Experimenteller Film, der die Charaktere der Politikerpersönlichkeiten Petra Kelly und Gert Bastian nachzuzeichnen versucht, die im Oktober 1992 erschossen aufgefunden wurden. Die impulsive Petra Kelly will, trotz Schusswunde im Kopf, nicht an ihren Tod glauben und irrt mit dem eher ruhigen Bastian durch einen Flughafen. Ihre Leidenschaft für Liebe und Politik sowie ihre gegenseitigen Anfeindungen schildert der Film mit rauschhaft-exzessiven, mitunter traumartigen Bildsequenzen und einer darstellerischen Tour de force, während die offizielle Chronologie nur am Rande auftaucht. Ein gelungener Ansatz, Charaktere nicht bloß über ihre Taten erfassen zu wollen, sondern sie als Auslöser für sogar extreme Taten erfassbar zu machen. (vgl. auch "Happy Too")
Happiness is a Warm Gun
- | Schweiz/Deutschland 2001 | 92 Minuten
Regie: Thomas Imbach
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- HAPPINESS IS A WARM GUN
- Produktionsland
- Schweiz/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Bachim Films/DRS/ZDF
- Regie
- Thomas Imbach
- Buch
- Thomas Imbach · Jürg Hassler · Peter Purtschert
- Kamera
- Jürg Hassler · Thomas Imbach
- Musik
- Sir Henry
- Schnitt
- Jürg Hassler · Thomas Imbach
- Darsteller
- Linda Olsansky (Petra) · Herbert Fritsch (Gert) · Angelika Waller (Omi) · Sir Henry (Musiker) · Ingrid Sattes (Polizistin)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Sie sei tot, wird Petra Kelly versichert; die aber weigert sich, das zu glauben. Die Grünen-Politikerin sitzt auf einem Flughafen fest und scheint diesem Ort nicht entkommen zu können. Sogar eine Schusswunde hat sie in der Schläfe, und selbst ihr Liebhaber Gert Bastian, der sie erschossen hat, kann sie nicht von ihrer Überzeugung abbringen: tot, das könne nicht sein. So irrt sie mit ihrem Gefährten und Mörder durch ein Flughafengebäude, wo die Beiden mit sich selbst, ihren Erinnerungen und ihrer leidenschaftlichen Liebe konfrontiert werden. Sie lieben sich in einem Warteraum, diskutieren über Gewalt und über die Lust an der Waffe, die John Lennon in seinem (film-)titelgebenden Song beschreibt, schreien sich an, demütigen sich gegenseitig und zerstreiten sich scheinbar unversöhnlich. Sie sind nicht nur in einer Art Fegefeuer gefangen, sondern auch in ihren persönlichen Verwicklungen, aus denen vermutlich nur der Tod sie retten konnte.
Wenigstens ist dies eine mögliche Erklärung des Films für die Tat Gert Bastians, die im Oktober 1992, also vor genau zehn Jahren, die politische Landschaft in Deutschland erschütterte, als er zuerst Kelly und dann sich selbst erschoss. Der Schweizer Filmemacher Thomas Imbach hat womöglich den biografischen Fernsehfilm von Andreas Kleinert gesehen, der chronologisch das Leben des ungleichen Paares Kelly/Bastian nacherzählte, von ihrer ersten Begegnung 1980 bis zu ihrem gemeinsamen Tod. Und vermutlich hat er die Schwäche des Films erkannt, die, neben anderen, gerade in seiner nüchternen Herangehensweise lag. Über das Wesen der beiden schillernden Figuren hat man praktisch nichts gelernt. Die Pläne für seinen eigenen Film hat Imbach schon vorher geschmiedet, aber weder hat er dafür, wie Kleinert, Alice Schwarzers Biografie verwendet noch sich an den historischen Eckdaten entlang gearbeitet. Im Gegenteil hat er versucht, die Seelenwelten der beiden Politiker nach außen zu kehren, die so ganz unterschiedlich waren: Kelly, die engagierte Aktivistin und radikale Gegnerin von Autoritäten und Gewalt, eine junge, freiheitsliebende Frau, die lautstark argumentieren und impulsiv handeln konnte; und Bastian, der ehemalige Wehrmachtsleutnant und Bundeswehrgeneral, der sich erst spät der Friedensbewegung zugewandt hatte, ein ruhiger, nach Harmonie strebender Mensch, der längst Ehemann und Vater war. Imbach lotet die Momente unbändiger Glückseligkeit im Leben der Beiden ebenso tief aus wie diejenigen bitterster Anfeindungen. Großen Anteil am Gelingen solcher Szenen haben die Hauptdarsteller Linda Olsansky und Herbert Fritsch, die Imbach mit geradezu dokumentarischem Eifer täglich stundenlang begleiten konnte, um die eine, intensivste Szene einzufangen. Diese Art experimentellen Arbeitens beinhaltete auch, das reale Flughafenpersonal mit einzubeziehen und im laufenden Betrieb zu drehen. Darüber hinaus tauchen auch metaphorische Szenen auf, die Lebensabschnitte der Beiden in traumartigen Bildern paraphrasieren, wenn sie etwa im grünen Moos umherirren, in einem Sonnenblumen- oder einem Gletscherfeld, wenn sie sich eine Auszeit aus der Wirklichkeit nehmen, sich von der Partei oder voneinander allein gelassen fühlen.
Ihr Leben, wie man es in Chronologien nachlesen kann, taucht als Bildersturm auf, als Erinnerungsfetzen oder als ironische Studiodekoration. Auf diese Weise zeigt Imbach die Begegnungen des Paares oder Kellys mit dem Dalai Lama, mit Lady Di, Mutter Teresa, Erich Honecker und Helmut Kohl. Es ist sorgfältig ausgewähltes Archivmaterial, das aufgrund seiner Positionierung im Film Rückschlüsse auf den jeweiligen Zustand der Beiden zulässt, auf ihre Erfolge und Niederlagen und wie sie diese verarbeiteten. So zeigt Imbach in einem vergleichsweise langen Ausschnitt die Reaktionen von Politikern im Bundestag auf Kellys erste große Rede vor dem Plenum: arrogante Tiefschläge, die sie als Fantastin diskreditieren sollen und ihr fraglos zugesetzt haben. Das erstaunliche an Imbachs Vorgehen ist, dass er die wirklichen Figuren nahtlos den Schauspielern gegenüberstellt und dabei dennoch praktisch keine Reibungspunkte entstehen. Im Gegenteil wirkt das Archivmaterial wie die öffentliche Manifestation dessen, was in den Charakteren der Figuren begründet ist, wie sie Imbach darstellt. Er zeigt nicht Taten, um Personen zu erklären, sondern legt Charaktere offen, um ihre Taten zu erklären, womöglich sogar die tragische, finale Tat Bastians. Indem er Kelly und Bastian in ein Zwischenreich stellt, wo sie verzweifelt nach Erklärungen suchen, spiegelt er letztlich auch das Bestreben des Publikums und der deutschen Öffentlichkeit nach jenem Oktober im Jahr 1992.
Kommentar verfassen