Horror | Großbritannien 2023 | 94 Minuten

Regie: Daniel Kokotajlo

Ein Archäologe zieht mit seiner Frau und dem Sohn zurück in sein ländliches Elternhaus zwischen weiten Feldern und schroffen Felsen. Doch nach dem plötzlichen Tod des Jungen droht ein uralter Fluch die trauernden Eltern einzuholen, indem er mit trügerischer Hoffnung lockt. Der Film taucht feinfühlig und mit erzählerischer Ruhe in eine Verlusterfahrung ein und entfaltet durch das Einstreuen von Folk-Horror-Elementen in die Trauerbewältigung der leidenden Eltern seinen morbiden Schauer, wenngleich einige Längen sowie ungeschickte Effektentscheidungen den erzählerischen Sog gelegentlich hemmen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STARVE ACRE
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Access Ent./BBC Film/BFI/House Prod.
Regie
Daniel Kokotajlo
Buch
Daniel Kokotajlo
Kamera
Adam Scarth
Musik
Matthew Herbert
Schnitt
Brenna Rangott
Darsteller
Matt Smith (Richard) · Morfydd Clark (Juliette) · Arthur Shaw (Owen) · Erin Richards (Harrie) · Robert Emms (Steven)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Horror | Literaturverfilmung | Mystery
Externe Links
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Horrordrama um einen Archäologen und seine Familie, die auf den kargen Heimatboden des Mannes in dessen Elternhaus ziehen, wo die Schatten eines dunklen Familiengeheimnisses warten.

Diskussion

Ein Baum ohne Wurzeln kann nicht überleben. Wasser und Nährstoffe aus dem Mutterboden lassen ihn in die Höhe schießen. Zweige wachsen zu Ästen heran, die wiederum Knospen für Blätter oder Blüten hervorbringen. Ein Baum steht für Leben und sinnbildlich auch für die Familie. Weit verästelte Stammbäume wachsen dort, wo zwei Menschen ihre Wurzeln geschlagen haben. Doch was passiert mit dem Baum, wenn sein Anker in verfluchter Erde versenkt wurde?

Der Archäologe Richard (Matt Smith) zieht gemeinsam mit seiner Frau Juliette (Morfydd Clark) und ihrem Sohn Owen (in seiner ersten Filmrolle: Arthur Shaw) zurück in sein Elternhaus aufs Land. Zwischen weiten Feldern und schroffen Felsen sehnt sich die Familie nach trauter Dreisamkeit. Doch als Owen immer öfter gewalttätig gegen Mitschüler und sogar Tiere wird, stoßen Richard und Juliette auf ein dunkles Familiengeheimnis.

Das Böse tief unter der Erde

Richard und Juliette sind verzweifelt. Wie sollen Eltern mit einem Kind umgehen, dass urplötzlich von einem unsichtbaren Freund und dessen nächtlichem Flüstern erzählt? „Starve Acre“ gibt dem Hadern und Zaudern des Ehepaars hektarweise Raum. Grau und vereinsamt steht das alte Gehöft von Richards Familie da, wie ein Findling aus Holz und Stein. Doch nicht bloß die Farben dieses Hauses wirken entsättigt. Wo Juliette als fürsorgliche Mutter ein Fleckchen Geborgenheit für den verstörten Sohn schaffen will, bleibt Vater Richard stets kalt und abweisend. Dass hier einst Unaussprechliches zwischen seinem eigenen Vater und ihm vorgefallen sein muss, kommt wie seine archäologischen Funde nur langsam ans Tageslicht.

Regisseur Daniel Kokotajlo lässt sich Zeit, um das Grauen genüsslich zu entfalten. Der Folk-Horror um einen Erdgeist, der den hungernden Bauern einst einen mephistophelischen Handel anbot, bricht sich langsam durch die Oberfläche des Familiendramas wie eine Pflanze durch eine Asphaltdecke. Richards Traum, seinem Sohn all die Liebe zu geben, die ihm einst verwehrt blieb, zerfällt nach Owens plötzlichem Tod zu Staub. Schuldgefühle plagen die Eltern und treiben sie in zwei Extreme.

Eine verbotene Hoffnung

Richard flüchtet sich in seine Arbeit und gräbt selbst bei strömendem Regen jeden Quadratzentimeter des heimischen Ackers um. Juliette, die sich die Schuld an Owens Tod aus einem Moment der Unachtsamkeit gibt, verfällt in eine schläfrige Lethargie. Der Tod des einzigen Kindes deckt das auf, was Matt Smith und Morfydd Clark durch ihr distanziertes Spiel bereits zu Beginn von „Starve Acre“ andeuten: Die einst Liebenden haben sich entfremdet, einzig zusammengehalten durch diesen zarten Spross namens Owen.

Die unfassbare Trauer von Eltern, die ihr Kind verloren haben, zeichnet Kokotajlo wie eine Art emotionales Tauziehen. Zwischen Richard und Juliette entsteht ein Wegstoßen und Heranziehen, was sich stellenweise über sekundenlange Blickwechsel der beiden herausragenden Hauptdarsteller spiegelt. Durch die bewusste Entschleunigung sowie der weite Raum für Trauer in all ihren Grautönen erinnert Kokotajlos Folk-Horror an Werke wie „Der Babadook“, „The Dark and the Wicked“ oder „Hereditary“.

Nur vereinzelt gerät der mystisch-depressive Sog von „Starve Acre“ ins Stocken, was an einigen erzählerischen Längen wie auch unausgegorenem Effektwechsel zwischen CGI und Animatronik liegt. Doch im Ganzen liefert der Film eine suggestive Schauergeschichte, die bis auf sehr wenige blutige Spitzen ganz aufs Atmosphärische setzt. Letztlich bietet sich den Figuren in ihrer Trauer ein zwielichtiger Hoffnungsschimmer, versteckt in den Gebeinen eines ausgegrabenen Hasen. Dass es eine verbotene Hoffnung ist, tief verwurzelt in verfluchter Erde, kümmert die Trauernden wenig. Hauptsache, ihr Baum lebt weiter.

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