„Falls ich einmal ‚Pokémon 5‘ inszenieren sollte, würde ich es in eine Metapher für die menschliche Natur verwandeln“, hat die amerikanische Wochenzeitschrift „Newsweek“ den 28-jährigen Regisseur M. Night Shyamalan zitiert und ihn auf der Titelseite des Heftes als den „nächsten Spielberg“ proklamiert. Der Ausspruch fasst zutreffend zusammen, was Shyamalans Kunst ist. Seine Filme sind in Mode, obwohl der letzte, „Unbreakable – Unzerbrechlich“
(fd 34 642), kein außergewöhnlicher Erfolg war. Kinobesucher aller Altersschichten beginnen sich seinen unaussprechlichen Namen zu merken, weil er Filme macht, die irgendwo zwischen Hitchcock und Spielberg angesiedelt sind und die vorgeben, Horror- oder Fantasy-Filme zu sein, in Wirklichkeit aber Exkurse ins verborgenste Innere des Zuschauers sind. Geister, die einem kleinen Jungen den Schlaf rauben („The Sixth Sense – Der sechste Sinn“, fd 34 020), die Entdeckung einer Erlöserfigur im Großstadtalltag („Unbreakable“) oder die Festigung menschlicher Glaubensfähigkeit im Angesicht bedrohlicher Ereignisse („Signs“) – das ist die Themenwelt von M. Night Shyamalan, und ein Publikum, das gestern noch liebend gern bei „Der Exorzist“
(fd 18 987) und „Blair Witch Project“
(fd 33 983) vor Schrecken erstarrte, lässt sich von ihm bereitwillig zu einer milderen Form von Paranormalität bekehren. Das größte Wunder an der allgemeinen Faszination mit Shyamalan ist die Bereitschaft der Kinogänger, ihm in ein Terrain zu folgen, das wesentlich mehr mit Spiritualität als mit Horror zu tun hat, und einen Stil zu akzeptieren, der den reißerischen Effekten des heutigen Hollywood-Kinos mit einer Besinnung auf filmische Tugenden entgegentritt, deren Wurzeln sich bis zu Murnau und Dreyer zurückverfolgen lassen.
Graham Hess, Vater von zwei Kindern, ist nicht nur Farmer im westlichen Pennsylvania, sondern war bis vor kurzem auch ein episkopaler Pfarrer. Als seine Frau auf grausame Weise bei einem Autounfall ums Leben kam, hat er den Priesterkragen abgelegt: Er hat den Glauben an eine gütige Vorsehung verloren. Dennoch nennen ihn die Menschen im Ort weiterhin „Father“ und betrachten ihn als eine Autorität in Sachen Übersinnlichkeit. Ausgerechnet in Grahams Kornfeldern manifestiert sich eines Tages das Übersinnliche, mit dem er nichts mehr zu tun haben will: Riesige abgezirkelte Formationen sind über Nacht entstanden, symmetrische Figuren und Muster, die kaum von Menschenhand stammen können. Als bekannt wird, dass ähnliche Vorkommnisse auch in Indien und in anderen Ländern der Welt gesichtet worden sind, und als schließlich sogar Videoaufnahmen von unerklärlichen Flugkörpern im Fernsehen übertragen werden, lässt sich kaum mehr an einer Invasion durch Außerirdische zweifeln.
Obwohl die ganze Welt von den Ereignissen betroffen zu sein scheint, beschränkt sich die Handlung des Films auf jenes abgelegene Farmhaus, in dem Graham, sein Bruder Merrill und seine beiden Kinder leben. Außer einem weiblichen Sheriff kommt kaum jemals eine Person von außen hinzu. Shyamalan reduziert das Geschehen auf seine Konsequenzen für vier Menschen in einem isolierten Haus. Von Szene zu Szene wird deutlicher, dass es gar nicht um die Manöver der Außerirdischen geht, sondern um die geistige Einstellung der sich immer mehr von der Außenwelt verbarrikadierenden Familie. Was sich da draußen vor den verschlossenen und bald auch mit Brettern vernagelten Türen und Fenstern abspielt, ist nur in der Reaktion durch Graham, Merrill und die Kinder interessant. Weder sie noch die Zuschauer wissen, ob die Vorgänge außerhalb des Hauses planvollem Denken und Handeln entstammen, wer für sie verantwortlich ist und welcher Zweck damit verfolgt wird – aber jeder macht sich seine eigenen Gedanken, weil das Leben an den verschlossenen Türen ja nicht zu Ende sein kann. Shymalan bedient sich der Affinität des Publikums für Alien-Sujets, um die Zuschauer in eine intime Story hineinzulocken, die sich mehr Zeit nimmt für die spirituelle Komponente als für die Entwicklung und Auflösung der fantastischen Spekulationen, die er angezettelt hat. Insofern hinkt der Vergleich mit Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“
(fd 20 719), den viele amerikanische Kritiker angestellt haben. Nicht die Apotheose rätselhaften außerirdischen Lebens und außerirdischer Intelligenz krönt den Schluss von Shyamalans Film, sondern die Tatsache, dass sich Graham den Priesterrock wieder überzieht.
So erstaunlich es sein mag, dass sich im heutigen Hollywood-Betrieb ein Autor und Regisseur findet, der sich so deutlich vom Weg der Routine absetzt, so wenig lässt sich andererseits unterschlagen, dass letztlich beide Geschichten – die spirituelle und die fantastische – unbefriedigend zu Ende gehen: Die Story des vom Glauben abgefallenen Priesters folgt zu stark vereinfachenden Mustern, und die Landung von Außerirdischen auf der Erde erhält nicht einmal die Chance, sich in etwas anderem als in sattsam bekannten Klischeebildern darzustellen. Während Spielbergs „A.I. – Künstliche Intelligenz“
(fd 35 041) und „Minority Report“ – beide ebenfalls randvoll mit spirituellen Bezügen – über das Ende des Films hinaus eine Fülle von Stoff zu weiterem Nachdenken bieten, verpuffen Shyamalans Filme mit der Schlusseinstellung wie verheißungsvoll schillernde, letztlich aber hohle Luftblasen. In „The Sixth Sense“ ist es ihm gelungen, den allzu simplen existenzphilosophischen Unterbau durch ein überraschendes Ende zu verdecken; „Unbreakable“ profitierte von der Faszination der schrittweisen Enthüllung eines Mysteriums, das die ganze Aufmerksamkeit des Publikums beanspruchte; in „Signs“ hingegen unterliegt Shyamalan dem Irrtum, dass eine Fantasy-Story, die immerhin mehr als zufällige Parallelen zu den realen Vorkommnissen von Stonehenge und Avebury aufweist, als bloßes Mittel zum Zweck behandelt werden kann, um eine Glaubenskrise zum glücklichen Ende zu führen.
Dass die Spiritualität, der sich Shyamalan in seinen Film verschrieben hat, bei „Signs“ nicht noch aufgesetzter wirkt, ist ausschließlich dem enormen Talent des Regisseurs für die filmische Kreation geheimnisvoller Atmosphären zu verdanken. Im Gegensatz zu den „in-your-face“-Effekten des modernen Actionkinos hat sich Shyamalan darauf besonnen, dass die nachhaltigsten Effekte jene sind, die etwas im Kopf des Zuschauers, anstatt Dinge auf der Leinwand bewegen. Von Hitchcock ließ er sich zu einer extrem langsamen Exposition inspirieren, die Erwartungen und Befürchtungen aufkeimen lässt (man beachte die musikalische Hommage während des Titelvorspanns); mit Spielberg, den er vergöttert, hat er die Neigung für Familiengeschichten und den Umgang mit Kindern gemein; und mit Peter Weir, dessen „Club der toten Dichter“
(fd 28 082) er als den Film bezeichnet, der ihn persönlich am stärksten berührt hat, verbindet ihn die Beschwörung von ambivalenten Stimmungen und Mysterien. Shyamalan steht zu seinen Vorbildern, und er kann es sich leisten. Nirgends gewinnt man den Eindruck billiger Imitation. Die vielen stilistischen Einflüsse haben sich vielmehr in „Signs“ zu einer ganz individuellen Filmsprache zusammengefunden, die den Suspense aufrechterhält, obwohl das Gerüst der Handlung kaum tragfähig ist. Von Film zu Film scheint Shyamaln hinzuzulernen: Diesmal gibt es zum Beispiel einen lakonischen Humor zu beobachten, der seinen früheren Filmen fehlte. Richtig interessant dürfte es aber erst werden, falls er sich einmal dazu überwinden sollte, seinen limitierten Themenkreis zu verlassen, um seine Kunst an einem andersartigen Stoff zu versuchen.