Eine Auftragsmörderin und ein Polizist beschreiben sich den Rest ihres Tages. Viel mehr als das Übliche stehe nicht an: zurück ins Büro, Papierkram erledigen, Geschäftsbesuche abstatten. Die dazugehörigen Bilder zeigen, was sich wirklich hinter diesem „Üblichen“ verbirgt: Die Killerin Zee (Nathalie Emmanuel) bricht einem Mann bei ihrem Geschäftsbesuch mit dessen Schal das Genick, Sey (Omar Sy) wirft einen Verdächtigen durch die Glasfront des „Büros“. Natürlich geht es bei diesem ersten Treffen der Kontrahent:innen aus John Woos „The Killer“, dem Remake seines gleichnamigen Erfolgsfilms aus den 1980er-Jahren, um die Lügen, die sie einander erzählen und nicht glauben – sie getarnt als US-Diplomatin, er den naiven Durchschnittscop spielend.
Nicht Pulver, sondern Pathos steckt in den Patronen
Es geht aber auch – eben weil es John Woo ist, der diese Szene inszeniert – darum, das Schlichte ins Wahnwitzige zu überzeichnen. Nicht nur die angebliche Arbeit ist hier keinesfalls Routine, auch das, was sich dahinter verbirgt, ist nicht einfach profanes Verbrechen beziehungsweise Polizeiarbeit, sondern schiere Bildgewalt, ein tödlich im Wind flatternder Schal und in tausende Splitter zerberstendes Glas. Das Prosaische ist bei Woo Poesie. Nicht Pulver, sondern Pathos steckt in den Patronen, die in Woos irrsinniger Bildlyrik nach ganz eigenen Regeln funktionieren.
Es waren unter anderem diese Regeln, die Hongkongs Actionkino mit Filmen wie „A Better Tomorrow“ (1986) „Hard Boiled“ (1992) und eben „The Killer“ (1989) durch seine Blütezeit führten. Das „Heroic Bloodshed“, wie das Subgenre der melodramatischen Gewaltoper seinerzeit getauft wurde, ist seit der Wiedereingliederung Hongkongs eine nur noch vereinzelt nostalgisch aufblühende Vergangenheit. Wenn John Woo also im Jahre 2024 einen seiner Klassiker aus der goldenen Ära mehr als 30 Jahre später neu auflegt, ist das schon immer mitgedacht: „The Killer“ ist eine Vergangenheit, die nicht mehr sein kann, eine Geschichte, die ihren eigenen Relevanzrahmen, das maskuline Action-Melodrama, nicht mehr hat und damit in einem künstlich gefüllten Limbo existiert.
Nichts kann die schicksalhafte Allianz zurückbringen, in die John Woo damals Chow Yun-Fat und Danny Lee als Killer und Cop verknotete, bis die Feindschaft zur Freundschaft wurde, die Freundschaft bis in die Liebe überschwappte und die Liebe so überwältigend war, dass sie es mitunter schwerhatte, zwischen Freundschaft und Begehren zu unterscheiden.
Neue Location: Die Stadt der Liebe
Und doch: John Woo erzählt die Geschichte noch einmal neu. Ein Tötungsauftrag geht schief, eine Zivilistin verliert ihr Augenlicht und ein Polizist ist der Killerin auf den Fersen, die allmählich ihren Appetit für das Blutvergießen verliert. Ort des Geschehens ist diesmal Paris. Das Remake hat damit nicht nur vier Dekaden durchlaufen, es hat sich auch einen neuen Kulturkreis ausgesucht. Das ist nicht nur dort sichtbar, wo der Action-Regisseur, sichtbar von Paris fasziniert, seine aufwändigsten Szenen auf die französische Hauptstadt zuschneidet.
Zees (Nathalie Emmanuel) Gegenpart ist der Polizist Sey (Omar Sy), ihr Auftraggeber der Ire Finn (Sam Worthington), ihr Opfer, dem Zee, entgegen Finns Anweisungen, das Leben schenkt, ist die Sängerin Jenn (Diana Silvers). Die Figurenkonstellation ist im Kern die gleiche wie im Original geblieben, doch nun ist es ein weiblicher Killer, der im Zentrum steht. Tatsächlich ist es aber weniger die neue Geschlechterdynamik als der zeitliche und räumliche Abstand, der „The Killer“ zu einem gänzlich anderen Film macht. Wo im Hongkong der 1980er-Jahre drei Männer dicke Tränen füreinander weinten, während sie hektoliterweise das Blut anderer vergossen, gibt es hier und heute keinen melodramatischen Schicksalsraum zwischen Liebe und Freundschaft mehr. Emmanuels und Sys Charaktere sind Figuren unserer Zeit: Sie ist tough, er ist gelassen, als Duo sind sie eine selbstbewusste und perfekt austarierte Zweckgemeinschaft, der weder das Melodrama noch die Erotik in die Quere kommt.
Woo weiß, wie man einer Schießerei und Schlägerei das gewisse Etwas gibt
Das mag zunächst glatt klingen, aber das Darstellerpaar stellt genug Charisma und Körpereinsatz bereit, um die gänzlich synthetische Beziehung am Leben zu halten. Gewissermaßen gilt das für den gesamten Film. „The Killer“ ist eine künstliche Nachbildung, aber dort, wo sie ins Rollen kommt, hat sie trotzdem einen enormen Vorwärtsdrang. Woo weiß noch immer genau, wie man einer Schießerei und Schlägerei das gewisse Etwas gibt: mit den obligatorischen Tauben, mit einer Arie zum Drive-By-Shooting, mit einer im Abendkleid geschmuggelten Samurai-Klinge.
Ein paar Verneigungen vor der goldenen Ära Hongkongs gibt es noch dazu: Zee spricht mit ihrem Goldfisch wie Michelle Yeoh einst in „Royal Warriors“, und der Fluchtweg aus dem Polizeirevier, den sowohl Zee als auch Sey wählen (mit sehr unterschiedlichen Endresultaten), wird zur Verneigung vor den legendären Jackie-Chan-Stunts in „Police Story“. Gewissermaßen ist auch „The Killer“, allein aufgrund der sichtbaren Budget-Limits die Light-Version einer großen Hongkong-Vergangenheit, aber als solche eben doch sehr viel mehr als das „Übliche“.