Die Unerwünschten - Les Indésirables

Drama | Frankreich/Belgien 2023 | 105 Minuten

Regie: Ladj Ly

Eine Mitarbeiterin im Stadtarchiv, deren Familie einst von Mali nach Frankreich emigrierte und die in einer Mietskaserne in den Banlieues von Paris lebt, bekommt mit, dass die Stadtverwaltung rund um einen ehrgeizigen neuen Bürgermeister alte Wohnblöcke sprengen und neue errichten will, in denen die vornehmlich migrantischen Bewohner allerdings weniger Platz hätten als in den alten Häusern. Sie geht daran, den Widerstand gegen das Projekt und die Schikanen der Stadtoberen zu proben. Nach „Die Wütenden - Les Misérables“ legt Ladj Ly erneut einen Film über die Problematik der französischen Vorstädte vor, diesmal allerdings mehr aus politischer Perspektive. Dabei gönnt er seinen Figuren wenig charakterliche Schattierungen, sondern polemisiert drastisch gegen ungerechte Verhältnisse. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BÂTIMENT 5 | LES INDÉSIRABLES
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Srab Films
Regie
Ladj Ly
Buch
Ladj Ly · Giordano Gederlini
Kamera
Julien Poupard
Musik
Pink Noise
Schnitt
Flora Volpelière
Darsteller
Anta Diaw (Haby Keita) · Alexis Manenti (Pierre Forges) · Aristote Luyindula (Blaz) · Steve Tientcheu (Roger Roche) · Aurélia Petit (Nathalie Forges)
Länge
105 Minuten
Kinostart
06.03.2025
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Eine lokale Aktivistin in den Banlieue und ein angehender Bürgermeister geraten aneinander, als der Mann zugunsten seiner politischen Karriere immer mehr Druck auf die Vorstadt-Bewohner ausübt.

Veröffentlicht am
05.03.2025 - 12:04:52
Diskussion

Der Sarg passt kaum durchs Treppenhaus. Viele Menschen tragen ihn, er ist schwer, fast rutscht er ihnen aus den Händen. Natürlich ist der Aufzug kaputt, Licht gibt es auch nicht, die Stufen und die Enge müssen von Handy-Lampen erhellt werden. Frauen weinen. Es ist die Oma von Haby, einst aus Mali emigriert, die hier aus der Wohnung gebracht wird, unter Einsatz der ganzen Nachbarschaft. Rund um ihren Sarg macht der Film klar, schon in den ersten Einstellungen, wie die eine Seite aussieht, um die es hier gehen wird: Araber und Afrikaner in den typischen französischen Banlieue-Plattenbauten.

Endlich draußen, zeigt die Kamera die Szene von oben, ein symmetrisches Bild, von einem Wohnblock geradlinig in der Mitte geteilt, prächtig anzusehen, samt der immanenten Sozialkritik. Bald darauf wird ein identischer Wohnblock gesprengt, das ist der erste Hinweis darauf, was den Film bewegt: Es sollen in dieser Stadt die Mietskasernen abgerissen und neue Siedlungen für die Migranten gebaut werden. Bessere Siedlungen, wie es heißt. Und Migranten ist eigentlich der falsche Begriff, denn die Protagonisten leben bereits in der dritten Generation hier, sie sind Franzosen. Deshalb ist auch der französische Titel von Ladj Lys Film der aussagekräftigere. „Eine französische Frau von heute“ heißt er, und das ist auch der Satz, mit dem Haby sich beschreibt.

Solidarität wird von den Stadtoberen dem Egoismus geopfert

Haby ist um die dreißig, sie arbeitet im Stadtarchiv, im Sitz der lokalen Regierung. Deshalb kann sie auch die Dokumente für den Bau der Siedlung einsehen und stellt fest, dass die neuen Wohnungen kleiner sein werden als versprochen, kleiner sogar als die, in denen jetzt gewohnt wird. Ihre Fragen und Beschwerden werden abgetan von den weißen Chefs, denn die sind mitten in einer Intrige, die den üblichen Zielen dient: Geld sparen, die Ausländer demütigen, sie am besten loswerden durch schlechte Behandlung. Diese Bürgermeisterei und ihr Umgang mit den Bürgern, das ist die andere Seite des Films.

Pierre, ein neuer, weißer Bürgermeister, kommt ins Amt, er schnappt die Stelle dem langjährigen schwarzen Vize-Bürgermeister Roger weg, und man sieht, wie er innerhalb von Tagen lernt, dass er sich mit Repression und möglichst mitleidsfrei eine politische Karriere in der rechtskonservativen Stadtregierung aufbauen kann. Was nicht heißt, dass der andere, Roger, besonders empathisch wäre. Er kann sich die Konsequenzen von Pierres Handlungen ausmalen, er weiß, dass sie in fürchterlichen Ärger führen werden, aber auch ihm ist die politische Karriere wichtiger. Solidarität oder auch nur Vernunft wird dem Egoismus untergeordnet, jedenfalls auf Seiten der Macht.

Im Fokus: Strategische Unterdrückung

Der Film verhandelt die direkte Konfrontation der Ghettobewohner mit dem Amtspersonal. Das ist, auch wenn der Plot sich ähnlich entwickelt, eine andere Geschichte als die, die Ladj Ly 2019 in seinem großartigen „Les Misérables“ erzählt hat. Auch jetzt bedient er das Banlieue-Genre, aber in einem anderen Ausmaß. Es geht nicht mehr um Flics und Kleinkriminelle, nicht mehr um Jugend und spontane Dummheit, sondern es geht um erwachsene Menschen und strategische Unterdrückung. Die Fronten sind eindeutig politische Fronten. Man wird dabei genauso wütend, trotzdem ist dieser Film plumper als Lys Erstlingswerk, drastischer, auch vorhersehbarer. Es gibt kaum Schattierungen bei der Zeichnung der Figuren, und der Plot läuft geradlinig in eine absurde Katastrophe.

Darin liegt allerdings auch die Unterhaltung. Man sieht die rabiaten Schikanen des Amts, von denen man wirklich wissen möchte, ob sie tatsächlich so stattfinden könnten. Im Kontrast dazu stehen Klugheit und Weltgewandtheit von Haby, die zu einer politischen Gegenspielerin wird. Sie will sich als Bürgermeisterin wählen lassen, sie weiß, wie man Gesetze für sich in Anspruch nehmen kann, wenn man sie tatsächlich liest. Man erlebt die Biederkeit des weißen Bürgertums, das gewöhnlich nur eine Handlungsoption kennt, im Gegensatz zur Banlieue-Crowd, die immer fähig ist, an einer Richtlinie vorbei zu improvisieren. All das sorgt für Amüsement, für Einsichten, für Furcht am Ende. Denn letztlich beobachtet man einen Weg in die Radikalität. Lys Porträt der Banlieue mag eine andere Ebene erreicht haben. Aber die Probleme der Bewohner, das macht sein Film nachdrücklich klar, sind nicht weniger geworden.

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