Neun Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft begeben sich in die Hände eines berühmten Therapeuten, dessen Mischung aus Esoterik, Yoga und Psychoanalyse bestens ankommt. Gegenüber den Phantomschmerzen der Wohlstandsgesellschaft greifen seine Methoden durchaus, für wirklich Kranke erweist sich das Brimborium allerdings als gefährlich. Die anfangs harmlos erscheinende Situation eskaliert zu einer aberwitzigen Höllenfahrt, die nur eine Kursteilnehmerin überlebt. Ein an Ideen überschäumendes Regiedebüt, komplex konstruiert, getragen von bitterbösem Humor und bis in die Nebenrollen hinein genau akzentuiert und hervorragend besetzt.
- Sehenswert.
Die totale Therapie
- | Deutschland/Österreich 1998 | 122 (TV 80) Minuten
Regie: Christian Frosch
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Filmdaten
- Originaltitel
- DIE TOTALE THERAPIE
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 1998
- Produktionsfirma
- Prisma Film Wien
- Regie
- Christian Frosch
- Buch
- Christian Frosch
- Kamera
- Johannes Hammel
- Musik
- Michael Palm · Paul Browse
- Schnitt
- Michael Palm
- Darsteller
- Sophie Rois (Hedwig) · Lars Rudolph (Wolfgang) · Walfriede Schmitt (Eva) · Blixa Bargeld (Dr. Roman Romero) · Ursula Ofner (Gabi)
- Länge
- 122 (TV 80) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
„Shirvia“ heißt das Markenzeichen, mit dem sich ein sinisterer Therapeut auf dem boomenden Seelenmarkt etabliert hat. Seine sich ganzheitlich gebende Mischung aus Yoga, Psychoanalyse und Esoterik bzw. Theosophie ist genau das Richtige für das zahlungskräftige Klientel aus dem nahen Wien. Innerhalb eines 14-tägigen Kurses wird die Befreiung von sämtlichen physischen wie psychischen Phantomschmerzen der Zivilisation versprochen. Alkohol, Zigaretten, auch Handys und persönliche Gegenstände sind beim Eintritt in den zum Heilzentrum umgerüsteten Bauernhof abzugeben. Bar solcher Bindungen kann das Programm mit körperlicher Ertüchtigung, veganer Ernährung, Meditation oder Urschrei-Übungen seinen Lauf nehmen. Schwerpunkt bilden Gesprächskreise, in denen die Teilnehmer den Ursachen ihrer Labilität auf die Spur kommen sollen. Der Therapeut absolviert diese Kurse mit einer an Zynismus grenzenden Abgeklärtheit. Ihm ist alles zuwider, weshalb er das Zentrum demnächst schließen will. Dass dies nicht ganz einfach durchzuführen ist, deutet sich an: „Shirvia“ sieht sich mysteriösen Brandanschlägen ausgesetzt, aber auch innerhalb des aktuellen Kurses brodelt es gefährlich. Die Konstellation der Teilnehmer führt zur haarsträubenden Eskalation einer zunächst harmlos erscheinenden Situation. Von neun Kursteilnehmern und drei Betreuern wird nur eine einzige Person die beiden Wochen überleben - eine wahrhaft „totale Therapie“.Der Film ist ein vor Einfällen überquellende Debüt, das Material für ein halbes Dutzend Filme beinhaltet. Dass es mit zwei Stunden Laufzeit einerseits vermessen erscheint, andererseits aber nie peinlich wird, ist dem bei aller Ausuferung der souveränen Arbeit des Regisseurs zu danken. Angefangen bei der Staffelung seiner Personage über die adäquate Besetzung der Rollen bis hin zur Organisation der Handlung behält Christian Frosch nicht nur die Kontrolle, sondern vermag zudem stets mit Überraschungen aufzuwarten. Schon der Einfall, dem Avantgarde-Musiker Blixa Bargeld zu einer ersten tragenden Rolle zu verhelfen, stellt sich als Glücksfall heraus. Das künstlerische Multitalent ist zwar kein Schauspieler im eigentlichen Sinne - seine durch zahllose Bühnenauftritt angelernte, leicht blasierte Pose macht ihn jedoch zur Idealbesetzung des Therapeuten. Daneben brilliert der wundersam wandelbare Lars Rudolph, diesmal als Survival-Freak, für den die Mode-Therapie nur eine weitere Herausforderung an Körper und Seele darstellt. Walfriede Schmitt gibt die mütterlich-melancholische „Ostfrau“ Eva, deren Ehe mit dem Alkohol zugeneigten Österreicher Günter tiefe Risse aufweist. Es erscheint fast ungerecht, einzelne Schauspieler hervorzuheben, denn sämtliche Figuren erweisen sich als ausgezeichnet besetzt, passen genau auf die vom Drehbuch modellierten Charaktere. Die Gefahr schachbrettartiger, allegorischer Konstruktion umgeht Frosch durch den Einbau von Störmomenten. Da keine der Personen so handelt, wie es vertraute Strickmuster vorsehen, bleibt das Geschehen reich an Überraschungen. Permanent werden aus Opfern Täter und umgekehrt. Am radikalsten wird dieses Verfahren an der schweigsamen Gabi exekutiert. Sie, die einzige wirklich „Kranke“ im Kreis der „Shirvia“-Kunden, wird zum Auslöser der Katastrophe und geht paradoxerweise als einzige Überlebende scheinbar geheilt daraus hervor. Diese letzte, fast schon zynische Wendung kann durchaus als Kommentar auf Michel Foucaults Diskurs über die Relativität von Krankheit und Gesundheit innerhalb westlich geprägter Gesellschaften gelesen werden.Besonders interessant sind Forschs erzählstrategische Lösungen. Es gibt keinen allwissenden „point of view“ (erst recht keinen bequemen, weil zeitlich bündelnden Off-Kommentar), die Handlung spult sich vielmehr multiperspektivisch ab, mit dem Resultat, dass eine Hauptperson „fehlt“, an der sich die Läuterung vollziehen könnte. Gabis traumwandlerische Passion stellt höchstens ein ironisches Zitat bewährter Methoden dar. Es ist gerade dieser Mut zum Ausscheren aus eingefahrenen Gleisen, der „Die totale Therapie“ sehenswert macht. Streng analytisch könnte man Froschs Arbeit manchen dramaturgischen oder filmischen Fehler nachweisen - doch darum geht es nicht. Künstlerisches und persönliches Wagnis verbinden sich hier auf selten gewordene Weise zu einem wahren Unikat, das durch die Begabung des Filmemachers durch und durch gerechtfertigt wird.
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