Primadonna - Das Mädchen von morgen

Drama | Italien 2023 | 101 Minuten

Regie: Marta Savina

In den 1960er-Jahren wird eine junge Frau nach ihrer Vergewaltigung von der mafiösen Familie des Täters gedrängt, ihren Peiniger zu heiraten. Doch sie weigert sich und bringt ihn stattdessen vor Gericht. Nach dem historischen Fall der siebzehnjährigen Franca Viola, die sich als erste gegen die frauenverachtende Praxis der sogenannten „Wiedergutmachungsehe“ stellte, erzählt der Film vom mutigen Kampf einer Frau, die trotz gesellschaftlicher Ächtung, Gewaltandrohung und dem Widerstand kirchlicher Kreise gegen patriarchale Moralvorstellungen aufbegehrt. Ein klassisch inszeniertes Drama mit manchen Unstimmigkeiten, das den Blick über den Einzelfall hinaus aber auf die strukturelle Gewalt richtet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PRIMADONNA
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Capri Ent./Medset Film/Tenderstories/Vision Dist.
Regie
Marta Savina
Buch
Marta Savina
Kamera
Francesca Amitrano
Musik
Yakamoto Kotzuga
Schnitt
Paola Freddi
Darsteller
Claudia Gusmano (Lia) · Fabrizio Ferracane (Pietro Crimi) · Francesco Colella (Amedeo Orlando) · Manuela Ventura (Sara Crimi) · Dario Aita (Lorenzo Musicò)
Länge
101 Minuten
Kinostart
10.04.2025
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Drama um den historischen Fall einer jungen Sizilianerin, die sich in den 1960er-Jahren weigert, den jungen Mann zu heiraten, der sie vergewaltigt hat.

Aktualisiert am
21.03.2025 - 17:42:43
Diskussion

Wie gelähmt sitzt Lia (Claudia Gusmano) an der festlich gedeckten Tafel, neben ihr Lorenzo (Dario Aita), ihr Peiniger. Auch ihre Eltern und der jüngere Bruder wurden ins Haus der Mafia-Familie Musicò geschleppt, um der grausamen Zeremonie beizuwohnen. Angst, Scham und Entsetzen spricht aus ihren Gesichtern. Allein der Pfarrer ist munter und bittet um Nachsicht gegenüber der stürmischen Jugend. „Liebesflucht“, nennt er die Entführung aus dem Haus der sizilianischen Bauernfamilie, auf die eine mehrfache Vergewaltigung folgte. Eine „Wiedergutmachungsehe“, noch so ein furchtbares Wort, soll die Ordnung wiederherstellen. Doch Lia weigert sich, die Ehepapiere zu unterschreiben.

Ein „reparierender“ Eheschluss

„Matrimonio riparatore“ heißt sinngemäß: reparierende Heirat. Die vom italienischen Strafgesetzbuch gestützte Praxis sah vor, dass das Verbrechen der Vergewaltigung erlischt, wenn der Vergewaltiger sich entschließt, das Opfer zu heiraten. 1965 sprach sich die siebzehnjährige Franca Viola als erste Frau gegen diese brutale Rechtsverdrehung aus. Nachdem sie entführt und acht Tage lang vergewaltigt wurde, lehnte sie sich gegen die Eheschließung auf und brachte den Täter vor Gericht. Für die Familie hatte der Verstoß gegen das herrschende Sittenmodell schwerwiegende Konsequenzen. Die Violas wurden aus der Dorfgemeinschaft verstoßen und mit dem Tod bedroht.

Auf nationaler Ebene aber entfachten der Widerstand der jungen Frau und der darauffolgende Strafprozess eine mediale Debatte. Franca Viola wurde zu einer Wegbereiterin für Frauenrechte im Italien der Nachkriegszeit. Als Damiano Damiani den historischen Fall 1970 unter dem fragwürdigen Titel „Die schönste Frau – Recht und Leidenschaft“ mit der jungen Ornella Muti zu einem Spielfilm verarbeitete, kam die „Matrimonio riparatore“ noch immer zur Anwendung. Erst 1981 wurde der Artikel im Strafrecht abgeschafft.

Die patriarchale Macht

In ihrem Spielfilmdebüt „Primadonna“ erzählt die italienische Filmemacherin Marta Savina die Geschichte der an Franca Viola angelehnten Lia als klassische Emanzipationsgeschichte – und vor dem Hintergrund der Wahrnehmungsschärfung durch die #metoo-Ära. Lias „Fall“ rückt die patriarchale Macht in den Blick, die die Gewalt hinter der Vergewaltigung schlichtweg leugnet. Es gehöre sich nun mal, dass ein anständiges Mädchen sich wehre, so Lorenzo vor Gericht. Die kirchlichen Kräfte stehen hinter ihm, propagieren aber zugleich den Kult der Jungfräulichkeit. Eine jährlich stattfindende Marienprozession steht am Anfang des Films.

„Primadonna“ folgt weitgehend den Fakten; einige Sachverhalte hat die Filmemacherin jedoch stark vereinfacht. Lia ist einige Jahre älter als die historische Figur. Zwischen ihr und dem gutaussehenden Mafia-Sprössling gibt es lediglich einen Flirt und nicht die später von ihr gelöste Verlobung. Auch seine Vergangenheit – wegen Diebstahls und Bandenzugehörigkeit wurde er schon zu einer Gefängnisstrafe verurteilt – wird nur vage angedeutet. Stattdessen tritt Lorenzo zunächst als charmanter junger Mann auf.

Beim Versuch, erwartbare Rollenbilder zu vermeiden, verrennt sich Savina allerdings in ein schräges Täuschungsmanöver. So wird die Begegnung der jungen Leute mit entsprechend kitschiger Musikuntermalung als sich anbahnende Romanze inszeniert, bevor Lorenzos autoritäres und gewalttätiges Naturell durchbricht. Auch seine Verurteilung zu einer langen Haftstrafe kommt aus dem Nichts. Schließlich ist der Film unermüdlich damit beschäftigt, die Verstrickungen der Mafia-Familie mit sämtlichen Institutionen zu untermauern.

Was es zu gewinnen gibt

Allerdings ist Savina nicht primär am Justizdrama interessiert. Ihr Fokus liegt auf dem Widerstand der Protagonistin und den Folgen der gesellschaftlichen Ächtung im Familiengefüge. Die Demütigungen und Schikanen nehmen kein Ende. Lia wird der Eintritt in die Kirche verwehrt, dem Vater verbrennt man Felder und Weinberge, sodass die Familie um ihre Lebensgrundlage gebracht wird. Ein hochnäsiger Anwalt, der sich bereiterklärt, die Klägerin vor Gericht zu verteidigen, lässt sich von den Musicòs kaufen. Auf der anderen Seite gibt es die Gruppe der Ausgestoßenen: neben Lia die Prostituierte Ines und der aus dem Amt gejagte schwule Ex-Bürgermeister Orlando. „Gewonnen haben wir nichts“, sagt der Vater nach der Urteilsverkündung. Savina möchte das aber nicht so stehen lassen. Lias Blick in die Kamera ist der einer Gewinnerin.

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