Ein dicklicher, geistig zurückgebliebener Krankenpfleger wäscht hingebungsvoll mit einem ernsten kindlichen Gesicht einen nackten Frauenkörper. Die junge Tanzschülerin Alicia und die Stierkämpferin Lydia liegen im Koma. Sie leben und leben doch nicht, umgeben von zwei grundverschiedenen Männern – dem Krankenpfleger Benigno und dem Reisejournalisten Marco „Sprich doch einfach mit ihr...“, sagt Benigno, aber Marco ist auch beim besten Willen zu keiner Kommunikation mit dem bewusstlosen Frauenkörper in der Klinik fähig. Für Benigno ist die Pflege bewusstloser, hinfälliger Frauen dagegen der Lebensinhalt; schon seine bettlägerige Mutter pflegte er jahrelang mit Hingebung. Die Liebe zu Alicia wuchs in ihm nach dem Tod der Mutter aus der Distanz – lange beobachtete er die junge Tanzschülerin durch das Fenster seiner Wohnung, bis er sich traute, sie anzusprechen. Aber erst nach einem tragischen Unfall kommt er der Angebeteten wirklich nahe, denn als Alicia nicht mehr aus dem Koma erwachte, bot er sich freiwillig als ihr Pfleger an und erzählt ihr seither am Krankenbett stundenlang von seinen Erlebnissen und von Filmen, die er gesehen hat. Auch Marco erlebte vor seiner Beziehung zur Stierkämpferin Lydia den schmerzhaften Verlust seiner großen Liebe; seither ist im die Fähigkeit zu lieben abhanden gekommen. Nachdem Lydia von einem Stier zermalmt wurde und nicht mehr aus dem Koma erwachte, steht Marco ratlos an ihrem Bett. Sein Dilemma löst sich, als ihr ehemaliger Geliebter Anspruch auf die Pflege erhebt. Marco geht und Benigno bleibt, dessen Liebe ihm zum Verhängnis wird. Als Marco nach Lydias Tod zurückkehrt, ist Alicia im Koma schwanger geworden; Benigno sitzt im Gefängnis.
Pedro Almodóvar ist neben dem Basken Julio Medem einer der wenigen selbstbewussten Autoren innerhalb der spanischen Kinolandschaft, die zunehmend von narrativen Schablonen und folkloristischen und genrespezifischen Stereotypen beherrscht wird. Und doch ist „Sprich mit ihr“ ganz anders als Almodóvars letzten Filme: leiser, weniger schrill. Zudem stehen zwei männliche Protagonisten im Zentrum, die nur ihre Beziehung zu einer bewusstlosen Frau vereint, zwei Männer, die beide Frauen lieben, die ihre Liebe nicht erwidern (können). Benigno hat immer etwas außerhalb der wirklichen Welt gelebt; seine Leidenschaft ist tief, aber am Rande psychotischer Besessenheit; ein moderner Parsifal, der in seiner Unschuld schuldig wird. Almodóvar hat mit der ihm eigenen melancholischen Ironie sein „alter ego“ geschaffen – ein einfaches Gemüt, etwas dicklich, mit einer starken Bindung zur Mutter. Javier Camara verkörpert meisterhaft die rührende Besessenheit, die gleichzeitig um Hoffnungslosigkeit ihrer Leidenschaft weiß. Marco dagegen ist scheinbar frei, Herr seiner Handlungen; diese Dimension wird besonders durch den argentinischen Schauspieler Darío Grandinetti unterstrichen, der durch Filme seines Landsmannes Eliseo Subiela („Die dunkle Seite des Herzens“, fd 32 931, oder „Stirb nicht ohne mir zu sagen, wohin du gehst“, fd 33 715) als individualistischer Held eines magischen Realismus bekannt wurde. Marco versucht in der neuen Beziehung zur Stierkämpferin Lydia den Verlust seiner großen Liebe zur heroinsüchtigen Angela zu überwinden. Auch diese Episode unterstreicht den pessimistischen Grundton des Films, dass die romantische Liebe nichts anderes als eine Projektion auf das Unerreichbare ist. In diesem Sinne stehen Lydia und Alicia, Almodóvars „schlafende Schönheiten“, („bellas durmientes“, der spanische Ausdruck für Dornröschen) durchaus in einer doppelbödigen romantischen Tradition: die totengleich schlafende Prinzessin, die durch Liebe und Hingabe wieder zum Leben erwacht – nur dass Almodóvars Prinz ein geistig zurückgebliebener Krankenpfleger ist. Aber auch die willkürliche romantische Projektion auf das Seelenlose wie zur Puppe Olympia in E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Sandmann“ oder zu Dulcinea in Cervantes „Don Quijote“ klingen an. Almodóvar beschwört die Absurdität romantischer Männerprojektionen, denn die beiden bewusstlosen Frauen provozieren bei Beiden die gleiche Leidenschaft, Liebe und Eifersucht, als wären sie bei Bewusstsein.
Wie in seinen anderen Filmen greift Almodóvar spanische Kulturklischees auf und vertieft sie, bringt sie in einen Zusammenhang mit tieferen Schichten des kollektiven Unterbewussten. Neben Tanz und Ballett ist der Stierkampf ein zentrales Motiv des Films. Ausgerechnet die Tochter der 1995 verstorbenen legendären spanischen Sängerin und Schauspielerin Lola Flores, Rosario Flores, spielt die Matadorin und erinnert dabei bei aller Weiblichkeit durch ihre faszinierenden Androgynität an die Ikone des Stierkampfs schlechthin, den auf tragische Weise ums Leben gekommenen Stierkämpfer Manolete. Im Gegensatz zu früheren Filmen arbeitet „Sprich mit ihr“ geschickt mit verschiedenen Zeitebenen, mit Rückblenden und Erinnerungen. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder winzige Episoden, die fast als kleine unabhängige Kunstwerke in den Film eingehen: etwa Pina Bauschs Tanzeinlagen, Café Müller und Mazurca Fogo, mit denen der Film beginnt und ausklingt, und besonders der siebenminütige schwarz-weiße Stummfilm, den Benigno der schlafenden Alicia erzählt – von einem Mann, der durch einen Trank seiner Geliebten immer kleiner wird, bis er schließlich über den nackten Körper seiner Geliebten irrt und in deren Vagina verschwindet. Eine kleine Episode, die den Mikrokosmos Almodóvars widerspiegelt, in dem Männer kleiner und schwächer als Frauen sind; Liebhaber, die sich in der Geliebten verlieren. „Sprich mit ihr“ ist ein Film über die unerfüllte Sehnsucht, über die destruktive Kraft der Leidenschaft und die Einsamkeit der Liebe. Seine kalten Szenarien erzählt der Film mit warmen, lebendigen Farben; und wie immer ist Almodóvar ein Magier, der aus den Elementen der Trauer am Ende einen Regenbogen der Hoffnung zaubert.