Die Fotografin

Romain Antony | 24.10.2024

Ein junger Mann, Antony Penrose (Josh O'Connor), befragt die alt gewordene Kriegsfotografen Lee Miller (Kate Winslet). Man hat den Eindruck, ein Journalist führe mit ihr ein Interview. Später stellt sich heraus, dass es ihr Sohn ist, der Fragen an eine fiktive, nicht vorhandene Mutter richtet. Man sieht ihn vor einem Teppich ausgebreiteter Fotos stehen. Möglicherweise ist meine Sichtweise, dass es sich dabei um den Sohn handelt, nicht zutreffend, denn in einigen Besprechungen, die mich etwas verunsichert haben, wird von einem Journalisten gesprochen. Nachhinein kann ich die Situation nicht mehr aus meiner Filmerinnerung heraus klären, vielleicht sagt ein/e KommentatorIn was dazu. Die Mutter, die als Kriegsfotografin grauenhafte Bilder gesehen und durch ihre Kameralinse aufgenommen hat, litt vermutlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung und war alkoholabhängig. Demzufolge war die Mutter-Sohn-Beziehung schwierig. Lee hat ihrem Sohn wenig über ihre Tätigkeit erzählt, sie muss für ihn fast eine Fremde gewesen sein. Nun steht er da vor ihrem Erbe aus über 60.000 Fotos, Negativen, die seine Frau nach dem Tod von Lee 1977 auf dem Dachboden gefunden hat. Der Sohn, Antony, stellt sich Fragen, die ihm kaum jemand beantworten kann. Aus dem Nachlass muss er erschließen, welche Person seine Mutter gewesen ist, muss aus Fragmenten und Erinnerungsbruchstücken zusammensetzen, was ihr Leben ausgemacht hat. Sein Vater, Ronald Penrose, ein Freund Picassos, Paul Éluards, Künstler und pazifistischer Ästhet, war der Garant für eine bindungssichere Beziehung zu einem Elternteil. Doch der junge Mann bleibt an der Geschichte seiner Mutter hängen, ihre Lebensgeschichte beschäftigt ihn, er schreibt mehrere Bücher über sie , u.a.: " Immer lieber woanders hin. Die Leben der Lee Miller, die Frau in Hitlers Badewanne", Insel Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-458-68264-6. Er organisiert, katalogisiert ihr umfassendes Lebenswerk, das gründet eine Stiftung, die "Lee Miller Archives", eine private Einrichtung, um das Werk von Lee Miller und seines Vaters Ronald Penrose zu archivieren, zu veröffentlichen. In der Farleys House Gallery, the Home of The Surrealists, sind deren Werke zu besichtigen. Die Geschichte Lee Millers aus der Erinnerungssicht des Sohnes zu erzählen, wäre ein sehr interessanter Zugang zur Thematik gewesen. Bohème-Atmosphäre einer Künstlergesellschaft an der Côte d'Azur, Freigeister wie Cocteau (Lee spielt in seinem Film "Le sang du poète" eine lebendig werdende Statue), Picasso, Éluard, Musen, Models, Wein, Sonne, Liebe: die Filmbilder sind hell, farbenfroh, sonnendurchflutet. Whitney Scharer beschreibt in ihrem Roman "Die Zeit des Lichts" dieses Leben in den dreißiger Jahren, in der Lee Miller die Assistentin, wohl auch Geliebte von Man Ray gewesen ist - auf Empfehlung von Edward Steichen - (in ihrer Buchbesprechung im Deutschlandfunk 11/2029 bezeichnet Julia Friese den Roman als eine historische Fiktion mit einem Schuss Erotik, allerdings ohne Emanzipationsgeschichte). Ein Man Ray-Portrait von Lee Miller wurde 2023 versteigert, Endergebnis 69.000 Euro. In Man Rays Erinnerungen gibt es kaum Erwähnungen von Lee Miller, auch sie nimmt selten auf ihn Bezug. Lee Miller war auch Fotomodel von Edward Steichen und er brachte sie auf die Idee zu fotografieren (sollte jemand mal vorhaben Luxemburg, ins besonders der Stadt Clerf / Clervaux einen Besuch abzustatten, dann lohnt sich Steichens Fotosammlung "Family of Man" außerordentlich - Lee Miller ist dort allerdings nicht abgebildet) Im Film erfolgt ein Farbwechsel. Grau, beige, bedeckt, kontrastschwach sind die Aufnahmen des zweiten Teils, in dem es um Krieg in der Normandie und den Vormarsch der Alliierten gegen Hitlerdeutschland geht. Einige von Lees Fotos werden im Film nachgestellt, so auch das Foto in Hitlers Münchner Wohnung. Sie setzt sich in seine Badewanne und lässt sich, umgeben von einigen Objekten, mit nackten Schultern in der Badewanne von ihrem Kollegen und Life-Fotografen Scherman (Andy Samberg) fotografieren. Interessant darüber nachzudenken, weshalb dieses Bild ikonisch geworden ist. Der Film, als Biopic mit Rückblenden angelegt, erzählt von einer selbstbewussten, durchsetzungsstarken, unglaublich mutigen Frau, die sich erfolgreich, manchmal mit List und Chuzpe in einer männerdominierten Welt behauptet, um ihre Arbeit als Kriegsfotografin zu tun, angetrieben, fast besessen von der Absicht, der Welt mit ihren Fotos den Spiegel vorzuhalten. Sie fotografiert die Destruktivität und Brutalität des Krieges. 'Die Brutalität des Krieges!, welch infame, abstrahierende Terminologie! Es ist die Grausamkeit, die Menschen begehen, die sie anderen Menschen antun. Mit ihren Fotos zeigt sie Wirklichkeit, hält das Geschehene fest, gibt es mit der Veröffentlichung zur Beurteilung, Verurteilung frei. Dementsprechend groß ist ihre Enttäuschung, ihre Verzweiflung, festzustellen, dass man die Realität nicht zeigen möchte. Die auf ihren Bildern festgehaltenen Massaker sollen den Leserinnen der Haute Couture Mode nicht zugemutet werden. Die Modezeitschrift "Vogue", für die sie arbeitet, möchte ihre Leserschaft nicht verschrecken. Auch von offizieller Regierungsseite wird eine Veröffentlichung nicht gebilligt. Die Aufnahmen von aufgeschichteten Leichen, massakrierten Menschen in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau bleiben unter Verschluss. Wie umgehen in der Besprechung eines Films, der einem die Schrecken des Krieges und den Horror menschlicher Grausamkeiten aufzeigt. Wie kann man einen Film besprechen ohne seine bedeutungsvollen Aussage durch Kritik zu relativieren: "Kuckt hin was geschah, verschließt nicht die Augen, verdrängt die destruktiven Impulse nicht, kuckt hin, wie wir werden können, wenn alle moralischen Dämme brechen, wozu wir unter bestimmten Umständen in der Lage sind als Menschen". Die Botschaft ist warnend, erinnernd, mahnend. Dabei bleibt es allerdings. Doch in dem Film, der sie transportiert, kann ich nicht darüber hinwegsehen, dass er trotz der Rückblenden, seine Geschichte linear erzählt, sich in Fotomotiv erschreckenden Inhalts an das nächste reiht. Die gezeigten Aufnahmen folgen einer kalkulierten Dramaturgie des gesteigerten Schreckens, die kurz, schnell ins Bild genommen werden, um nicht zu verstören. KinobesucherInnen brauchen keine Triggerwarnung, sie werden relativ geschont. In den Gesichtszügen und im Verhalten der Hauptdarstellerin spiegelt sich vorausahnend, was auf den Aufnahmen kurz zu sehen ist. Der Film diagnostiziert Lee plakativ, mit ihrem traumatisch Erlebten und Gesehenen, als depressive, altersverschrobene, Alkoholabhängige. Ich wünsche dem Film viele ZuschauerInnen, weil Kate Winslet ihre Rolle überzeugend ausfüllt und weil die Geschichte, die auch jetzt in unserer Gegenwart stattfindet aktueller Bestandteil von Nachrichtensendungen ist. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde mit der technischen Erfindung des Fotografieverfahrens durch Louis Daguerre (sein Name ist kein Programm) Bilder von Schlachtfeldern aufgenommen. Die Fotos waren Dokumente. Wir sehen heute Kriegsberichterstatter filmend durch zerbombte Städte der Ukraine hetzen und sich durch unterirdische Gänge der Hamas zwängen. An der Echtheit ihrer Berichte zweifle ich nicht, wohl wissend, das in Zeiten von KI und Fakenews Fotos ihre Bedeutung als Realitätsbeleg eingebüßt haben und eine Wahrheitsfindung manchmal mit Vorsicht und Skepsis einher gehen sollte. Die Vergangenheit wiederholt sich in der Gegenwart. Es ist so traurig, es ist zum Verzweifeln, es ist unglaublich enttäuschend, dass für Machtstreben, Durchsetzung und Sicherung eigener Interessen, Vernichtung, Tod und Verwüstung in Kauf genommen werden. Kultur, Religionen (auch sie mischten mit Gemetzeln mit), Vernunft, Aufklärung, Humanität, Solidarität und internationale Kooperationen können den Irrsinn nicht in Schach halten. Scheiß archaisches Krokodilshirn. Wir sind nicht die Krone der Schöpfung. cf. auch andere Filmbesprechungen, dort auch mit Links, die sich auf die Besprechung von "Die Fotografin" beziehen, unter: www.filmekommentieren.wordpress.com