Thriller | Großbritannien/USA 2024 | 90 Minuten

Regie: Sam Yates

Als ihre Tochter eine Rolle in einem großen Kinofilm bekommt, könnte die in der Krise steckende Ehe eines jungen Paares wiederbelebt werden. Doch alles kommt anders. Während sie sich zu Hause um das zweite Kind, noch ein Baby, kümmert, begleitet er ihre Tochter zum Set. Scheinbar hilflos muss die Frau miterleben, wie ihr Mann dem weiblichen Star des Historienfilms via Textnachrichten den Hof macht. In dem intelligenten Ehedrama und Psychothriller brilliert die Hauptdarstellerin in der Rolle einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, die sich aber nicht unterkriegen lässt. Im Hintergrund geht es um fortbestehende Geschlechterungleichheiten, die auch durch die Bildsprache des Films subtil eingefangen werden. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MAGPIE
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
55 Films/Align/Werewolf Films
Regie
Sam Yates
Buch
Tom Bateman
Kamera
Laura Bellingham
Musik
Isobel Waller-Bridge
Schnitt
Christopher Watson
Darsteller
Daisy Ridley (Annette) · Shazad Latif (Ben) · Matilda Lutz (Alicia) · Hiba Ahmed (Matilda) · Alistair Petrie (Richard)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Thriller
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Eine Frau gerät in die Krise, als ihr Ehemann dem Star eines Films verfällt, in dem ihre gemeinsame kleine Tochter mitspielt.

Aktualisiert am
18.03.2025 - 14:51:41
Diskussion

Tagsüber wurde noch die Botschaft vom erfolgreichen Casting ihrer Tochter Matilda (Hiba Ahmed) für einen großen Spielfilm gefeiert, als Annette (Daisy Ridley) ihrem Mann Ben (Shazad Latif) des Abends ein paar Kleidungsstücke vorführt, die sie an einem für ihre berufliche Zukunft wichtigen Meeting anziehen könnte. Ben sitzt im Bett und recherchiert zu dem Film, in dem Matilda mitspielen wird. Das erste Kostüm Annettes besteht aus einer Kombination aus dunkler Jacke und Hose mit weißer Bluse. Seine beiläufige Antwort lautet, das sei zu maskulin. Sie probiert eine weitere Variante aus, ein Kleid mit gedeckten Farben. Da fängt Lucas, ihr zweites Kind, aus dem Kinderzimmer an zu schreien, und Ben schlägt mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht vor: „Geh und frag ihn“. Sein Interesse am bevorstehenden Termin seiner Frau hält sich offensichtlich in Grenzen.

Missklänge in einer Partnerschaft

Als Annette am nächsten Tag ihr Meeting mit dem Chef der Firma hat, wo sie vor der Geburt ihrer Kinder gearbeitet hat, wird sie von ihm darauf hingewiesen, dass sie nur einen Ohrring trage. In der Hektik zu Hause – Ben hatte über ihren Kopf hinweg entschieden, der bisherigen Babysitterin zu kündigen, und so musste sie den kleinen Lucas mitnehmen – hat sie den anderen Ohrring vergessen. Sie versucht, das zu überspielen, doch es hinterlässt Wirkung. Als Lucas sich dann auch noch lautstark bemerkbar macht, platzt Annettes Plan, sich wieder beruflich zu positionieren, wie eine Seifenblase. Ihr Ex-Chef packt sie in die patriarchale Beurteilungsschublade: Diese Frau hat ihr Leben nicht im Griff und kommt nicht für die Fortsetzung ihrer Karriere in seiner Firma in Frage.

Zuerst das frappierende Desinteresse von Ben und dann das gescheiterte Meeting: Annette kann sich nicht entfalten, nicht so einfach neben der Rolle der Mutter ihre früher einmal wertgeschätzte berufliche Rolle wieder einnehmen. Die Verhältnisse, sie sind immer noch nicht so, dass sich für Frauen Job und Familie problemlos vereinbaren ließen. Kleine ignorante Sticheleien sowie Spitzfindigkeiten deuten zunächst den sozialen Gender Gap in der Ehe von Annette und Ben eher an, als dass sie ihn ausbuchstabieren. Dazu kommt bald ein weiterer Riss in der Beziehung. Je häufiger Ben mit Matilda zu den Dreharbeiten fährt und in der Hauptdarstellerin Alicia (Matilda Lutz) den Traum von einem anderen Leben verkörpert sieht, steigert sich die Kluft zwischen ihm und Annette. Die anfänglichen Enttäuschungen über fehlende gegenseitige Wertschätzung wachsen zu handfesten Ressentiments an.

Ein doppelter Boden

Wenn Filme vom Filmemachen erzählen, ist eigentlich immer davon auszugehen, dass die Realität gespiegelt wird und es um Spannungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit geht. Oft ist es das Starwesen, worauf rekurriert wird. Das Leben als Star ist kein einfaches, der Druck ist enorm und der Ruhm ist schneller passé, als man ihn genießen konnte. Das wird auch in „Magpie“ in der Regie von Sam Yates aufgegriffen. Doch die übliche Perspektive ist verschoben und verzwickt. Ben ist fasziniert von der Welt des Films und vor allem von der Hauptdarstellerin Alicia. Schnell gelingt es der einfühlsamen Aktrice, Matilda für sich zu gewinnen, und Ben sieht sich gebauchpinselt, weil sie ein Buch von ihm gelesen hat. Er plaudert über sein Familienleben, dimmt das Licht, in dem er Annette stehen lässt, stetig runter, um den Spot auf ihn und Alicia zum Strahlen zu bringen. Dabei ist ihm jedes Mittel recht. Er entwickelt sich seinerseits zu einem Schauspieler des Alltags, und seine schriftstellerischen Ambitionen verlagern sich auf Textnachrichten, die er Alicia schickt. Nur ist sein Spiel eine Lüge. Das von ihm jeden Tag aufs Neue gelebte Drehbuch einer Romanze mit Alicia ist ebenso diskreditierend wie die Videos von Alicia, die im Internet kursieren. 

Annette wiederum ist die Beobachterin aus der Ferne. Sie ist aus dem Glamour ausgesperrt, genauso wie sie aus dem gesellschaftlichen und beruflichen Leben ausgegrenzt wird. Beides verschiebt ihren moralischen Anker und treibt sie dazu, Maßnahmen zu ergreifen, die sie vorher vermutlich nicht für möglich gehalten hätte. So schafft sie es doch, ihre Tochter zu den Dreharbeiten zu begleiten. Und vielleicht bietet sich ja hier die Möglichkeit, selbst in eine andere Rolle zu schlüpfen.

Der Vogel

Die Idee zu dem Stoff hatte die Hauptdarstellerin Daisy Ridley; ihr Ehemann Tom Bateman schrieb das Drehbuch. Der Plot ist überzeugend aufgebaut, arbeitet sich klug in Richtung Psycho-Thriller und „Fatal Attraction“-Narrativ vor, um am Ende in einen Twist zu münden, der sich gewaschen hat. Die Bildsprache setzt die Geschichte kongenial um; was der Film über Geschlechterungleichheit in unserer Gegenwart zu erzählen hat, ist in die Bilder und ihre Montage (etwa in den Dialogpassagen) eingeschrieben. Die Gleichberechtigung wird zur Illusion, nicht realer als der Historienfilm, in dem Matilda mitwirkt. Das Vertraute wird in Frage gestellt und den Bildern, den filmischen wie den der sozialen Medien, ist nicht zu trauen.

Die kluge Mehrdeutigkeit des Films zeigt sich bereits in seinem Titel. „Magpie“ ist das englische Wort für Elster, dem Vogel, der einst für „diebisch“ und „Unheilsbote“ stand. Was wird hier gestohlen, und welches Unheil naht? Einmal fliegt ein Vogel gegen die Fensterscheibe des Hauses, das Annette langsam zum Gefängnis gerät. Sie geht zum Fenster, und auf dem Boden liegt das Tier. Vermutlich ist es eine Elster. Das kann nichts Gutes bedeuten. Hitchcock lässt grüßen.

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