Die Unbeugsamen II - Guten Morgen, ihr Schönen!

Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 109 Minuten

Regie: Torsten Körner

Doku über 15 Frauen aus der ehemaligen DDR, von der Metallurgin bis zur Schriftstellerin. Vor dem Hintergrund einer politisch postulierten, realiter aber mit diversen Hemmnissen ringenden Gleichstellung spürt der Film dem Spagat der Protagonistinnen zwischen Beruf und Privatleben nach. Im Dialog mit dokumentarischen wie subtil kritischen Spielfilmen und im Kontrast zu propagandistischen Wochenschauen enthüllt der Film essayistisch die Vielfalt ostdeutscher Biografien. Durch eine Montage, die Kontraste wie Analogien herausarbeitet, und unterfüttert mit kollektiven Erinnerungen aus Schlager, Pop und Kunst am Bau wird auf unterhaltsame Weise greifbar, wie unterschiedlich sich Frauen mit dem Patriarchat arrangierten oder dagegen aufbegehrten. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Broadview Pictures
Regie
Torsten Körner
Buch
Torsten Körner
Kamera
Anne Misselwitz
Musik
Cassis Birgit Staudt
Schnitt
Sandra Brandl
Länge
109 Minuten
Kinostart
29.08.2024
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über Frauen in der DDR und wie sie Beruf und Privatleben gemanagt haben.

Diskussion

Eine Szene in „Die Unbeugsamen 2 - Guten Morgen, ihr Schönen!“ von Torsten Körner bündelt die ganze Tragikomik, die entstehen kann, wenn ein politisches Programm auf die Wirklichkeit trifft. Da spricht Erich Honecker im näselnden Singsang eine Dankesrede. Geehrt werden soll die Leiterin der Abteilung Frauen des Zentralkomitees der SED, Inge Lange, „für ihre Verdienste um die Gleichberechtigung“. Die schwenkende Kamera zoomt langsam auf. Honecker und weitere Männer stehen bildfüllend rechts, auf der anderen Seite harrt einsam die Geehrte. Sie lächelt fein. Ob über diese offensichtliche Asymmetrie, ist nicht überliefert.

Gleichberechtigt? Ein guter Witz!

Die vom SED-Staat verordnete Gleichberechtigung von Mann und Frau war offenbar eher ein guter Witz. Den auszuhalten und zu kontern, setzte bei der Hälfte der erwachsenen Bevölkerung einen speziellen Humor, viel innere Freiheit und vor allem viel Kraft voraus. Wurde doch von den Frauen erwartet, neben dem oft knochenharten Vollzeitjob in einer zweiten Schicht zuhause auch noch Mann und Kinder zu bespaßen. Nebenbei durften sich viele von ihnen im Beruf anhören, dass sie als Frau für „so eine Arbeit“ nicht geeignet seien: riesige Agrarmaschinen zu steuern, in Walzwerken Führungsaufgaben zu übernehmen oder auch Künstlerin zu werden.

Im Kino hat man bislang wenig darüber gesehen, wie vielfältig die Frauen diese Grätsche zwischen real existierendem Patriarchat und progressivem Selbstverständnis zu nehmen wussten, als LPG-Vorsitzende, Künstlerinnen, Metallurginnen, Bürgermeisterinnen und Schriftstellerinnen. Als grenznah aufgewachsener Wessi könnte man fast sauer darüber sein, welche sehr verschiedenen, zur Selbstermächtigung inspirierenden und nicht zuletzt äußerst coolen und unterhaltsamen Perspektiven auf das Leben einem da bislang vorenthalten worden sind.

In seinem Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ (2021) porträtierte Thorsten Körner Politikerinnen der Bonner Republik. Ganz ohne Off-Kommentar, mit frappierendem Archivmaterial und in den Kulissen von damals stellte dieser Film indirekt Fragen auch ans Jetzt: Wer hat das Sagen, wer darf sprechen? Sind wir bei der Gleichstellung wirklich weitergekommen?

Nun also das Ganze auf ostdeutsch? Nicht ganz. Zwar eröffnet Körner auch in seinem neuen Film Denkräume, indem er die Porträtierten zum Teil an den Stätten vergangenen beruflichen Wirkens befragt, was er mit historischem Bildmaterial ins Gespräch bringt und mit den Erzählungen der Zeitzeuginnen schwingen lässt. Doch es gab in der DDR kein vergleichbares weibliches Polit-Personal und zudem erst am Ende freie Wahlen.

Die Metapher vom Haus

Außerdem erwies es sich als schwieriger, Räume zu finden, die nicht nur „Lost Places“ sind. Körner bemerkt eine „Mentalität strafender Identitätsauslöschung durch Abriss“ nach der Wiedervereinigung, ein „geschichtsvergessenes Abräumen von alltagsbestimmenden Artefakten“. Weshalb sich die Metapher vom Hausbau und die Sehnsucht nach einem Zuhause wie ein roter Faden durch den essayistisch anmutenden Film zieht, sei es in Schlagern, Popsongs oder Wandmosaiken. Der Staat als Haus, der versprochene ideale Staat als Traumhaus. Oder Luftschloss.

Als Rekonstrukteur nicht nur des real existiert habenden, sondern auch des erträumten „anderen“ Staates bezieht Körner viele Szenen auch aus weniger bekannten, subversiven DEFA-Filmen, aus Wochenschau-Beiträgen, etwa über den Frauentag, oder sehnsuchtsvoll schmachtenden DDR-Schlagern mit ein. In dem Kapitel „Heldinnen der Arbeit“montiert er zu dem Song „Daß ich eine Schneeflocke wär“ von Veronika Fischer Ausschnitte aus drei DEFA-Dokumentarfilmen: „Posten Neun Neumann“ (1980), „Woran wir uns erinnern“ (1984) und „Film von gestern“ (1979). Alle drei stellen den Arbeits- und Ehealltag von Frauen realistisch aus. Vom verordneten pathetischen „Zuversichtston“ (Körner) keine Spur.

Eindrucksvolle Porträts

Diese Montagen haben nichts von nostalgischen Bilderbögen. Körners forschendes Begehren gleicht eher einer für Brüche offenen Revision. Herzstück sind jedoch wieder die Porträts. Frauen wie Brunhilde Hanke, langjährige Oberbürgermeisterin von Potsdam, die Landwirtin und „Heldin der Arbeit“ Solveig Leo, die DEFA-Regieassistentin Barbara Mädler, die Historikerin und Publizistin Annette Leo, die Malerin Doris Ziegler, die Verhaltensbiologin Marina Grasse, die Schriftstellerin Katja Lange-Müller, die Punkerin Gabriele Stötzer, die Friedensaktivistin Ulrike Poppe, die Schauspielerin Katrin Sass, die Schlagzeugerin Tina Powileit, die Metallurgin Katrin Seyfarth, die Comiczeichnerin Anke Feuchtenberger, die Zahnarzthelferin Kerstin Bienert und die Tochter und Nachlass-Verwalterin der Malerin Annemirl Bauer, Amrei Bauer: Sie sitzen in Ateliers, einstigen staatstragenden Büros, verwaisten Fabrikhallen. Autobiografische Erzählung und zeitgeschichtliche Analyse verlaufen entlang matrilinearer Biografien und sind eingebettet in eine Orientierung schaffende, eher spielerische Kapiteleinteilung.

Den Brüchen und Kontinuitäten von Anpassung, innerer oder auch handfester Dissidenz samt Knasterfahrung und Punk-Werdung über mehrere Generationen zu folgen, ist in vielen überraschenden Momenten ein großes, nie erschöpfendes Vergnügen. Etwa wenn die kettenrauchende Tochter von Inge Lange, die Schriftstellerin Katja Lange-Müller, im Raucherinnen-Bariton vergnügt von ihrer „trickreichen“ und „listigen“ Oma erzählt. Die habe meist einfach das Gegenteil dessen gemacht, was die strenge, dem Staat dienende Mutter für vernünftig hielt. Doch selbst eine Politikerin wie Inge Lange, die 1972 die Abschaffung des Paragrafen § 218 mitverantwortete, stieß an die gläserne Decke. Barbara Mädler, spät berufene DEFA-Regieassistentin, formuliert es so: Die Förderung von Frauen habe eine klare Grenze gehabt. Sie durften nicht in Positionen kommen, „wo sie der politischen Ebene gefährlich werden konnten“.

Zuhören und verdichten

Körner nimmt diese Biografien unverstellt und offen in den Blick, ohne eine vorgefertigte These über „die Ostdeutsche“ bebildern zu wollen. Die Montage von Sandra Brandl arbeitet geschickt mit Widersprüchen und Analogien, die respektvolle, leicht aufblickende Kameraperspektive von Anne Misselwitz auf die Porträtierten korrespondiert oder kollidiert mit dem nie diffamierenden Interesse an sozialistischen Wand-Mosaiken mit ihren utopistischen Buntheiten bei gleichzeitig tradierten Geschlechterbildern.

Noch im Titel versteckt sich eine Verbeugung vor einer großen Frau. Körner zitiert darin Maxie Wanders im Osten wie im Westen zum Kultbuch avancierten Porträtband „Guten Morgen, du Schöne“ von 1977. Maxie Wander starb kurz nach dem Erscheinen ihres ersten Buches; deshalb gibt es kaum Archivmaterial von ihr. Körner geht auch mit dieser Leerstelle um, indem er Wander „mit ihrer Methode, ihrem Ohr ganz gegenwärtig“ sein lässt: ihrer Fähigkeit, ihren Gesprächspartnerinnen sehr genau zuzuhören und die Aussagen zu einer eigenständigen Dramaturgie zu verdichten. Ja, westdeutsche Männer (mit Ost-Verwandtschaft) können das auch.

Ein Bonmot der Prenzlauer Berger Künstlerin Annemirl Bauer, das bereits im ersten „Unbeugsamen“-Film zitiert wurde, erhebt Körner nun zum Motto: „Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern“. Diesen Staffelstab reicht der neue Film charmant und energisch ans heutige Publikum weiter. Denn ohne die Spezifität weiblicher ostdeutscher Lebensläufe abzuflachen, schafft er Andockmöglichkeiten für alle, die einmal zuhause waren und es nicht mehr sind; die etwas erhofften, das verschwunden ist, noch bevor es sich hätte realisieren lassen. Und die weitermachen, mit einem traurig-amüsierten, skeptischen oder verknallten Blick auf all die Widersprüche.

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