnte Dramaturgie des Films mit einer stolzen Lauflänge von fast zwei Stunden dies in hohem Maße. Das unentschlossene Script von Peter Schneider, durch seine Bestseller-Erzählung „Lenz“ (1973) ein Schlüsselautor der 68er-Bewegung und gemeinsam mit Peter Handke literarisch gesehen so etwas wie ein Begründer einer neuen bundesdeutschen, linksorientierten subjektiven Innerlichkeit, zerbröselt den Charakter seiner Hauptfigur, den Biogenetiker Dr. Berthold Hoffmann (Bruno Ganz), in einem divergenten Genre-Mix aus Psycho- und Politthriller, Ehedrama, politischer Mediensatire und anzüglichen Männerwitzen auf Kosten von attraktiven Krankenschwestern. Erst in der finalen Konfrontation mit dem jungen und furchtsamen Polizisten Schurig (Udo Samel), der Hoffmann zuvor in einem Moment des panikartigen Kontrollverlusts durch einen Kopfschuss verletzt hatte, bringt Hauffs Film sein Thema auf den Punkt: Jeder muss seine eigenen Ängste und Gefühle im Spiegelbild des anderen erkennen, wird somit erst dann in die befreiende Wahrheit über sich selbst gezwungen. Das Ende von „Messer im Kopf“ ist von bemerkenswerter Klarheit, trotz einer Anhäufung von unübersichtlichen thematischen und dramaturgischen Volten, die es selbst einem aufgeschlossenen Filmpublikum, sowohl damals als auch heute, nicht gerade leicht machen, den Gedankenspielen von Regisseur und Autor bis zu diesem entscheidenden Kulminationspunkt zu folgen.