Der Totmacher

Drama | Deutschland 1995 | 115 Minuten

Regie: Romuald Karmakar

Anhand der Vernehmungsprotokolle wird das Psychogramm des Massenmörders Fritz Haarmann aus den 20er Jahren nachgezeichnet. Der Zuschauer schwankt im Verlauf der Gespräche zwischen Mörder und Gutachter, zwischen Abscheu und Faszination. Der Film ist als ungemein dichtes Kammerspiel inszeniert, das nicht auf Emotionalisierung angelegt ist, sondern als nüchterne Fallstudie. Der glänzende Hauptdarsteller vermittelt in der Rolle des Haarmann das eigentlich Unfaßliche. - Sehenswert ab 18.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Pantera/WDR/SWF
Regie
Romuald Karmakar
Buch
Romuald Karmakar · Michael Farin
Kamera
Fred Schuler
Schnitt
Peter Przygodda
Darsteller
Götz George (Fritz Haarmann) · Jürgen Hentsch (Prof. Ernst Schultze) · Pierre Franckh (Stenograf) · Hans-Michael Rehberg (Kommissar Rätz) · Matthias Fuchs (Dr. Machnik)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 18.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion

Mit dem massenmordenden Monstrum der bekannten Haarmann-Moritat hat dieses Kammerspiel nicht das Geringste zu tun. Somit setzt der Film auch nicht mit dem vertrauten Gassenhauer "Warte, warte nur ein Weilchen ..." ein, sondern beginnt unvermutet mit dem Ludwig-Uhland-Lied "Der gute Kamerad". Solche Sehnsucht hätte man dem "furchtbarsten Mörder: des 20. Jahrhunderts" - so ein verbreitetes zeitgenössisches Urteil aus den 20er Jahren - eigentlich nicht zugetraut. Und doch ist dies erst der Anfang einer unerhört intensiven filmischen Verstörung, in deren Vollzug der Zuschauer vom voreingenommenen Zeugen fast zum Verschwörer wird. "Das wissen Sie doch!", sind die ersten Worte, mit denen sich der inhaftierte Fritz Haarmann in der Göttinger Heil- und Pflegeanstalt an den psychiatrischen Gutachter Professor Schultze wendet - und zugleich wehrt. In welchem Maße er damit recht hat, wird sein Gegenüber (und mit ihm das Publikum) erst am Ende des Films wissen bzw. sich eingestehen müssen. Zunächst aber sieht sich der amtliche Gutachter ganz von seiner vermeintlich rein wissenschaftlichen Aufgabe gedeckt, die Zurechnungsfähigkeit eines schwerstkriminellen Straftäters zu klären. In gehöriger Distanz zum Gegenstand der Befragung geht: es vorerst um Geografie und kaufmännische Grundbegriffe, Kindheitserlebnisse und: den Dienst beim Militär. Man sitzt sich an einem schlichten Holztisch gegenüber und aus dem Halbdunkel taucht das Antlitz eines Mannes auf, das von Ferne an den "Führer" erinnert und später, mit kahlgeschorenem Schädel, dessen Opfern ähnelt. Das von einem jungen Stenografen wortlos protokollierte Frage-und Antwort-Spiel um Gott und die Welt wird freilich mit der Zeit für die beiden Beteiligten immer verfänglicher und gefährlicher. Wider die detailliert ans Tageslicht gebrachten, heimlich ausgelebten homosexuellen Neigungen Haarmanns hilft dem Normalbürger noch das Schutzschild moralischer Entrüstung. Angesichts der daraus resultierenden, gewissermaßen triebhaften Tötungen aber versagt jedes rationale Verständnis und der Beobachterstandpunkt schwankt eben deshalb zwischen Abscheu und Faszination. Geschickt entschlüpft der Untersuchte dabei dem Raster kausaler Logik, verschweigt oder erfindet hinzu, biedert sich an oder begehrt auf, buhlt um Zuneigung und beharrt zugleich auf Eigensinn. Zwischenzeitlich scheint dieses schillernde und unfaßbare Wesen sogar das Heft in die Hand zu nehmen und die Rollen scheinen in stillem Einverständnis vertauscht. Am Ende kann sich Haarmann, der freimütig das "Totmachen" von zwei Dutzend junger Burschen gesteht, ohne sich moralisch schuldig zu fühlen, zu Recht als "Napoleon auf St. Helena" sehen und zugleich auf seinem bevorstehenden letzten Gang um kameradschaftlichen Beistand bitten.Dem 30jährigen Karmakar ist - nach beachtlichen Dokumentararbeiten - mit diesem Spielfilmdebüt das Kunststück geglückt, in der Rückbesinnung auf die verschüttete Tradition des Kammerspiels richtungsweisend für den deutschen Film zu sein. Das gesamte, nach Originalprotokollen rekonstruierte Geschehen konzentriert sich auf einen einzigen Raum eine spartanisch ausgestattete Amtsstube hinter vergitterten Fenstern, die sowohl Schutz als auch Gefangenschaft bedeutet. Konsequent bleiben alle sensationslüsternen Aspekte des Sujets ausgeblendet: keine Rückblenden, keine musikdramaturgischen Effekte, kein Blutbad und auch kein erklärender Kommentar. Wie von innen heraus wird ein Phänomen vorgeführt, dessen Faszination letztlich in seiner Unfaßbarkeit gründet. Ein kaum wiederzuerkennender Götz George gibt dieser Gestalt eine plausible physische Präsenz, die beunruhigt und bannt. Dabei gelingt - über das erstaunliche darstellerische Talent des vom Schimmi-Klischee fast verschlissenen Mimen hinaus - der geradezu geniale inszenatorische Trick, diesem theatralischen Potential gleichzeitig entgegenzuarbeiten und es zu unterlaufen. Ein wohlkalkuliertes "Kaltstellen" durch ein außerordentlich intelligentes Regiekonzept, das die "schauspielernden" Überziehungen dem Simulieren und schwer durchschaubaren Rollenspiel der Titelfigur zuschreibt. Mal brav wie ein Schulbub, dann grobschlächtig wie ein Henker, zutiefst verletzlich und doch wieder größenwahnsinnig. Imposant entsteht ein bewußt ambivalentes Bild der Bestie Mensch, fernab von psychologisierenden Täter-Opfer-Sedativa. Die zunächst professionelle, später immer privatere Begegnung mit dem bestellten Gutachter wird in dieser Gesellschaft von Lügnern zum unerträglichen Testfall, der den Abtrünnigen unweigerlich isolieren und eliminieren muß. Die filmische Choreografie besticht dabei durch äußerste Präzision insbesondere des sprachlichen Ausdrucks und führt bei aller Nüchternheit den Spannungsbogen beinahe mühelos bis zum (absehbaren) Schluß: Diszipliniert bis hin zur gezielten Regelbrechung mit genau ausbalancierten episodischen Einschüben und Kurzauftritten weiterer Personen, was die formale Strenge gänzlich vor der Gefahr der Sterilität bewahrt.

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