Drei Töchter (2023)

Drama | USA 2023 | 101 Minuten

Regie: Azazel Jacobs

Ein alter Mann wird in wenigen Tagen an seiner Krebserkrankung sterben. Um ihn auf dem letzten Stück seines Lebens zu begleiten, finden sich seine drei sehr unterschiedlichen Töchter in seiner Wohnung ein und helfen bei der Betreuung. Doch auf dem begrenzten Raum kommt es unter den drei Frauen schnell zu Zank und Streit. Ein kammerspielartiges Drama, das über Familie, Vergänglichkeit und lebenslange Bindungen reflektiert. Das kluge Drehbuch und eine achtsame Inszenierung blicken dabei auch hinter die Fassade der drei Protagonistinnen, die zusehends unerwartete Schattierungen offenbaren. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HIS THREE DAUGHTERS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Animal Pictures/Arts and Sciences Department/Case Study Films/High Frequency Entertainment
Regie
Azazel Jacobs
Buch
Azazel Jacobs
Kamera
Sam Levy
Musik
Rodrigo Amarante
Schnitt
Azazel Jacobs
Darsteller
Natasha Lyonne (Rachel) · Elizabeth Olsen (Christina) · Carrie Coon (Katie) · Jovan Adepo (Benji) · Rudy Galvan (Angel)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Familienfilm
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Drama um drei zerstrittene Schwestern, die sich in einem New Yorker Apartment zusammenfinden, um ihrem sterbenden Vater zur Seite zu stehen.

Diskussion

Drei Schwestern mit unterschiedlichen Temperamenten und Lebensumständen warten miteinander – scheinbar ewig – auf begrenztem Raum. In dem gleichnamigen Theaterstück von Anton Tschechow werden sie sich bewusst, dass sie nie nach Moskau, den Ort ihrer Sehnsüchte, zurückkehren werden; dabei wünschen sie sich nostalgisch die gute alte Zeit zurück. Über 100 Jahre später wiederholt sich ein solches Szenario im Spielfilm „Drei Töchter“ von Azazel Jacobs, der genauso gut „Drei Schwestern“ heißen könnte. Auch hier ist es die Nostalgie, die die drei Frauen schließlich wieder zusammenschweißt.

Der Grund für ihr Warten ist ein trauriger: Ihr Vater hat den Kampf gegen den Krebs verloren und nur noch wenige Tage zu leben. Also beschließen Katie (Carrie Coon), Christina (Elizabeth Olsen) und Rachel (Natasha Lyonne), die ansonsten kaum Kontakt miteinander haben, ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Vincent (Jay O. Sanders) ist an einen Herzmonitor und einer Morphiumpumpe angeschlossen und liegt im Krankenbett seines Schlafzimmers in New York. Mehrere Stunden am Tag wird der von dem Palliativpfleger Angel und einer Krankenschwester betreut.

In ihrem Zimmer

Den Rest der Pflege, darunter die Nachtschichten, übernehmen die Schwestern. Wobei dies eigentlich nur Katie und Christina tun. Denn Rachel, die immer noch bei ihrem Vater lebt, weigert sich, sein Schlafzimmer zu betreten, seitdem er kaum noch bei Bewusstsein ist. Meist schließt sie sich in ihrem Zimmer ein und sieht fern, um den Ausgang ihrer Sportwetten live zu verfolgen.

Prompt wirft ihr Katie vor, sie drücke sich vor ihren Aufgaben und habe es nur auf die preiswerte Sozialwohnung abgesehen; dass in den letzten Monaten ausschließlich Rachel für den Vater da war, übersieht sie dabei. Katie wohnt nicht weit entfernt in Brooklyn, doch sie wird von ihren pubertierenden Kindern so sehr in Beschlag genommen, dass sie bei ihrem Vater nur selten vorbeigeschaut hat. Christina wiederum wohnt in einem anderen Bundesstaat und hat eine dreijährige Tochter, die sie von New York aus regelmäßig anruft. Die kinderlose Rachel scheint dagegen in ihrem Leben nicht viel erreicht zu haben; ständig sitzt sie kiffend auf einer Bank im Garten der Wohnanlage. Katie hat sie dorthin verscheucht, weil sie den Hanf-Geruch nicht erträgt.

Immer wieder kommt es zu Sticheleien und sogar handfesten Streitigkeiten zwischen den Schwestern. Vor allem Katie und Rachel kommen nicht miteinander aus. Katie spielt sich als moralisch überlegene Persönlichkeit auf, während die scheinbar sanfte Christina zwischen den Streithennen schlichtet.

Nachruf auf den Vater

Das kammerspielartige Ambiente lässt die verschiedenen Charaktere umso heftiger aufeinanderprallen. Das ist intendiert und erinnert erneut an die Tschechow’sche Theateratmosphäre. Fast der gesamte Film spielt sich in den Zimmern der Sozialwohnung ab, wobei dem Ess- und Wohnzimmer eine besondere Bedeutung zukommt. Hier sitzt Katie am Tisch und entwirft verschiedene Versionen eines Nachrufs auf ihren Vater oder versucht einen Arzt wegen einer Patientenverfügung zu finden.

Das Zimmer von Rachel ist hingegen ihr geschützter Raum und darf von den Schwestern nicht betreten werden. Aus der Tür zum Schlafzimmer ertönt das Piepen des Herzmonitors. Die Kamera begibt sich nie in diesen Raum herein, in dem der sterbende Vater liegt. Wer sich hier aufhält, weiß, dass seine Privatsphäre und tiefsten Gefühle ebenfalls geschützt sind. Nur Christinas Gesang mit Songs von „Grateful Dead“, die sie für den Vater vorträgt, dringt durch die Tür; ihre Schwestern machen sich über die angeblich morbide Musik lustig und zweifelnd zudem an Christinas Realitätssinn. Denn für esoterisches Gedankengut oder Yoga ist Christina ebenfalls zu haben.

Reflexion über Abschied & Erinnerungen

Anfangs fällt es schwer, Sympathien für die drei Frauen zu entwickeln. Das Großstadtleben, die eigene familiäre Blase und das Gefühl, sich selbst und anderen nicht zu genügen, lassen sie als typisch US-amerikanische Individualistinnen erscheinen. Doch Story und Regie entscheiden sich dafür, die Dispute in die erste Hälfte des Films zu verlegen und danach hinter die Fassaden der drei Frauen zu sehen. Je häufiger die Schwestern miteinander kommunizieren, desto deutlicher wird, dass jede ihr Päckchen zu tragen hat. Unnahbarkeit und Dünkel, ja sogar ein möglicher Anflug von Rassismus gegenüber Rachels schwarzem Boyfriend weichen bei Katie einer einsichtigeren Seite. Christina erweist sich als durchsetzungsfähiger als gedacht und als die Schwester mit der höchsten emotionalen Intelligenz. Und Rachel, Vincents nichtbiologische Tochter, ist weniger verpeilt, als ihr dauerbekiffter Zustand vermuten lässt.

Routinen und Running Gags wie eine Geheimsprache zwischen Katie und Christina oder die Ermahnungen des Hausmeisters, Rachel solle in der Öffentlichkeit nicht kiffen, obwohl sie das ja auch zuhause nicht kann, sorgen für milde Komik. „Drei Töchter“ entwickelt sich darüber zu einer höchst sehenswerten Reflexion über Abschied, Erinnerungen und die Lücke, die der Tod eines nahen Familienmitglieds hinterlässt. Gleichzeitig erörtert der Film allgemeingültige Themen wie Blutsverwandtschaft, Familienbande und das Verstreichen der Zeit. Nicht zuletzt ist das Drama über drei ungleiche Töchter eines Mannes, der fast die gesamte Zeit gesichtslos bleibt, auch eine Hommage an eine andere große Unbekannte: die Metropole New York. Der Vater liebte die Stadt über alles, und es ist wohl kein Zufall, dass er sich in Big Apple die letzten Tage seines Lebens fast ausschließlich von weichen Äpfeln ernährt.

Das Publikum aber sieht New York City nur in Form einer vereinzelten Straße und des weitläufig-begrünten Hinterhofs der Wohnanlage, hinter der Züge vorbeirattern. Sowie in Form eines Panoramas. Es ist der Blick aus dem Wohnzimmerfenster – mit Sicht auf die Skyline von Manhattan, wo sich der Ground Zero erhebt.

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