Bis zur Wahrheit

Drama | Deutschland 2023 | 89 Minuten

Regie: Saralisa Volm

Eine angesehene Neurochirurgin verbringt einige Tage im Ferienhaus mit Mann, Tochter und einem befreundeten Ehepaar, zu dem deren Sohn dazustößt. Als es an einem Abend zu einer flirtartigen Situation kommt, vergewaltigt der junge Mann die Freundin seiner Mutter. Diese versucht vergebens, den traumatischen Vorfall zu verdrängen, und ihr veränderter Zustand bleibt ihrem Umfeld nicht verborgen. Als sie offenbart, was geschehen ist, begegnet ihr jedoch Misstrauen statt Mitgefühl. Das Drama um die mangelnde Unterstützung von Vergewaltigungsopfern erzählt seine Geschichte realitätsnah und einfühlsam, zeigt aber Schwächen in der Figurenzeichnung und in der dramaturgischen Auflösung. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Atalante Film/Nordfilm
Regie
Saralisa Volm
Buch
Lena Fakler
Kamera
Roland Stuprich
Musik
Jonas Nay · David Grabowski
Schnitt
Robert Stuprich
Darsteller
Maria Furtwängler (Martina) · Margarita Broich (Jutta) · Damian Hardung (Mischa) · Pasquale Aleardi (Andi) · Uwe Preuss (Thorsten)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Drama um eine Neurochirurgin, die vom Sohn ihrer Freundin vergewaltigt wird, das Geschehen aber zu ignorieren versucht.

Diskussion

Martina (Maria Furtwängler) rafft ihr Sommerkleid, nimmt Anlauf und springt über das Lagerfeuer am Strand. Die Mittfünfzigerin liebt das Spiel mit dem Feuer, im direkten wie übertragenen Sinn. Als Neurochirurgin führt sie schwierigste Hirnoperationen durch, bei denen ihre Kollegen längst die Nerven verloren hätten. Im Privatleben flirtet die glücklich verheiratete Frau und Mutter einer Teenagertochter gerne und ist auch mal dem Alkohol oder einem Joint nicht abgeneigt. Auch mit Mischa (Damian Hardung), dem Sohn ihrer besten Freundin, flirtet sie an diesem Abend auf der Strandparty, bis der sie vergewaltigt.

Es ist ein kluger Zug von Saralisa Volm, die Protagonistin des Dramas „Bis zur Wahrheit“ nicht als Opfer zu zeichnen, sondern als selbstbewusste, sexuell aktive und gelegentlich auch mal riskant agierende Frau. Auf diese Weise tritt der Kern der Geschichte umso klarer zutage: Mischas Tat war ungeachtet von Martinas Verhalten eine Vergewaltigung.

Vorwurfsvoller Unterton

Ob sie sich gewehrt habe, wird die Ärztin im Verlauf des Films immer wieder gefragt, oft mit vorwurfsvollem Unterton, so als mache sie sich mitschuldig, weil sie sich körperlich nicht widersetzt hat. Doch die Chirurgin konnte sich nicht bewegen, weil sie in eine Art Schockstarre verfiel, wie es vielen Vergewaltigungsopfern widerfährt. Ohnehin hat sie klar und eindeutig kommuniziert, dass sie keinen Sex haben will. Eine Aussage, die ausreichen sollte – und doch so häufig ignoriert wird.

„Bis zur Wahrheit“ versucht, den gängigen Vergewaltigungsmythen etwas entgegenzusetzen. Dennoch wirkt der von Lena Fakler geschriebene und von Saralisa Volm inszenierte Film kein bisschen didaktisch oder hölzern. Das Drama erzählt eine fesselnde, vor (An-)Spannung vibrierende, mit guten Figuren gespickte Geschichte. In deren Zentrum steht Maria Furtwängler: Die Schauspielerin, die den Film auch co-produzierte und sich mit ihrer Malisa-Stiftung seit Jahren für ein gleichberechtigteres Fernsehprogramm einsetzt, verkörpert eine Protagonistin, die vieles zugleich sein darf. Sie trägt Attribute, die bei einer männlichen Figur normal, bei einer Protagonistin aber noch immer ungewöhnlich sind: beruflich erfolgreich, mit einer sich in Sport und Sex äußernden, selbstverständlichen Körperlichkeit, und eben einer gewissen Lust am Spiel mit dem Feuer. Ihre weiblich konnotierten Züge sind dort zu greifen, wenn sie es allen recht machen und auch nach der Tat weiter „funktionieren“ will.

Bis es dann aber doch nicht mehr geht und die mühsam aufrechterhaltene Fassade durch das erlebte Trauma, aber auch den retraumatisierenden Unglauben des Umfelds zum Einsturz gebracht wird. Erst dann schert sich die Ärztin nicht mehr um die Regeln der (patriarchalen) Gesellschaft und holt sich die Deutungshoheit über ihre Geschichte auf eigene Faust zurück. Atemlos folgt man Furtwängler bei dieser Darstellung, bis zuletzt.

Ohne Klischees

Stimmig sind auch die anderen Figuren und Beziehungen, etwa das Miteinander zwischen Martina und ihrem Mann Andi (Pasquale Aleardi). Der ist zwar impulsiv und eifersüchtig, aber auch äußerst loyal, als Martina ihn schließlich darin einweiht, was vorgefallen ist. Auch der Vergewaltiger ist kein klischeehafter Macho, sondern ein Klimaaktivist. Erzählt wird ohne Voyeurismus und mit großer Sensibilität, gerade auch bei der Vergewaltigungsszene, die Kamera von Roland Stuprich und die präzise Musik- und Tonspur tragen dazu viel bei.

Am Ende gelingt es Martina sogar, erneut ins Wasser zu steigen; das Schwimmen dient als Symbol ihrer Freiheit und des Lebens. Denn die Scham hat, frei nach Gisèle Pélicot, deren unzählige Vergewaltiger in Frankreich gerade vor Gericht stehen, die Seiten gewechselt.

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