Ein Jahr im Leben einer Schweizer Bauernfamilie, die eine Sennerei betreibt. Ein sensibel und geschickt montierter Dokumentarfilm, dessen Rhythmus vom Wechsel der Jahreszeiten bestimmt wird und der ein Lebensgefühl vermittelt, das in Einklang mit der Natur steht. Durch die Konzentration auf den Arbeitsalltag wird eine in sich ruhende Welt beschrieben, die, unbeeinflusst von der Hektik des modernen Lebens, ihre Traditionen pflegt. (O.m.d.U.; erster Teil von Langjahrs "Bauern-Trilogie"; zweiter Teil: "Bauernkrieg")
- Sehenswert ab 14.
Sennen-Ballade
Dokumentarfilm | Schweiz 1996 | 100 Minuten
Regie: Erich Langjahr
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Filmdaten
- Originaltitel
- SENNEN-BALLADE
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Erich Langjahr Prod.
- Regie
- Erich Langjahr
- Buch
- Erich Langjahr
- Kamera
- Erich Langjahr
- Schnitt
- Erich Langjahr
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Unermüdlich rührt ein Mann den Inhalt eines Kupferkessels. Sein wettergegerbtes Gesicht zeigt volle Konzentration. Er scheint zufrieden mit seiner Arbeit, als er die Konsistenz des körnigen Kesselinhalts mit den Händen prüft. Dann wird die unförmige Masse aus dem Bottich genommen und in eine Form gepresst. Die fertigen Laibe werden in eine Salzlösung gelegt. Die Flüssigkeit im Kessel bekommen die aufgeregten Schweine. Diese etwa 20-minütige Szene, geschickt und sensibel aus vielen einzelnen Arbeitsschritten montiert, ist das Zentrum und zugleich die Essenz in Erich Langjahrs Dokumentarfilm „Sennen-Ballade“. Sie zeigt den Sennbauer Werner Meile beim Käsen und macht die Sinnlichkeit einer Arbeit augenfällig, die heute meistens maschinell verrichtet wird und somit über das reine vermarktbare Produkt hinaus einen großen Teil ihrer Substanz verloren hat.Langjahr dokumentiert fast ein Jahr im Leben der Familie Meile, wobei die Struktur seines Films vom kalendarischen Ablauf und dem Wechsel der Jahreszeiten vorgegeben wird. Mit dem Almauftrieb in Festtrachten beginnt der Film, dann werden die Tiere versorgt und die Gerätschaften an Ort und Stelle untergebracht. Nun beginnt der (Arbeits-)Alltag, der auch schon die beiden Kinder einbezieht, die beim Füttern und Buttern helfen. Beinahe spielerisch werden sie an den (vielleicht) zukünftigen Beruf herangeführt. Die Hauptarbeit der Senner gilt dem Vieh und eben der Käseherstellung. Im Spätsommer erfolgt dann der Abtrieb, wieder in festlichen Trachten, der von den Leuten im Tal mit Willkommens-Schnäpsen begrüßt wird.Langjahrs Film entstand zum 150. Jahrestag der moderne Schweiz, so der Untertitel; man hat ihm vorgeworfen, dass er ein traditionalistisches, schönfärberisches Idyll der Schweiz beschwören würde, das die moderne Eidgenossenschaft ausklammere. Solche Kritik sieht freilich von der Tatsache ab, dass auch diese Arbeitswelt in der Schweiz durchaus noch existiert und ihre Daseinsberechtigung ab, und sie übersieht schlicht die Details, die durchaus ein Vordringen der Moderne in die malerische Bergwelt kennzeichnen: Der Käse wird nicht mehr in Holzgefäßen geformt, sondern in Kunststoffbehältern; eine generatorenbetriebene Melkmaschine erleichtert die Arbeit; der staatliche Besamer geht seiner nicht gerade idyllischen Arbeit nach. Von seiner Rechenmaschine wird dann allerdings auf den Sohn des Bauern geschnitten, der sich eben noch für dessen Arbeit interessierte, nun aber liebevoll zwei Ziegen streichelt. Damit ist neben dem dokumentarischen auch der philosophische Zusammenhang hergestellt: Es geht um den Einklang mit der Welt und um real existierende Nischen, die auch die moderne Welt (noch) bietet, um diesen Einklang erfahren zu können. Es geht um Gleichklang und den Rhythmus der Natur, der vorgegeben ist und angenommen werden kann - nicht muss. Das ist auch der Grund, warum Langjahr die Senn-Wirtschaft nicht als Plackerei darstellt, sondern als (fast) ganzheitliches Leben mit meditativem und kontemplativem Charakter. Zu diesem Konzept gehört auch Langjahrs Stil, der ohne Musik und weitgehend ohne Worte auskommt, und die Menschen, ihre Tätigkeiten und ihre konzentrierte Gelassenheit während der einzelnen Arbeiten für sich sprechen lässt. (Wenn doch einmal gesprochen wird, über neue Agrar-Richtlinien etwa, wirken schon diese wenigen Sätze wie ein störender Fremdkörper.) So ist ein Film über die Langsamkeit entstanden, der keine Idylle beschwört, sondern sie detailliert beschreibt, der sich für seine Protagonisten Zeit und ihnen zugleich ihre eigene Zeit lässt. Gewiss mögen einige Winterbräuche folkloristisch erscheinen, aber auch sie werden ja von den Beteiligten praktiziert, gehören zum Alltag.In der letzten, beinahe metaphorischen Sequenz des Films schnitzt Bauer Meile ein kleine Holzkuh. Hingebungsvoll prüft er jede kleinste Kleinigkeit, und erst nach vielen Korrekturen mit dem Federmesser ist er zufrieden. Man sieht seine schrundigen Hände, in deren Poren sich der Schmutz der vielen Arbeit tief eingegraben zu haben scheint, und man ist erstaunt, dass diese grob erscheinenden Pranken auch zu solch filigraner Arbeit fähig sind. Am Nebentisch sitzt seine Frau und bemalt bereits fertig gestellt Figuren. Dann passt der Bauer die fertigen Holzpüppchen in ein Gesamtpanorama ein. Vor einer gemalten Alpenlandschaft als Transparent sieht man in der Totalen die authentische Darstellung eines Almauftriebs. Nicht nur der Film hat hier seine bildliche Verklammerung gefunden, man gewinnt den Eindruck, dass Bauer Meile, wenn auch sich nicht selbst, dann zumindest seinem Berufsstand sowie seiner Tradition ein kleines Denkmal gesetzt hat. Vielleicht wissend, dass es sie nicht mehr ewig geben wird, dass vielleicht nicht er, aber gewiss sein Sohn, sich in der „modernen“ Schweiz eine andere, neue Identität schaffen muss. Bleibt die Frage, ohne die dann wirklich die Bessere sein wird. Vor diesem Hintergrund verdichtet sich die „Sennen-Ballade“ zu einer sensiblen Studie über einen äußerst labilen Jetzt-Zustand, die weit über das Dokumentarische hinaus geht und nicht an ethnografischer Aufzeichnung interessiert ist, sondern an der Beschreibung innerer Zustände, eines in sich ruhenden Lebensgefühls.
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