Vier parallel montierte Geschichten aus verschiedenen Zeitabschnitten erzählen vor verschiedenen kulturellen Hintergründen von Intoleranz, Ungerechtigkeit und Unterdrückung: Amerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Judäa im Jahr 27 nach Christus, Paris zur Zeit der Hugenotten-Verfolgung und Babylon im Jahr 539 vor Christus. Griffiths Stummfilm-Klassiker wurde nicht nur durch seine gigantomanische Entstehungsgeschichte berühmt, sondern auch dank seiner zur damaligen Zeit unkonventionellen Bildsprache und Erzählstrategie, die stilbildenden Charakter hatte. Der Film liegt nun in einer hervorragend restaurierten, viragierten Fassung mit vorzüglich komponierter neuer Musik vor.
- Sehenswert ab 14.
Intolerance
Monumentalfilm | USA 1914-16 | 177 (gek. 122) Minuten
Regie: David Wark Griffith
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Filmdaten
- Originaltitel
- INTOLERANCE - LOVE'S STRUGGLE THROUGHOUT THE AGES
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1914-16
- Produktionsfirma
- Triangle Film Corp./Wark Producing Corp.
- Regie
- David Wark Griffith
- Buch
- David Wark Griffith · Tod Browning
- Kamera
- G.W. Bitzer · Karl Brown
- Musik
- Wilfried Schröpfer · Antoine Duhamel · Pierre Jansen
- Schnitt
- David Wark Griffith · James Smith · Rose Smith
- Darsteller
- Lillian Gish (Frau an der Wiege) · Mae Marsh (Mädchen) · Robert Harron (Junge) · Vera Lewis (Mary T. Jenkins) · Sam de Grasse (Arthur Jenkins)
- Länge
- 177 (gek. 122) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Monumentalfilm | Bibelfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Mit Gelegenheitsjobs und schließlich als Schauspieler schlug sich David W. Griffith Anfang des 20. Jahrhunderts in New York durch. 1913 hatte er bereits rund 500 Mehrakter gedreht und zählte zu den bedeutendsten Filmregisseuren Amerikas. Er gründete in Hollywood eine eigene Produktionsfirma und inszenierte „The Birth of a Nation“, die Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs aus der Perspektive eines überzeugten Südstaatlers, begleitet von Protesten und Rassismusvorwürfen. Seine Reaktion: das Mammutprojekt „Intolerance“, ein universelles Plädoyer für Verständigung und Humanismus.
USA 1910. Die sinkenden Profite der Jenkins-Fabrik drohen, das Wohltätigkeitsbudget der Fabrikantengattin zu gefährden. Drastische Lohnkürzungen führen zu einem brutal niedergeschlagenen Arbeitsstreik. Betroffen davon ist auch das Mitglied einer Gangsterbande, das durch die Ehe mit einer gottesfürchtigen Frau auf den rechten Weg zurückkehrt, aber, fälschlicherweise eines Mordes verdächtigt, gehängt werden soll. In letzter Minute gelingt die Rettung. – Judäa im Jahr 27 nach Christus. Nach der Hochzeit zu Kanaa mehren sich die Angriffe der um ihren Einfluss fürchtenden Pharisäer auf Jesus, und sie stellen ihm mit der Anklage der Ehebrecherin Maria Magdalena eine Falle. Obwohl Pilatus den Nazarener für unschuldig hält, verlangt der hysterische Mob dessen Kreuzigung. – Die katholische Katharina von Medici betreibt 1572 in Paris die gnadenlose Verfolgung und Ermordung von 50.000 protestantischen Hugenotten. Ein junges, von einem Glaubensfanatiker geschändetes Mädchen stirbt in den Armen ihres Verlobten. – 539 vor Christus bringt der babylonische Herrscher Belsazar dem Perserkönig Kyros eine vernichtende Niederlage bei. Doch während man in der von Jubel und Stolz erfüllten Stadt ein monatelanges Fest feiert, verschwören sich die Hohepriester des Baal mit dem Feind. Ein Mädchen aus den Bergen kann den Verrat zwar aufdecken, aber die Warnung kommt zu spät: Babylons Schicksal ist besiegelt.
Die vier parallel montierten Geschichten werden immer rascher miteinander verschränkt. Die konkreten Beispiele von Intoleranz, Ungerechtigkeit und Unterdrückung im Amerika der Gegenwart, im Mittelalter, in Babylon und Judäa mischte Griffith mit Emotionalität und leidenschaftlichem Pathos – ohne falsche Larmoyanz! Freude und Trauer, Angst und Glück fungierten als Katalysator einer Tragödie in zwei Jahrtausenden Menschheitsgeschichte mit Glaubenskriegen, sozialen und gesellschaftlichen Problemen sowie usurpatorischen Machtansprüchen. Als Ausgangspunkt zu „Intolerance“ diente Griffith sein Film „The Mother and the Law“, der den Streik in einer Chemiefabrik thematisierte. Diesen ergänzte er um drei weitere historische Geschichten, die nach 20 Monaten Bauzeit in gigantischer Kulisse und mit Tausenden von Mitwirkenden entstanden. Nach 60 Tagen Filmschnitt präsentierte Griffith eine Fassung, die nach Einspruch jüdischer Organisationen in der neutestamentarischen Episode gekürzt werden musste. Durch den Kriegseintritt der USA und die unkonventionelle Filmsprache verlor das Publikum rasch jedes Interesse an dem Film und bescherte seinem Schöpfer ein finanzielles Fiasko. Heute verschreckt die seinerzeit ungewohnte Erzählstrategie niemanden mehr. Nur die Konzentration auf die Vielzahl der Figuren und Handlungsorte, von der Musik durch vereinzelte Leitmotive und eingängige Melodieführung aufeinander abgestimmt, verlangt einen aufmerksamen Zuschauer. Lenin war begeistert von Qualität und Botschaft des Films, wollte den Regisseur für die russische Filmindustrie engagieren. Eisenstein und Pudowkin schulten sich an Griffiths Technik der Parallelmontage und Rhythmusbalance. Inszenatorische Defizite entdeckten Kritiker in der Gestaltung von Actionszenen und in der überbordenden Sentimentalität.
Das Filmfestival in Venedig zeigte als Weltpremiere den vom Dänischen Filmmuseum digital rekonstruierten Director’s Cut aus dem Jahr 1917 mit der von Antoine Duhamel und Pierre Jansen neu komponierten „Suite Symphonique“, eingespielt vom Orchestre National d’Île de France unter der Leitung von Jean Deroyer. Es handelt sich dabei um die derzeit früheste, verfügbare Version des Monumentalfilms, identisch mit Griffiths autorisierter, endgültiger Fassung – einer viragierten Nitratkopie aus dem Besitz des George Eastman House, Rochester. Die überwiegend in Nachtblau, Blutrot, Sepiabraun und Gelborange gehaltenen Viragen entsprechen dem Original der Europa-Premiere von „Intolerance“. Das hervorragend restaurierte Bild macht die (Wieder-)Entdeckung des Stummfilmklassikers zu einem sehenswerten Vergnügen. Die Präsentation am 7.4.1917 im Londoner Royal Drury Lane Theatre unterschied sich von der aufwändigen New Yorker Uraufführung (5.9.1916) erheblich. Seitdem befanden sich viele, voneinander abweichende Fassungen von „Intolerance“ im Umlauf, wobei die Längenangaben wegen der variierenden Projektionsgeschwindigkeit stark differieren; so war etwa 1993 in Chicago eine 250 Minuten lange, mit Standbildern und einer Musik von Gillian Anderson versehene Version zu sehen.
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