Zone
Coming-of-Age-Film | Deutschland 2024 | 125 Minuten
Regie: Christina Friedrich
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Madonnenwerk
- Regie
- Christina Friedrich
- Buch
- Christina Friedrich
- Kamera
- Sönke Hansen · Katja Rivas Pinzon · Katharina Mänz
- Musik
- Henry Uhl
- Schnitt
- Jörg Volkmar
- Darsteller
- Kea Krassau (Rebellin) · Rosa Wassermann (Wanda) · Caroline Adam Bay (Frau) · Anton Dreger (Torsten Nawrocko) · Marcel Jacqueline Gisdol (Der Fremde mit dem langen Haar)
- Länge
- 125 Minuten
- Kinostart
- 03.10.2024
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Coming-of-Age-Film | Drama | Literaturverfilmung | Mystery | Science-Fiction
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Eine bildgewaltige Dystopie über den mit biografischen, fiktionalen und historischen Elementen gespickten Werdegang einer jungen Frau, die an dunkle Kapitel deutscher Geschichte gemahnt.
Mit dem Stichwort „Zone“ lassen sich viele Dinge assoziieren. Filmenthusiasten denken an Andrej Tarkowskis Klassiker „Stalker“, in dem eine Art Pfadfinder zwei Männer in ein abgeriegeltes Gebiet schleust, wo mysteriöse Dinge geschehen. Andererseits ist „die Zone“ im Volksmund immer noch ein mal ironisches, mal abwertendes Synonym für die DDR, deren Vorgänger die sogenannte „SBZ“ war, die Sowjetische Besatzungszone. Diese Assoziation ist in den Film von Christina Friedrich mit eingeflossen, der auf ihrem autobiografisch inspirierten Roman „Keller“ fußt. Die Theaterregisseurin und Filmemacherin ist im thüringischen Nordhausen aufgewachsen, unweit der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Mittelbau Dora. Das Gedenken an die Opfer des NS-Lagers ist dem Film in einem eingeblendeten Text vorangestellt. In dem KZ mussten die Gefangenen in einem unterirdischen Bergwerk unter dem Kalkfelsen Kohnstein in Zwangsarbeit die V1- und V2-Waffen für die deutsche Rüstungsindustrie bauen.
Durch die Augen einer jungen Frau
Davon ist in „Zone“ allerdings nur in Off-Kommentaren die Rede. Ansonsten sieht man die Region durch die Augen einer jungen Frau (Kea Krassau), deren Realität, Vergangenheit und Fantasie evoziert werden und gelegentlich mit der Kriegs-Historie verschwimmen. Die Protagonistin ist mal als Kind, mal als junge Frau zu sehen. Sie erforscht die bedrückende Welt der „Zone“, in der Zwang herrscht, Morde geschehen und aus der es kein Entrinnen gibt. Dann wiederum durchlebt sie als Kind eine Menge widersprüchlicher Emotionen.
Kinder werden auf dem Sportplatz von einer Lehrerin, die einer Exerziermeisterin ähnelt, traktiert. Diese und andere Szenen, etwa in einer Kinder-Disko, stellen ebenso die DDR nach wie die Inneneinrichtung der Orte, die die Protagonistin besucht. In Privatwohnungen lassen sich braune Kachelöfen, 1970er-Jahre-Möbel und Mädchen in den obligatorischen Kniestrümpfen in Sandalen beobachten. Dann wiederum ändert sich die Topografie; jetzt muss die Protagonistin ein Schwimmbecken schrubben, oder sie liegt auf einer Pritsche, die an KZ-Baracken erinnert.
Die Inszenierung brutaler Momente ist sehr theatralisch. Während die Protagonistin meist schweigt oder sich nur im Off mitteilt, tun sich die Peiniger und Peinigerinnen als grotesk-sadistische Unmenschen hervor, die ihre Opfer auch mit zynischen Bemerkungen quälen. Die Überzeichnung soll offenbar einen gewissen Ausgleich zu den mitunter schockierenden Szenarien schaffen. So werden Kinder zusammengetrieben und in Viehställen gehalten und später offenbar ermordet (was nur im Kommentar erwähnt wird). Erwachsene Gefangene werden misshandelt – einem wird der Mund zugenäht – und können nicht aus der unterirdischen Zone heraus.
Die Übergänge sind fließend
Die Übergänge der Anspielungen auf die nationalsozialistische Diktatur zum realsozialistischen DDR-Regime sind mitunter fließend, was nicht ganz unproblematisch ist, weil beide Systeme trotz gewisser Gemeinsamkeiten nicht ohne weiteres verglichen werden können. Ohne dass die Systeme explizit benannt werden, geschieht die Einordnung in die Historie oft auch durch das Wissen oder die Assoziationen der Zuschauer.
Andere Szenen sind kryptischer und abstrakter. Die Bedeutung der – zum Teil poetischen – Tableaus erschließt sich nicht immer unmittelbar, etwa wenn eine junge Frau im Schrank eines Klassenzimmers eine Ananas umklammert. Dann wiederum informieren Statistiken über den Zweiten Weltkrieg; der Berg der Zwangsarbeitsstätte ist omnipräsent. Ein Mädchen steigt das Geröll einer Halde empor, das an die Trümmer einer zerstörten Stadt erinnert.
Es ist ein permanentes Spiel mit Bildern, denen man nicht trauen kann, weil sie in andere Situationen und Zeitebenen übergehen und damit einer (Alb-)Traum-Logik nachempfunden sind. Nicht umsonst werden Passagen aus Kafkas „Das Schloss“ zitiert, eine Figur aus Hitchcocks „Die Vögel“ erwähnt oder Horrorfilme nachgestellt, die in andere Bilder von realer oder imaginierter, aber immer düsterer Historie übergehen.
Angesichts der wechselnden Szenarien und Zeitebenen lässt sich ein erzählerisches Muster kaum erkennen. Für viele Chiffren besitzt man nicht den richtigen Schlüssel, nicht alle Anspielungen lassen sich verstehen. Der bildgewaltige Film gefällt sich in seiner kryptischen Ästhetik, intellektuellen Überlegenheit und Stilisierung, weshalb irgendwann die Frage nach dem „Warum“ aufkommt. Durch die Verfremdung berühren auch beklemmende Geschichten wie das schleichende Abgleiten der Mutter in die psychische Krankheit nicht, falls das überhaupt intendiert ist. Hinzu kommt, dass das Erzählprinzip über eine Länge von zwei Stunden ermüdet.
Schostakowitsch ist sehr präsent
Grandiose Momente liefert indes die Musik. Auch sie ist historisch verwurzelt, etwa der Trauermarsch „Unsterbliche Opfer“, der sich in den Ländern des realen Sozialismus großer Beliebtheit erfreute und deren Melodie Dmitri Schostakowitsch in seiner elften Sinfonie verarbeitete. Schostakowitsch ist generell im Soundtrack sehr präsent. Auch der für den Film komponierte sinfonische Score von Henry Uhl sowie alternative Popmusik werden nicht illustrativ, sondern fast wie Protagonisten eingesetzt. Die Regisseurin Christina Friedrich bezeichnet ihr Werk als sehr persönlich und lässt es sich nicht nehmen, im Abspann auf die unrühmliche Rolle der Treuhand nach der Wiedervereinigung hinzuweisen. Die Übergangsperiode in den neuen Bundesländern ist für sie noch nicht beendet. Was sich in den Bildern vom Verfall und dem Niemandsland spiegelt oder in den von Unkraut überwucherten ehemaligen Industriestandorten, die das Territorium der ehemaligen DDR bis heute prägen.