Mond
Drama | Österreich 2024 | 93 Minuten
Regie: Kurdwin Ayub
Filmdaten
- Originaltitel
- MOND
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Ulrich Seidl Filmprod.
- Regie
- Kurdwin Ayub
- Buch
- Kurdwin Ayub
- Kamera
- Klemens Hufnagl
- Musik
- Anthea Schranz
- Schnitt
- Roland Stöttinger
- Darsteller
- Florentina Holzinger (Sarah) · Celina Sarhan (Fatima) · Andria Tayeh (Nour) · Nagham Abu Baker (Shaima) · Omar AlMajali (Abdul)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- 27.03.2025
- Fsk
- ab 16; f
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Drama um eine ehemalige Martial Arts-Kämpferin, die drei scheinbar desinteressierte Schwestern aus Jordanien trainieren soll.
Sarah Reisinger (Florentina Holzinger) liegt zu Boden gedrückt auf dem Rücken. An ihrem Gesicht klebt Blut. Ihre berufliche Laufbahn als Mixed-Martial-Arts-Kämpferin ist soeben glanzlos zu Ende gegangen. Von einem Tag auf den anderen findet sie sich im Prekariat wieder – und in einer ausgeprägten Depression. Die paar jungen Wienerinnen, die sie in einer Kampfsportschule trainiert, sind verwöhnt und wehleidig. Was für sie zählt, ist vor allem ein cooles Bild auf Instagram. Ihre ältere Schwester, die gerade in ihrer neuen Mutterrolle aufgeht und mit einer Mischung aus Mitleid und Gereiztheit auf Sarah herabschaut, fragt spitz nach ihrem „Businessplan“. Aus dieser Perspektivlosigkeit scheint ein Angebot als „Personal Trainerin“ für drei Töchter einer reichen Familie in Jordanien ein Ausweg zu sein. Zum Interview für den Job setzt sich Sarah vor das Regal mit ihrer angestaubten Pokalsammlung; an der Wand klafft ein trauriger Gipsfleck. Sarah spult erschöpft ihren Text herunter. Abdul (Omar AlMajali), ihr potenzieller Arbeitgeber und Bruder der drei Frauen, die sie künftig trainieren soll, gibt sich deutlich enthusiastischer. MMA sei anders, aufregend und auch in Jordanien zunehmend trendy – „it’s become hot“.
Wlan gibt es nicht
In Amman angekommen, entwickeln sich die Dinge dann aber auf eine Weise, die Sarah als „weird“ bezeichnet. Die in einem Außenbezirk der Hauptstadt gelegene Luxusvilla ist von der Außenwelt abgeschottet. Sarah muss eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben. Der Zutritt zu den privaten Räumen ist streng untersagt. Wlan gibt es dort nicht. Und die drei Schwestern Shaima (Nagham Abu Baker), Fatima (Celina Sarhan) und Nour (Andria Tayeh) machen schon beim Aufwärmtraining schlapp. Sie sind mehr an Daily Soaps, Make-up-Routinen und Ausflügen in die verödete Shopping Mall interessiert als an Kampfsport. Irgendetwas stimmt nicht.
„Mond“, der zweite Spielfilm der im Irak geborenen kurdisch-österreichischen Regisseurin Kurdwin Ayub, bewegt sich von Anfang an auf undurchschaubarem Terrain. Die Szenen sind von bizarrer Komik durchmischt, aber zugleich deuten sich dramatischere Töne an. Wenn Sarah Abend für Abend an der Hotelbar versackt, könnte sich „Mond“ auch zur Geschichte eines langsamen Absturzes entwickeln. In Florentina Holzinger, einer österreichischen Choreografin und Performancekünstlerin, hat Ayub eine ideale Darstellerin gefunden. Ihrem Spiel ist jeder athletische Drive ausgetrieben, die Stimme klingt unterspannt, auf ihrem Gesicht hat sich ein stumpfer Ausdruck eingeschrieben.
„Mond“ ist ein Film, der beständig seine Prämissen verschiebt. Nach dem Sozialdrama, das im Wien-Teil noch aufgerufen wird, schlittert der Film mehr und mehr ins Feld eines Thrillers. Als eine Hotelmitarbeiterin mafiöse Verstrickungen der Familie andeutet und sogar von Kidnapping spricht, wird sie von ihrem Kollegen zurechtgewiesen. Der Begriff „Netflix-Plot“, den Sarah noch ironisch einwirft, scheint der Realität bald beängstigend nahezukommen. Während sie mit den Schwestern in die Kissen der überdimensionierten Sofalandschaft versinkt, dringen Klopfzeichen aus dem oberen Stockwerk. Und eine vermeintliche Botox-Behandlung im Gesicht einer der Frauen kann die Spuren körperlicher Gewalt kaum verbergen.
Verloren im Nahen Osten
Nachdem Ayub in „Sonne“ (2022) Social-Media-Sphären und postmigrantische Lebensrealitäten in Wien miteinander verwoben hat, steht im zweiten Teil „Mond“ nun eine weiße Österreicherin im Zentrum, die als Arbeitsmigrantin mit der Kultur des Nahen Ostens fremdelt. Ayub ließ sich von einer Dokumentation über die Prinzessin Latifa bint Muhammad Al Kaktum anregen, die mit ihrer finnischen Capoeira-Lehrerin einen aufsehenerregenden Fluchtversuch aus dem Königreich Dubai unternahm. Während die europäische Lehrerin unbeschadet davonkam, soll Prinzessin Latifa nach der Entführung von ihrem Vater drei Jahre in Hausarrest gefangen gehalten worden sein.
Das „Netflix-Spektakel“ der durch die Boulevardmedien geschleiften Prinzessinnen-Geschichte bleibt bei Ayub aus. Anders als das vitale, quirlige Debüt ist „Mond“ trotz Anspannung und latenter Bedrohung von einer ermatteten Atmosphäre erfüllt. Die Genreschrauben werden gegen Ende zwar fester gezogen, doch das Erzähltempo bleibt durchweg ruhig, fast wie gedrosselt. Auf Musik, die nicht im Bild verortet ist, wird verzichtet.
Ayub betreibt ein beständiges Spiel mit Genrekonventionen und Erwartungen, etwa an Selbstermächtigungsnarrative wie an eine weiße Erlöser-Figur – und lässt diese ins Leere laufen. Die Enttäuschung ist gewissermaßen Programm. Dass am Ende ein etwas unbefriedigendes Gefühl zurückbleibt, ist also weniger einem Scheitern anzulasten. Vielmehr wirken die Kontinuitäten, die Ayub zu „Sonne“ spinnt, ein wenig angehängt: der Blick auf den Planeten und der von Sarah etwas schief gesungene Rihanna-Song „S & M“, in dem sich so etwas wie eine emotionale Wahrheit kondensiert.
Bis sich im letzten Bild dann doch wieder alles öffnet: in die Zukunft und in die Vergangenheit zugleich.