Das Zustandsprotokoll einer zu einseitigem Begehren verkommenen ehemaligen Beziehung zweier von Hongkong nach Buenos Aires ausgewanderter Männer. Ein bildstarker, thematisch wie formal gleichermaßen ausgereifter Film, der sich zu einem überzeitlichen Essay über Einsamkeit und Zurückweisung, aber auch über das Glück der Liebe verdichtet.
- Sehenswert.
Happy Together (1997)
- | Hongkong 1997 | 93 Minuten
Regie: Wong Kar-wai
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Filmdaten
- Originaltitel
- HAPPY TOGETHER
- Produktionsland
- Hongkong
- Produktionsjahr
- 1997
- Produktionsfirma
- Jet Tone
- Regie
- Wong Kar-wai
- Buch
- Wong Kar-wai
- Kamera
- Christopher Doyle
- Musik
- Danny Chung
- Schnitt
- William Chang Suk-Ping · Wong Ming-lam
- Darsteller
- Leslie Cheung (Ho Po-wing) · Tony Leung (Lai Yiu-fai) · Chang Chen (Chang)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
Heimkino
Die Extras des Digipaks im Schuber (4K UHD, BD plus DVD) umfassen ein 12-seitiges Booklet mit einem Kurztext zum Film sowie den "Making of"-Essaydokumentarfilm "Buenos Aires Zero Degree" (1999, 62 Min.), in dem die Genese des ohne Drehbuch entstandenen Films anhand von "deleted scenes" (der erste Cut des Filmes war über drei Stunden lang) sowie Interviews mit den Beteiligten aufgezeigt wird. Die Digipak-Edition ist mit dem Silberling 2021 ausgezeichnet.
Diskussion
Nach einem Oldie ist dieser Film benannt: "Happy Together" ist der bekannteste Song der Turtles, einer kalifornischen Beat- und Folk-Rock-Band der 60er Jahre, und es ist leicht zu erklären, warum es gerade diese Aufnahme ist, die sich noch nach drei Jahrzehnten nachhaltiger Beliebtheit erfreut. Es sind dieselben Gründe, aus denen im Jahr 1967 keine andere Band die Komposition hatte aufnehmen wollen: Obwohl der Refrain eine glückliche Liaison suggeriert, spricht die Musik eine andere Sprache. "Happy Together" ist nämlich ein todtrauriges Lied, das eher vom leisen Sterben einer Beziehung erzählt als vom endlosen Glück. Vom stumpfen Gleichmut der Reimwörter auf die Titelzeile erschließt sich seine wahre Konnotation: "How is the Weather?" Aus Selbstverständlichkeit und intuitivem Verständnis ist Konversation geworden, kaum anders hatten es Simon & Garfunkel um dieselbe Zeit in ihrem Song "The Dangling Conversation" formuliert.Wong Kar-wais Film handelt von eben diesem Gefühl, und es tut nichts zur Sache, daß es nicht die Turtles sind, die man hört, sondern daß der Filmkomponist Danny Chung selbst einige Keyboard-Tasten gedrückt hat und seine schwache Gesangsstimme daran erprobt. Dieser Song ist so international wie die Gefühle, die er beschwört. Und in einem übertragenen Sinne gilt dies nicht minder für die abgestorbene Liebe des Auswandererpärchens Lai und Ho, das es von Hongkong nach Argentinien verschlagen hat. Aus der Beziehung der beiden Männer entwickelt der Filmemacher, dessen letzte Filme nicht zuletzt von mehr oder minder glücklosen heterosexuellen Annäherungen erzählten, einen Exkurs über die Liebe im allgemeinen und ihre streng individualistische Erfahrbarkeit. Auch wenn es in der fünfminütigen Eröffnungssequenz mehr Sex gibt als in den zwei Stunden von Jonathan Demmes "Philadelphia" (fd 30 662) - nämlich überhaupt welchen - , geht es Wong kaum um physische Liebe, sondern allenfalls um die Tristesse ihrer Verweigerung. Ho ist zurückgekehrt zu dem Mann, von dem er sich getrennt hatte; dieser nimmt ihn in seiner Wohnung auf und verweigert ihm gleichwohl jede physische Zuwendung. Aus Langeweile hält es Ho nicht mehr zu Hause aus, und er streunt verloren in der Stadt herum. Lai hingegen beginnt eine neue Arbeit in einem chinesischen Imbiß und verliebt sich in einen Kollegen. Sein früherer Geliebter überläßt sich immer mehr der Eifersucht und Einsamkeit.Man hat Wongs Werk oft mit dem Identitätsverlust verglichen, den die Menschen in Hongkong angesichts der bevorstehenden Übernahme durch die Volksrepublik China empfunden haben mögen, als gäbe es nur ein Erklärungsmuster für Orientierungslosigkeit, und als sei es nicht gerade die Internationalität dieses Gefühls, die Wongs Erfolg ungemein beflügelt. Wong ging nach Argentinien, weil er es, wie er sagt, müde war, die Fragen nach Hongkongs Zukunft zu beantworten. "Aber dann merkte ich, je mehr ich mich entfernte, desto mehr blickte ich nach Hongkong zurück. Vielleicht hat dieser Film doch etwas mit dem Jahr 1997 zu tun." Als Christopher Doyle, dessen Kameraarbeit großen Einfluß auf die Gestaltung der vorangegangenen Filme Wongs hatte, in der Zeitschrift "Sight and Sound" sein Drehtagebuch veröffentlichte, fand sich darin auch ein erster Story-Entwurf. Schon der visuelle Sprachstil machte deutlich, daß sich diese Arbeit radikal von konventioneller Filmgestaltung unterscheidet. Vielmehr erinnerte das Manuskript an den ganz in den Modi des Kinos denkenden Stil des Stummfilmautors Carl Meyer. Vielleicht ist die Neugier für das Ereignis filmischer Fotografie das Bindeglied zwischen den Avantgardisten des frühen Kinos und diesem bedeutendsten Neuerer des gegenwärtigen Autorenfilms.Es hatte ein weniger stilisierter Film werden sollen, Wong und Doyle wollten sich eine Abstinenz vom selbst etablierten Kameraduktus verordnen, und doch kehrten sie immer wieder zur Unwirklichkeit der brüchigen Zeitlupen zurück und den fragmentierten Bewegungen, die sich aus Bildfrequenzen von acht oder zwölf Bildern in der Sekunde ergeben. Auch das Weitwinkelobjektiv kam wieder zum Einsatz, hier um Drogenerfahrungen zu visualisieren. Weite Strecken sind in Schwarz-weiß gedreht, Filter lassen wie in der Landschaftsfotografie der alten Western die Wolkendecken dramatisch miteinander kontrastieren. Wie in der klassischen Avantgarde-Fotografie, wie bei Steichen oder Frank, denen sich Doyle verbunden fühlt, sucht sein Blick nach Überzeitlichem in der Bildwelt des Alltäglichen. Aber auch dem als Garant des Sublimen ikonografisch wohlvertrauten Sujet eines Wasserfalls ringt Doyles Kamera überraschend neue Bildeindrücke ab. Anders als in den früheren Filmen Wongs gewinnen solche klassischen Aufnahmen eine Dominanz gegenüber dem Flüchtigen. Hatte Wong bislang ein ganzes Universum gleichsam im Vorübergehen eingefangen, so interessiert ihn nun die Permanenz: Tatsächlich ist Hos Einsamkeit ein Zustand, der keine Entwicklung erfährt, es ist ein lähmender Zwang zu depressiver Trägheit. Lange Einstellungen, die nach der Überzeitlichkeit des Tafelbilds greifen, visualisieren diesen Zustand. Man hat diesen Film schon langweilig genannt oder redundant gegenüber früheren Arbeiten. Tatsächlich ist es Wong Kar-wais reifster und geschlossenster Film. Die Tatsache, daß er sich nicht im Anekdotischen verliert, sollte man nicht für Einfallslosigkeit halten, ebenso wenig aber die Klassizität der Geschichte als konservativ ansehen. Das Sujet tendiert in der Gewichtung eines Wong-Kar-wai-Films nicht weniger gegen Null, als es auch bisher der Fall war. Um so stärker aber tritt dadurch sein emotionaler Gehalt zutage. Und der ist in der Tat so zeitlos wie die Modernität der Formalisierung.
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