Drama | USA 2021 | 117 Minuten

Regie: John Michael McDonagh

Auf dem Weg zu einer ausschweifenden Party auf einem Anwesen in der marokkanischen Wüste überfährt ein wohlhabendes Paar aus der Londoner Oberschicht einen jungen Berber. Zunächst lässt sich der Vorfall vertuschen. Doch dann steht der Vater des Toten vor der Tür und fordert ein Ritual der Buße ein. Das ambitionierte Drama zeichnet den Kontrast zwischen dekadentem Kapitalismus und dem Stolz der Berber mit ebenso sinnlicher wie dramaturgischer Stringenz, in der die postkoloniale Ausbeutung deutlich markiert wird. Doch diese Kritik bleibt inkonsequent, da die patriarchale Herabsetzung von Frauen nicht mitreflektiert, sondern indirekt sogar bestärkt wird. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FORGIVEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
House of Un-American Activities/Brookstreet Pictures
Regie
John Michael McDonagh
Buch
John Michael McDonagh
Kamera
Larry Smith
Musik
Lorne Balfe
Schnitt
Elizabeth Eves · Chris Gill
Darsteller
Ralph Fiennes (David Henninger) · Jessica Chastain (Jo Henninger) · Matt Smith (Richard Galloway) · Caleb Landry Jones (Dally Margolis) · Saïd Taghmaoui (Anouar)
Länge
117 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Thriller
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Drama um einen wohlhabenden Engländer, der auf dem Weg zu einer dekadenten Party in der marokkanischen Wüste einen Jungen überfährt.

Diskussion

Da sitzt das Paar auf dem obersten Deck des Schiffs in Liegestühlen und genießt die Vorzüge seines Geldes. Sie liest André Gides abgründigen Roman „Der Immoralist“. Er erfreut sich an seinem Drink, der offensichtlich nicht sein erster ist. Sein eifrig gepflegtes Alkoholproblem wird bald schon überdeutlich. Ebenso das durch die literarische Referenz schon in den ersten Bildern prominent gesetzte Thema der zweifelhaften Moral der Oberschicht, die sich parasitär hinter ihren Privilegien verschanzt und die Einheimischen für sich wie Sklaven arbeiten lässt.

„L’Afrique“, zischt der Engländer verächtlich, als die Küste Marokkos zu sehen ist. Nein, sympathisch ist dieser versnobte, zynische und vom Reichtum gesättigte Londoner Arzt David Henninger (Ralph Fiennes) nicht. Seine Frau Jo (Jessica Chastain), eine Kinderbuchautorin, scheint ihn ebenfalls sattzuhaben. Sie erträgt den Nihilismus ihres Mannes in der inneren Migration, aus der heraus sie ihre Giftpfeile verteilt. Diese Ehe ist ein Wachkoma; das ist offensichtlich.

Eine Leiche soll die Party nicht stören

In Marokko, das während der Kolonialzeit zwischen Spanien und Frankreich aufgeteilt war, wollen die Henningers bei reichen Freunden ein Wochenende verbringen. Richard (Matt Smith) und sein Partner Dally (Caleb Landry Jones) haben in ihr postkoloniales Anwesen mitten in der Wüste geladen, wo sie mit erlesenen Gästen ausgiebig feiern wollen. Benebelt vom Alkohol und abgelenkt durch einen Streit, übersieht David auf dem Weg dorthin allerdings einen Jungen in der Wüste und überfährt ihn.

Richard nimmt sich der Sache an, will sich die von langer Hand geplante Party jedoch nicht durch eine Leiche vermiesen lassen. Als der korrupte örtliche Polizeichef die Sache für erledigt erklärt, scheint der Friede des Wochenendes gewahrt. Dann allerdings steht der Vater des toten Jungen vor den Toren des Anwesens auf und verlangt, dass David ihn in sein Dorf begleite, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.

David weigert sich zunächst, aus Angst, der Rache zum Opfer zu fallen. Außerdem möchte er sich nicht erpressen lassen; es sei ein Unfall gewesen. Schließlich aber willigt er, von Richard bedrängt, ein. Während der Rest der Partygesellschaft einschließlich Jo ungerührt weiterfeiert, macht sich David auf eine Reise durch die Wüste, wo er sich seiner Schuld stellen muss. Die Buße wird einiges von ihm abverlangen.

Welten prallen aufeinander

„Denen man vergibt“ basiert auf dem Roman „The Forgiven“ des britischen Schriftstellers Lawrence Osborne und erzählt eine relativ klassische Geschichte um Schuld, Vergebung und Dekadenz im postkolonialen Setting der marokkanischen Wüste. Regisseur John Michael McDonagh und Kameramann Larry Smith spannen ein filmisches Tableau auf, dessen Spannung aus dem Gegensatz zwischen der archaisch-staubigen Weite der Wüste und dem babylonischen Exzess der Partygemeinschaft entspringt.

So faszinierend und sinnlich die Bilder auch sind – der Film ist eine echte Augenweide –, so nahe liegt die inhaltlich-dramaturgische Ausarbeitung. Die Welt der Berber, die um ihr getötetes Kind trauern, ist von einem kargen Stolz geprägt, an dem die Armut ihre Spuren hinterlassen hat. Die klaren Vorstellungen von Schuld und Vergebung, das durch Riten und harte Arbeit geprägte Leben ist in jeder Hinsicht der Gegenentwurf zur Welt von David, Jo und Richard. Von den Fossilien, die sie der Wüste entnehmen und den Reichen verkaufen, können die Menschen der Wüste leben. Die Besetzung und Plünderung ihres Landes aber schreiten unter anderen Vorzeichen voran.

Diesem Leben der Entbehrung stehen recht erwartbar Sex, Alkohol und Drogen gegenüber. McDonagh gelingt es, diese glamouröse Welt in all ihrer Verführungskraft zu zeigen und gleichzeitig die Leere mittels Klischees darzustellen. Niemand kann sich leiden. Keiner kennt den anderen wirklich. Der Individualismus der Oberschicht ist eine Aneinanderreihung von Verkleidungen und Hinterhalten.

Babylonische Zombies

David hat von Anfang an keine Lust auf diese Party. Schließlich sei es seine entfremdete Frau, die sich mit den Gastgebern verstehen würde. Was diese Menschen abseits des Geldes verbinden mag, bleibt ein Rätsel. Eine französische Modejournalistin sonnt sich im naiven Anti-Amerikanismus, während ein schmieriger britischer Lord sich mit einem dümmlichen It-Girl vergnügt und der Finanzanalyst Tom (Christopher Abbott) versucht, im Schoß von Jo zu landen. Willkommen in der Welt babylonischer Zombies, in der es wenig überrascht, dass der Tod des Jungen die Feierlaune kaum zu trügen vermag. Das Mitgefühl hat hier keinen Ort mehr. Es ist ohnehin nur ein Niemand aus der Wüste gestorben.

Neu ist das alles nicht. Die Bilder dieses Gegensatzes sind vielfach durchgespielt. An den postkolonialen Verhältnissen der Wirklichkeit hat das nichts verändert. Der Warenüberfluss und Reichtum des Westens wird in der Ferne, in den Wüsten des Kapitalismus, produziert. In seiner Kritik mag McDonagh mitunter sehr deutlich sein. Letztlich sind die meisten Ausbeutungsverhältnisse ebenso wenig subtil. Man weiß darum.

Die große Stärke des Film liegt im selbstbewussten Umgang mit dem Altbekannten, mit dem Gespenst, das sich nicht verjagen lassen will. Doch so reflektiert „Denen man vergibt“ in dieser Hinsicht agiert, so gedankenverloren tappt der Film in eine Falle ganz anderer Art: In seiner Darstellung von Weiblichkeit stolpert er in eine schier unerträgliche Misogynie. Die Frauenrollen existieren hauptsächlich im Verhältnis zum patriarchalen System. Sie sind entweder die blonden, eher unbekleideten Anhängsel oder die trauernden, verschleierten Gestalten in der Wüste.

Misogyne Stereotype

Einzig Jo, die im Roman nicht besonders präsent ist, darf hier eine eigenständige Figur sein. Doch auch sie erfüllt jedes frauenfeindliche Klischee: Sie wird zu einer Art Femme fatale, zur stillen, verführerischen Täterin im Hintergrund, die in keinem Moment die Folgen des Unfalls zu reflektieren scheint. Ihr wird keine Möglichkeit der Vergebung eingeräumt. Die westliche Frau wird für ihr sexuelles Begehren bestraft, sie wird zur Verkörperung der Dekadenz und des rücksichtslosen Hedonismus, die der Film anzugreifen vorgibt.

McDonagh bleibt dabei, die postkolonialen Zustände und den Kapitalismus ins Visier zu nehmen, auf ärgerliche Weise inkonsequent. Die Kritik an den Ausbeutungsverhältnissen und der Ignoranz der weißen Müßiggänger gegenüber allem, was sie als unwichtig und unterlegen ansehen, gerät schal, wenn die Figurenzeichnung zugleich von der eigenen Ignoranz gegenüber der patriarchalen Herabsetzung von Frauen (auf beiden Seiten, also auch im arabischen Kontext) zeugt. Die Chance, auch in dieser Hinsicht Ungleichheit anzugreifen, hätte McDonagh gehabt. Schließlich geht der Plot um Jo auf seine Rechnung. So bleibt alles beim Alten und die existenzielle Erlösung eine männliche Angelegenheit. Das ist frustrierend.

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