Pandoras Vermächtnis

Dokumentarfilm | Österreich 2023 | 87 Minuten

Regie: Angela Christlieb

Ein Dokumentarfilm über mit drei Generationen der Familie Pabst, angefangen mit dem legendären Filmregisseur G.W. Pabst (1885-1967), der hier vor allem aus dem Blickwinkel seiner Ehefrau Trude Pabst (1899-1993) gesehen wird. Der Film basiert auf ihren spiritistisch angehauchten Tagebucheinträgen und springt immer wieder zur Enkelgeneration, die sich stärker als die Pabst-Söhne von der Dominanz des Patriarchen emanzipieren konnte. Während die Filme von Pabst und seine Rolle in der NS-Zeit nur eine nebengeordnete Rolle spielen, gelingt ein eindringlicher Essay über familiäre Dynamiken und über den Schatten, den Pabst als Überfigur bis heute wirft. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PANDORAS VERMÄCHTNIS
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Amour Fou Vienna
Regie
Angela Christlieb
Buch
Angela Christlieb
Kamera
Max Berner
Musik
Daniel Pabst · Martin Siewert
Schnitt
Angela Christlieb · Sebastian Schreiner
Länge
87 Minuten
Kinostart
03.04.2025
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt
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Dokumentarischer Filmessay über den deutschen Filmregisseur G.W. Pabst und den Schatten, den seine Überfigur auf seine Ehefrau, Kinder und Enkel warf und bis heute wirft.

Aktualisiert am
01.04.2025 - 11:14:05
Diskussion

Langsam zieht eine Karawane durch die Wüste. Eins der Kamele ist auf einer der riesigen Dünen stehengeblieben. Die Reiterin fotografiert ein menschliches, halb vom Sand bedecktes Skelett. „Ob es ein Europäer war“, fragt die britische Journalistin – Trude Pabst in einer kleinen Rolle in einem Film ihres berühmten Mannes G.W. Pabst –, und ob man die sterblichen Überreste nicht begraben könne. Das habe keinen Zweck, antwortet ihr der Offizier Morhange (Gustav Diessl), „der Wind weht es doch wieder frei. Das ist die Sahara“, erklärt er. Über dem Filmausschnitt erklingt die Stimme von Maresi Riegner, die aus Trude Pabsts Erinnerungen liest.

Die Frau des Regisseurs bezeichnet die im Januar 1932 beginnenden Dreharbeiten zu seinem fünften Tonfilm „Die Herrin von Atlantis“ als unvergessliches Erlebnis. Auf tausenden losen Seiten schrieb Trude Pabst (1899-1993) ihre Träume, Gedanken und Erlebnisse auf. Ihre Schilderungen sind die Grundlage für Angela Christliebs Dokumentarfilm „Pandoras Vermächtnis“. Mit einigem Abstand zur Überfigur des Filmemachers, der neben Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau zu den Regie-Heroen des Weimarer Kinos zählt, blickt Christlieb auf die Familie des Regisseurs, in aktuell gedrehten Sequenzen auch zu den Enkelkindern: Marion, Daniel und Ben Pabst. Ein Dokumentarfilm als Familienaufstellung.

Neue Aufmerksamkeit für Pabst

Andererseits kommt „Pandoras Vermächtnis“ an G.W. Pabst, der bei Hitlers Machtübernahme über Frankreich nach Hollywood ins Exil ging, ab 1939 aber wieder in Deutschland drehte, nicht vorbei. Auch nach dem Krieg konnte Pabst die Qualität großartiger Stummfilme wie „Die freudlose Gasse“ oder „Die Büchse der Pandora“ nicht mehr erreichen. 1967, zehn Jahre nach Ausbruch einer Parkinson-Erkrankung, die seine Filmkarriere beendete, starb der Regisseur in Wien. Neue Aufmerksamkeit auf ihn konnte Daniel Kehlmann seit 2023 mit seinem fesselnden, halbfiktionalen Roman „Lichtspiel“ lenken. Bei den Pabst-Erben stieß Kehlmanns Buch, das Pabst mehr oder weniger als Nazi-Kollaborateur hinstellt, auf Widerstand. Eine Klage führte zu einem „einigenden Abschluss ohne Rechtspflicht“ – in der vierten Auflage hat der Rowohlt-Verlag einen Vermerk eingefügt, bei Kehlmanns Geschichte handele es sich um Fiktion.

Die Erben hatten sich unter anderem an der Prämisse des Romans gestoßen, die Nazis hätten Pabst Ende der 1930er-Jahre mit der Aussicht nach Deutschland gelockt, wieder Filme drehen zu können. Tatsächlich steckte der zu einem Familienbesuch ins „angeschlossene“ Österreich angereiste Regisseur 1939 im Deutschen Reich fest, nachdem der Krieg ausgebrochen war. Dem wirklichen Pabst blieb offenbar nichts anderes übrig, als in Deutschland zu bleiben. Propagandafilme drehte er immerhin nicht, von völkischen Tendenzen konnten Produktionen wie „Komödianten“ (1941) oder „Paracelsus“ (1943) aber nicht frei bleiben.

Die Auswirkungen auf die Familie im Zentrum

Dreht sich Kehlmanns Roman, grob gesagt, um einen Pakt mit dem Teufel in Nazigestalt, müssen diejenigen enttäuscht werden, die in „Pandoras Vermächtnis“ einen Gegenentwurf und einen Freispruch des Filmemachers erwartet haben. Um Pabsts Filme und seine Verantwortung als Regisseur in Nazideutschland geht es hier nur am Rande – obwohl eine ganze Reihe historischer Filmausschnitte integriert wird – und mehr um die Auswirkungen von Pabsts Karriere und Ambitionen auf die Familie. Seine Vorliebe für Stummfilmdiven wie Brigitte Helm, Louise Brooks oder Greta Garbo wird herausgestellt – während der Regisseur die Schauspielambitionen seiner Ehefrau im Keim erstickte (vor ihrer Ehe mit Pabst hatte sie als Schauspielerin gearbeitet, ihr kleiner Part in „Herrin von Atlantis“ mit Helm in der Titelrolle blieb aber ihr einziger Auftritt in einem seiner Filme).

Dass Trude aber mindestens in den Bereichen Kostüm und Drehbuch am künstlerischen Werk ihres Mannes (unsichtbar) mitwirkte, wird von Christlieb würdigend unterstrichen. Zugleich schildert sie, wie sich Trude eine Art geistiges Paralleluniversum schuf, in dem Geister, Vorahnungen und Träume eine große Rolle spielten. Spiritualität als alternatives, von der Männerwelt unabhängiges Betätigungsfeld – das verbindet Trude Pabst mit vielen Frauen ihrer Zeit und davor.

Vom Vatertrauma bestimmt

Zwei weitere Generationen der Familie kommen vor. Das Leben der beiden Pabst-Söhne ist vom Vatertrauma bestimmt, der erste Sohn, Peter Pabst, kommt 1924 zur Welt, wird im Zweiten Weltkrieg verwundet und ist zeitlebens als Regieassistent für seinen Vater tätig. Er stirbt 1992. Sein Sohn Ben, den Christlieb mit der Kamera begleitet, zählt heute zu den bedeutendsten Paläontologen und Dinosaurierforschern der Schweiz. Sein Lebensweg scheint im Film „Geheimnisvolle Tiefe“ seines Großvaters vorgeprägt (Paul Hubschmid spielt darin den Höhlenforscher Dr. Benn Wittich). Ben Pabsts Cousine Marion Pabst ist eine engagierte Umweltaktivistin und züchtet Schmetterlinge. Marion hat den stärksten Draht zu Trude Pabst, die von anderen als kalt und distanziert beschrieben wird. Daniel Pabst wird bei seinen Tätigkeiten als Fotograf, Kunstsammler und Musiker begleitet, mehrfach hat er Stummfilme seines Großvaters vertont. Die Geburt von Marions und Daniels Vater Michael Pabst (1941-2008) war nicht geplant.

Überhaupt hatte G.W. Pabst ein überaus gespaltenes Verhältnis zu seinen Söhnen. Er kontrollierte sie und versuchte sie kleinzuhalten. (Der Pabst-Sohn in Kehlmanns „Lichtspiel“-Roman ist eine rein fiktionale Figur namens Jakob.) Als „graue Eminenz“ und keineswegs als „Großvater zum Anfassen“ beschreibt ihn noch Ben Pabst. Und beide, auch die Großmutter, fügt Cousin Daniel im gemeinsamen Gespräch hinzu, seien „keine emotionalen Koryphäen“ gewesen. Mit von Michael irgendwann in den 1980er-Jahren gedrehten Videobildern der greisen, in Fotoalben blätternden Trude Pabst endet „Pandoras Vermächtnis“. „Das ist wirklich hübsch“ kommentiert Trude noch eine Fotografie, die sie 1925 als junge Frau in einem Park in Wien zeigt. Dann, buchstäblich, reißt der Film, der wie erwähnt weniger vom Schaffen des G.W. Pabst als von seinem Schatten handelt – und von den Effekten auf die Familie.

Mit einer assoziativen, sich aus der Chronologie von Ereignissen lösenden Montage ist Angela Christlieb ein eindringlicher Essay über familiäre Dynamiken, Ohnmachtsgefühle und Strategien des Sich-Freischwimmens gelungen. Eine Filmbiografie oder Werkanalyse in Sachen G.W. Pabst will „Pandoras Vermächtnis“ nicht liefern, obwohl Christliebs Film auch wieder Lust auf das Kino dieses faszinierenden Regisseurs macht.

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