Tunnel to Summer
Animation | Japan 2022 | 82 Minuten
Regie: Tomohisa Taguchi
Filmdaten
- Originaltitel
- NATSU E NO TUNNEL, SAYONARA NO DEGUCHI
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Clap Animation Studio/Pony Canyon
- Regie
- Tomohisa Taguchi
- Buch
- Tomohisa Taguchi
- Kamera
- Kou Hoshina
- Musik
- Harumi Fuuki
- Schnitt
- Akinori Mishima
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- 20.10.2024
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Animation | Anime | Coming-of-Age-Film | Drama | Fantasy | Jugendfilm | Mystery
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Anime um zwei Heranwachsende, die in einem magischen Tunnel mit ihren Gefühlen und der Relativität der Zeit ringen.
Zwei Hände teilen sich ein Bild. Es sind zwei linke Hände, die hier, an den Rand des Bildes gedrängt, nebeneinander Platz finden. Sie gehören also nicht einer Person und halten bedacht Abstand voneinander. Bis die linke der beiden linken Hände die Starre löst. Langsam tastet sie sich in Richtung der anderen vor, verharrt kurz, schwebt für einige endlos lange Sekunden in der Luft und findet dann den Mut, sie zu fassen.
Die Hände, für die Tomohisa Taguchi in „Tunnel to Summer“ die Sekunden auf eine scheinbare Ewigkeit dehnt, gehören Kaoru und Anzu. Für die Teenager, die sich erst vor einigen Wochen kennengelernt und kurz darauf ineinander verliebt haben, tickt die Zeit anders. Ihre Liebe fällt überdies mit einer Raum und Leben alternierenden Entdeckung zusammen. Denn der Urashima-Tunnel lässt die Uhren anders laufen.
100 Jahre vergehen
Einer lokalen Legende zufolge erfüllt er denen, die ihn durchqueren, einen Wunsch. Der Preis dafür ist die Zeit. 100 Jahre vergehen für diejenigen, die ihren Wunsch verfolgen. Oder, wie die Teenager Anzu und Kaoru herausfinden: In den wenigen Sekunden, die beide im Tunnel verbringen, ziehen in der „wirklichen“ Welt Stunden vorüber.
Der Zaubertunnel ist eine Allegorie für das Teenager-Leben. Für eine Gefühlswelt, für die der Alltag von Erwachsenen keine Zeit hat, an der er empathielos vorbeizieht, oder sogar mitten hindurchstapft, wie es Kaoru erlebt. Nach dem tragischen Tod seiner Schwester Karen ist er ganz auf sich allein gestellt. Sein Vater lebt neben ihm her und fängt ein neues Leben an, ohne sich dem Verlust seiner Tochter gestellt zu haben. Er trinkt, sucht sich eine Frau als Ersatz für die Mutter, die ihn und die Familie verlassen hat, und trampelt im Rausch alles nieder – im Zweifel auch seinen Sohn.
Der Wunsch, all dem zu entkommen, liegt für Kaoru damit nahe. So nahe, um eines Abends vor dem Vater davonzulaufen. Scheinbar ziellos irrt Kaoru durch den Ort, bewegt sich aber wie von fremden Mächten gesteuert in Richtung des sagenumwobenen Urashima-Tunnels. Kaum zwei Minuten verbringt er im Inneren, wo er dem Wellensittich begegnet, dem er und seine Schwester einst einen Song beigebracht haben. Als er den Tunnel wieder verlässt, ist eine Woche vergangen. Der Vater ist ausgenüchtert, hat eine halbgare Entschuldigung und eine Drohung vorbereitet. Den Mitschülern erzählt Kaoru, dass er eine Grippe gehabt habe.
Van Gogh ist überall
Nur Anzu weiß es besser. Auch sie ist am Urashima-Tunnel interessiert. Ihrem Wunsch liegt kein tragisches Schicksal zugrunde, nur ihr tragisch fehlgeleiteter Umgang mit dem eigenen Schicksal. Anzu ist eine angehende Manga-Autorin. Ihr erstes Manuskript liegt bereits in der Schublade, aber sie leidet an einem Minderwertigkeitskomplex. Im Zimmer der von Selbsthass geplagten Teenagerin welken die Sonnenblumen wie bei Van Gogh, und wie bei dem bleibt auch bei ihr der Erfolg aus.
Überhaupt ist der holländische Meister überall präsent: Dort, wo der Wind durch die Sonnenblumenfelder bläst, wo die einzelne Helianthus vor sich hin welkt oder eben im Urashima-Tunnel selbst, der wie eine farbverzerrte Version von Van Goghs Pappelallee in überdrehten Herbsttönen leuchtet.
Kaoru weiß, dass Anzu hier nicht hingehört, dass ihre Wünsche auch jenseits der Magie des Tunnels eine Chance haben und dafür eben keine beschleunigte Zeit, sondern ein Leben brauchen. Kaoru weiß auch, dass der ursprüngliche Plan, die 100 Jahre bis zur Erfüllung gemeinsam zu erleben, nicht aufgehen kann. Beide könnten zusammen altern, aber nur Kaoru hat einen guten Grund dazu. Zunächst aber zählt für die Teenager die gemeinsame Zeit – allerdings ohne dass sie sich dies selbst oder einander eingestehen wollen.
Was Raum und Zeit standhält
Das Projekt „Jugend forscht – und entdeckt die Liebe“ ist sichtbar dem Anime-Hit „Your Name“ (2016) von Makoto Shinkai nachempfunden. Statt Schrödingers Paradoxon, das dort mit einer Teenager-Liebesgeschichte verquirlt wurde, ist es die Allgemeine Relativitätstheorie, die mit der ersten Liebe, dem ersten Trauma und dem generell instabilen Zustand des Teenager-Daseins aufeinandertrifft. Doch wer die erste Liebe als physikalische Konstante beweisen will, braucht Bilder, die groß genug sind, um Raum und Zeit standhalten. Während die Liebe als physikalisches Axiom in „Your Name“ über eine dementsprechende Bildgewalt verfügte, fehlt „Tunnel to Summer“ diese visuelle Opulenz. Die Teenager-Liebe ist herzlich genug, aber die Grundgesetze der Physik erweitert sie nicht.