I Know Your Soul
Drama | Bosnien/Herzegowina 2023 | (6 Folgen)
Regie: Alen Drljević
Filmdaten
- Originaltitel
- ZNAM KAKO DISES
- Produktionsland
- Bosnien/Herzegowina
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- BH Telecom/Deblokada Produkcija/Deblokada/Federalna Televizija
- Regie
- Alen Drljević · Nermin Hamzagić
- Buch
- Jasmila Žbanić · Damir Ibrahimović · Elma Tataragić
- Kamera
- Christine A. Maier · Eldar Emrić
- Musik
- Mirza Rahmanović Indigo
- Schnitt
- Vladimir Gojun
- Darsteller
- Jasna Đuričić (Nevena) · Lazar Dragojević (Dino) · Mirvad Kurić (Džandžo) · Kemal Rizvanović (Kemal) · Jelena Kordić Kuret (Violeta)
- Länge
- (6 Folgen)
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Serie
- Externe Links
- IMDb
Eine bosnische Miniserie um eine Staatsanwältin, deren Sohn in den Selbstmord eines Mitschülers verwickelt wird.
Zwei Videos, zwei Bedeutungen. Da ist zum einen ein Hip-Hop-Video. Geboren aus der Skater-Kultur. Mit dem Skateboard sind schon viele Jugendliche zur Musik gekommen. Einer steht im Zentrum, der Sänger, das meiste dreht sich um ihn. Was er und die anderen Kids singen, ob sie soziale Probleme thematisieren oder das Skaten an sich, ist leider nicht zu verstehen. Vielleicht spielt es auch keine Rolle. Gedreht ist das Video ziemlich professionell. Die typischen Bilder und Choreographien von Hip-Hop-Videos werden reproduziert und das Skater-Milieu sticht hervor.
Da ist zum anderen ein Video, das beklagt und anklagt. Zu sehen ist nur ein trauriger und eingeschüchtert wirkender Junge. Sein Vater führt offenbar die Kamera. Inszeniert scheint das nicht zu sein, eher pure Authentizität. Was der Junge sagt, beansprucht absoluten Wahrheitsgehalt. Zwei Videos und zwei sehr unterschiedliche jugendliche Selbstäußerungen.
Wahrheit und Gerechtigkeit
Doch beginnen wir mit dem Anfang der Serie. Ein Junge sitzt auf dem Dach eines Hauses, raucht eine Zigarette und trinkt Cola, blickt über die Stadt, steht auf, geht zum Rand eines Hausdaches, schaut kurz nach unten – und macht den tödlichen Schritt nach vorne. Ein fünfzehnjähriger Teenager nimmt sich das Leben. Alles weist auf Selbstmord hin. Doch warum hat der Junge sich das Leben genommen? Die Eltern sind ratlos, sie konnten keine Probleme bei ihrem Sohn erkennen. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei hoffen, den Fall schnell abschließen zu können, denn die Zahl der unerledigten Fälle ist ohnehin schon zu hoch.
Dann taucht ein Video auf, aus dem hervorgeht, dass der Junge und ein Freund in der Schule gemobbt und möglicherweise sogar vergewaltigt wurden. Doch das muss zuerst noch bewiesen werden. Die Eltern des Opfers verlieren die Geduld, sie sind überzeugt davon, dass die Justiz zu wenig unternimmt. Sie starten eine Kampagne, in der sie Gerechtigkeit fordern. Öffentlich verlesen sie vor den Nachrichtenmedien eine Liste mit Namen von Personen, die an dem Tod ihres Sohnes Schuld seien. Auf dieser Liste taucht auch der von Dino (Lazar Dragojević) auf, dem Jungen, der in dem erwähnten Hip-Hop-Video als Sänger zu sehen ist. Für seine Mutter, die Staatsanwältin Nevena Murtezić (Jasna Duričić), die in dem Fall ermittelt, bricht eine Welt zusammen.
Unaufhörlich geht es in der ersten Serie der bosnischen Drehbuchautorin und Regisseurin Jasmila Žbanić („Quo Vadis, Aida?“) darum, wem geglaubt werden kann und wem nicht. Sagt Dino die Wahrheit, dass er den Jungen, der sich das Leben genommen hat, nicht gekannt habe? Dass er den Jungen zwar im Skaterpark, wo sie das Musikvideo gedreht haben, gesehen hat, mehr aber auch nicht? Was bedeutet es eigentlich, jemanden zu kennen? Reicht es, ihm häufiger begegnet zu sein? Ist das bereits ein Grund, verdächtigt zu werden? Nevena, ihr neuer Mitarbeiter Kemal (Kemal Rizvanović) und Kommissar Džandžo (Mirvad Kurić) versuchen alles, um der Wahrheit auf die Spur kommen. Doch ein schlecht ausgestattetes Justizsystem, das zu viele unerledigte Fälle auf den Schreibtischen seiner Staatsanwälte anhäuft, verliert an Glaubwürdigkeit und ist alles andere als vertrauenerweckend. Deshalb ist das Verhalten der Eltern des gestorbenen Jungen zweifellos nachvollziehbar. Andererseits sind auch sie auf ihre Art ungerecht Nevena gegenüber, die einen hervorragenden Job macht. Wenn alles aus den Fugen ist, wird die Moral zum Freiwild.
Risse durch Familie und Gesellschaft
So dysfunktional wie die Justiz sind auch die Familien. Die Eltern des Jungen, der sich das Leben genommen hat, sind zunächst überzeugt davon, ihren Sohn genau zu kennen und streiten ab, dass er irgendwelche Probleme gehabt haben könnte. Als klar wird, dass es sich anders verhielt, gehen sie sofort auf eigene Faust vor. Nevena wiederum lebt von ihrem Mann Haris (Ermin Bravo) getrennt, und man fragt sich, wie die beiden einst eigentlich zusammengekommen sind, so grundverschieden sind sie in ihrem Lebensentwurf. Auch sie sind überzeugt davon, ihren Sohn zu kennen – und dennoch ist dem nicht so. Kinder haben nun mal ihre Geheimnisse, das ist kein Geheimnis. Indessen stellt sich die Frage, wo im sozialen Miteinander die Grenze zu ziehen ist, deren Überschreitung andere Menschen krank macht.
Ähnlich wie in der in jeder Hinsicht erfolgreichen britischen Serie „Adolescence“ geht es auch in „I Know Your Soul“ unter anderem um soziale Medien, wie sie wirken und welcher Wahrheitsgehalt ihnen zugesprochen werden kann. Was das Musikvideo, das Dino seiner Mutter voller Stolz vorführt, über seine Seele aussagt, kann selbst Nevena nicht mit Sicherheit sagen. Gewissheiten gibt es keine mehr, Trauer wird zu Wut und obsiegt gegen die Vernunft. Der Riss durch ihre Familie wird immer größer, sie verliert ihrerseits die Kontrolle und macht sich auch als Anwältin angreifbar.
Der Fall wirkt auch nach der Aufklärung weiter
Man merkt der Serie an, dass sie zuerst als Spielfilm geplant war, denn nach zwei Episoden ist der Fall um den Selbstmord gelöst. Serielles Erzählen ist oft Fluch und Segen zugleich. Geschichten können kontextreicher und detaillierter erzählt werden, sie laufen aber auch oft Gefahr, Redundanzen zu entwickeln. In „I Know Your Soul“ gelingt es, die Geschichte stimmig weiterzuspinnen. Ein bisschen entwickelt sie sich zu einer Anwaltsserie, doch auch nicht wirklich. Denn es geht darum, was ein Fall, selbst dann, wenn er offiziell abgeschlossen ist, mit den Menschen macht; wie Nevena weiterhin in einem hoch labilen Justizsystem agiert, ohne sich selbst zu verlieren. Und ob sie und ihr Sohn nach allen Verdächtigungen und Kränkungen wieder zueinander finden können.