The Long Road to the Director's Chair

Dokumentarfilm | Norwegen 2025 | 70 Minuten

Regie: Vibeke Løkkeberg

Im November 1973 fand im Berliner Kino Arsenal in der Schöneberger Welserstraße das erste internationale Frauenfilmseminar statt. Das von Claudia von Alemann und Helke Sander organisierte Festival leistete Pionierarbeit in der Etablierung eines öffentlichen Diskurses über feministische Filmarbeit. Dokumentarische Aufnahmen über die viertägige Veranstaltung verschwanden jedoch im Archiv und wurden erst 50 Jahre später zu einem Film verarbeitet. Das Material, das zum großen Teil aus Interviews im Kinofoyer besteht, wird ohne nachträgliche Einordnung oder Kommentierung präsentiert und dokumentiert eine bis in die Gegenwart fortwirkende Zeitreise. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE LONG ROAD TO THE DIRECTOR'S CHAIR
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
The Norway Film Development/Viafilm
Regie
Vibeke Løkkeberg
Buch
Vibeke Løkkeberg
Kamera
Georg Helgevold Sagen
Schnitt
Mina Nybakke
Länge
70 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über das erste internationale Frauenfilm-Seminar im November 1973 in Berlin, die dem damaligen Aufbruch sehr nahekommt.

Aktualisiert am
18.03.2025 - 09:36:15
Diskussion

Frauen strömen im November 1973 ins Kino Arsenal in der Welserstraße in Berlin-Schöneberg. Sie sind aus den verschiedensten Orten der Welt angereist: aus New York, Paris, Tel Aviv. 250 Gäste, die meisten davon in der Film- und Fernsehbranche tätig, wurden zum „Ersten Internationalen Frauenfilm-Seminar“ eingeladen, um ihre Filme vorzustellen und sich über ihre (filmaktivistische) Arbeit auszutauschen. Helke Sander, die das Festival zusammen mit Claudia von Alemann organisierte, trifft mit einer Filmrolle unter dem Arm ein. Aufregung liegt in der Luft, Vorfreude, das Gedränge im Foyer vermittelt unmittelbar ein Gefühl von solidarischer Gemeinschaft.

Neun Rollen auf 16mm

Auch die 28-jährige norwegische Regisseurin Vibeke Løkkeberg hat den Weg in Arsenal gefunden, um ihren Film „Abort“ zu präsentieren, eine Geschichte über die unerwünschte Schwangerschaft eines 16-jährigen Mädchens. Dass an diesen vier Tagen im November 1973 etwas Wichtiges, Modellhaftes, vielleicht sogar historisch Bedeutendes passiert, muss ihr bewusst gewesen sein. Sie kommt in Begleitung eines Kamera- und Tonmanns, um das Festival zu dokumentieren. Am Ende sind neun Filmrollen auf 16mm abgedreht. Doch zurück in Norwegen zeigt sich keine Fernsehanstalt daran interessiert, das Material, das zum großen Teil aus Interviews im Foyer und im Kinosaal besteht, zu veröffentlichen. Irgendwann waren die Aufnahmen verschwunden, bevor sie 2019 im Archiv der norwegischen Nationalbibliothek wiederentdeckt, restauriert und 2024 von Løkkeberg zu einem Film montiert werden.

Mit der Präsentation im Arsenal am Potsdamer Platz, zunächst als stumme Materialsammlung im Rahmen des Festivals „Feminist elsewhere“ (mit Live-Kommentar von Løkkeberg und anderen), und dann im Rahmen des „Forums“ der Berlinale 2025 schließt sich ein Kreis.

Sie wolle dokumentieren, was jetzt gerade passiere – „what’s happening right now“, erzählt die Filmemacherin Ariel Maria Dougherty, die in New York zu den Themen Abtreibung und weibliche Selbsthilfe in Gesundheitsfragen arbeitet. „The Long Road to the Director’s Chair“ bezeugt dieses „Jetzt“ auf unpräparierte Weise. Das Material steht für sich; auf nachträgliche Einordnung oder Kommentierung hat Løkkeberg verzichtet. Die Aufnahmesituation wird mitausgestellt. Wenn die Filmrolle durchgelaufen ist, läuft der Ton auf Schwarzbild – und in Form von Untertiteln – weiter. Zwischen den Interviews stehen dezent mit Musik unterlegte Impressionen aus dem vollgestopften Seminarraum in der Grundschule gegenüber: aufmerksame Gesichter, Frauen mit Schreibblöcken auf den Knien, einige fotografieren, viele rauchen, vereinzelt sind auch ein paar Männer unter den Anwesenden zu sehen. Nur einmal bewegt sich die Kamera vom Kinoraum weg, um in der Schaufensterauslage einer benachbarten Pin-Up-Bar umherzuschweifen: Fotos von nackten Frauen in aufreizenden Posen, auf der Scheibe der Schriftzug „sexi Film oben ohne“.

Immer besser sein müssen

Was machst du, warum bist du hier, mit welchen Schwierigkeiten siehst du dich bei deiner Arbeit konfrontiert, kannst du von deiner Arbeit leben? Das sind die Fragen, mit denen sich Løkkeberg, die im Bild meist auch zu sehen ist, an Frauen wie Helke Sander, Claudia von Alemann, Alice Schwarzer und andere wendet. Die Befragten haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Als Filmschaffende sehen sie sich nicht ernst genommen oder zu Kompromissen gezwungen. Um in ihrem Beruf anerkannt zu werden, müssen sie mehr arbeiten, besser als Männer sein – und das zum Preis der Anfeindung. Claudia von Alemann erzählt, dass Dinge wie Kollektivität und Antiautoritarismus als Schwäche ausgelegt würden, sie gelte als „mad and stupid“. Männliche Kollegen fühlten sich durch ihr technisches Interesse angegriffen und bedroht.

Für ihren Beruf gebe es gar keinen Namen, berichtet die israelische Bildgestalterin Nurith Aviv, das Wort „Kamerafrau“ ist zu dieser Zeit noch nicht gebräuchlich. In der Filmschule habe man ihr nahegelegt, sich doch lieber als Editorin zu versuchen. Und Helke Sander führt sehr nachvollziehbar aus, dass das „kompromisslose“ Arbeiten außerhalb etablierter professioneller Strukturen durch Geldmangel ebenfalls zu Kompromissen zwinge, beide Optionen seien eben schwierig. Auch Alice Schwarzer beobachtete eine Vielzahl an Ansprüchen. Sich durchsetzen, gut im Beruf sein, männliche Verhaltensmuster übernehmen und zugleich weiblich bleiben: „Ich wundere mich, dass die Frauen nicht alle schizophren werden.“

Eine fortwirkende Zeitreise

Man kann nicht behaupten, dass sich die Fragen, die in diesem Diskursraum gestellt werden, heute erledigt hätten. Davon zeugen unter anderem die schwierige Entstehungsgeschichte von „The Long Road to the Director’s Chair“ und die anhaltenden Debatten über fehlende Geschlechterparität. Der Film ist insofern eine in die Gegenwart fortwirkende Zeitreise, die an Errungenschaften wie an Versäumnisse gemahnt.

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