Elton John: Never Too Late
Musikdokumentation | USA 2024 | 102 Minuten
Regie: R.J. Cutler
Filmdaten
- Originaltitel
- ELTON JOHN: NEVER TOO LATE
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Disney Original Documentary/Rocket Pic./This Machine
- Regie
- R.J. Cutler · David Furnish
- Kamera
- Jenna Rosher
- Schnitt
- Poppy Das · Greg Finton
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Musikdokumentation
- Externe Links
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Dokumentar- und Musikfilm über Elton John, der seine Karriere zwischen seinen legendären Auftritten im Dodger Stadium Los Angeles von 1975 bis zu seinem letzten Konzert 2022 am selben Ort Revue passieren lässt.
Wenn man als Musiker zweimal hintereinander das 55.000 Zuschauer fassende Baseballstadion der Dodgers in L.A. füllen kann, ist man im Pop-Olymp angekommen. Doch ist man auch automatisch glücklich? Spätestens seit dem Biopic „Rocket Man“ von Dexter Fletcher weiß man, wie sehr das britische Multitalent Elton John in den 1970er-Jahren an seinen Drogen- und Alkoholexzessen litt. In dem neuesten Film über den 1947 geborenen Weltstar, dem Dokumentarfilm „Elton John – Never too late“, gibt nun kein Schauspieler, sondern der Betroffene selbst Auskunft über sein Schaffen und verteidigt die Deutungshoheit über sein Leben mit sehr offenen Einblicken. Seine über 50 Jahre währende, so turbulente wie glorreiche Karriere sowie seine Befindlichkeiten und sein Liebes- und Familienleben rollt Elton John hier noch einmal auf.
Vom Nahtoderlebnis auf die Bühne
Alles fängt mit Archivaufnahmen seiner berühmten beiden Konzerte im südkalifornischen Baseballstadion vom 25. und 26. Oktober 1975 an. Es herrscht Volksfeststimmung. Gekommen sind Menschen aller Altersgruppen, Geschlechter und Hautfarben, doch ausgelassene junge Leute in Schlaghosen und bunten Blusen bestimmen das Bild. Dass sich der Star, den sie dann während des Konzerts bejubeln, ausgelaugt und leer fühlt, wissen sie nicht. Erst am Tag zuvor hat er eine Nahtoderfahrung im Swimming Pool gemacht, in dem er im Vollrausch beinahe ertrunken wäre. Doch obwohl es ihm dreckig ging, wäre er nie auf die Idee gekommen, die Gigs abzusagen.
Nach dem Triumph fällt er in ein umso tieferes Loch. Mehr Erfolg ging nicht. Zwischen 1970 und 1975 hatte Elton John in seiner enormen Kreativität 13 Musikalben veröffentlicht. Rund die Hälfte davon erreichte die Nummer eins in den Charts von Großbritannien und den USA.
„Alles, was mich interessierte, war die Musik“
Den als Reginald Kenneth Dwight in eine strenge, kleinbürgerliche Familie in einem Londoner Vorort hineingeborenen Jungen sieht man im Film – brav gescheitelt und etwas pummelig – auf diversen Fotos schüchtern in die Kamera lächeln. Schon als Kind sitzt er oft am Klavier, dem Instrument, dem er seinen Ausbruch aus der „Kindheitshölle“ zu verdanken hat. Sein autoritärer Vater, der ihm viel verbot, verabscheute Rock’n’Roll. Doch Reginald spielte bereits als 15-Jähriger regelmäßig in einem Pub: „Alles, was mich interessierte, war die Musik“, erinnert sich Elton John. Doch zuerst musste er seinen Namen ändern. Dann begann ein neues Leben.
Dieses nahm Konturen an, als er Ende der 1960er-Jahre auf den blutjungen Lyriker und Texter Bernie Taupin stieß: Eines der originellsten und erfolgreichsten Songschreiber-Duos der Popmusik war geboren. Auf zahlreichen Fotos und in Filmausschnitten sieht man die beiden Männer zusammen bei der Arbeit. Danach wird Elton Johns ab 1970 steil nach oben gehende Karriere skizziert. Oft gibt er selbst im Off Auskunft darüber. Dann wiederum besucht er im Heute alte Wirkungsstätten, etwa den Troubadour Club in Los Angeles. Dort wurde man Anfang der 1970er-Jahre auf den jungen englischen Sänger aufmerksam. Den USA hat Elton John eine Menge zu verdanken. Dort wurde er zum Star, bevor sein Ruhm auf den Rest der Welt überschwappte.
Das Schrille als Exorzismus des Schmerzlichen
Dennoch ist der Film nicht chronologisch erzählt. Er beginnt mit den Archivaufnahmen der Konzerte in L.A. von 1975. Dann spannt er einen Bogen zum Auftritt von 2022 am selben Ort. Dabei wird regelmäßig ein Countdown eingeblendet, der die Tage bis zum letzten Konzert, das heißt bis zum offiziellen Ende seiner Karriere, herunterzählt. Zwischendurch gibt es Animationen, die Johns Gefühle widerspiegeln sollen, oder sieht man ihn mit seinem Ehemann David Furnish bei einer Radiosendung, bei der beide junge, unbekannte Künstler fördern.
Das ist alles eher klassisch, aber sehr unterhaltsam gemacht und berührt mitunter sehr, gerade wenn John von schmerzlichen Erfahrungen spricht oder wenn Archivbilder von Auftritten aus den 1970ern eingeblendet werden. Dann sieht man die Rampensau Elton John mit seinen Glitzerkostümen, seinen Verrenkungen am Piano, seinen überdimensionierten Brillen und seiner unbändigen Energie als Entertainer. Mit dem Exzessiven, dem Schrillen exorzierte er alles aus sich heraus, was ihm in seiner Kindheit und Jugend verwehrt wurde.
Dann wiederum leidet man mit ihm mit, wenn es darum geht, wie spät er zu seiner Sexualität fand, oder wenn er von seiner ersten Liebesbeziehung spricht, die er zu seinem Manager aus den 1970er-Jahren, John Reid, unterhielt. Dieser neigte zu Grausamkeit und Brutalität, und John brauchte lange, um sich vom Bruch dieser Beziehung zu erholen.
Nicht alle Höhen und Tiefen seiner Karriere kann der Film ansprechen. Dafür gibt es schöne Einblicke in die Zusammenarbeit mit seinen Studiomusikern, die ihn auch auf der Bühne begleiten. In einem besonders berührenden Kapitel wird sein Auftritt mit John Lennon im Madison Square Garden im November 1974 geschildert, bei dem Lennon zum letzten Mal überhaupt auf einer Bühne stand.
Eine Art Vermächtnis
Doch natürlich nimmt der Dokumentarfilm keine neutrale Perspektive ein. Denn es ist nicht unproblematisch, wenn ein Regisseur einen Film über den eigenen Partner dreht, wie es hier der Fall ist. Johns Ehemann David Furnish fungiert neben R.J. Cutler als Ko-Regisseur. Bereits 1997 hatte Furnish auch bei einer anderen Doku über Elton John, „Tantrums and Tiaras“ hinter der Kamera gestanden. So mag die Familienidylle, die im Film zwischen John, Furnish und den beiden Söhnen beschworen wird, womöglich etwas beschönigend sein.
„Elton John – Never too late“ ist allerdings kein Heldenepos, spricht es doch sehr schmerzvolle und auch kritische Kapitel in der Karriere des Musikers an. Dennoch schafft sich Elton John damit eine Art Vermächtnis, bestimmt, welches Bild von ihm in die Öffentlichkeit gerät und schreibt seine eigene Legende. Andererseits wissen alle, dass er nichts mehr zu beweisen hat. So erscheint er in den Episoden im Heute zwar mitunter physisch fragil – er läuft eher mühsam – und auch die chirurgischen Eingriffe in seinem Gesicht rauben ihm etwas von seiner natürlichen Mimik. Dennoch gönnt man dem Künstler einen beschaulichen Ruhestand mit Mann und Kindern, mit denen ihm, wie er selbst sagt, nur noch eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Unterm Strich belehrt dieser mitreißende Dokumentar- und Musikfilm, dass es nie zu spät ist, zu sich selbst zu finden, von neuem zu beginnen und sein Leben frei von Zwängen zu gestalten.