Drama | Deutschland 2024 | 310 (sechs Folgen) Minuten

Regie: Anja Marquardt

Mit ausgeprägtem Gestaltungswillen auf bildlicher Ebene und ausgefeilter Dramaturgie erzählt eine sechsteilige Serie vom Leben einer jüdischen Familie in Frankfurt am Main. Deren familieneigenes Delikatessen-Imperium steht nach Jahrzehnten zum Verkauf. Eine Kette aus Ereignissen wirbelt das Leben dreier Generationen durcheinander, und Schatten der Nachkriegs-Vergangenheit kommen hoch. So entfaltet sich ein doppelbödiges Identitätsdrama, das aktuelle gesellschaftliche Themen rund um jüdisches Leben in Deutschland mit Dringlichkeit, aber auch Humor und dem Mut zu Ecken und Kanten verhandelt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
ARD Degeto/hr/Turbokultur
Regie
Anja Marquardt
Buch
David Hadda · Juri Sternburg · Sarah Hadda
Kamera
Phillip Kaminiak
Musik
Marko Nyberg · Petja Virikko
Schnitt
Vincent Assmann · Aurora Vögeli
Darsteller
Aaron Altaras (Samuel Zweifler) · Sunnyi Melles (Mimi Zweifler) · Saffron Coomber (Saba Henriques) · Mark Ivanir (Jackie Zweifler) · Mike Burstyn (Symcha Zweifler)
Länge
310 (sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Serie
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Sechsteilige Dramedy über eine jüdische Familie und ihr fiktives Delikatessen-Imperium in Frankfurt.

Diskussion

Wenn durchs multikulturelle Frankfurter Bahnhofsviertel, das Handlungsort dieser sechsteiligen Dramedy ist, die U-Bahn rattert, dann hört sich das an wie das allgegenwärtige Geräusch der New Yorker Subway. Das ist kein Zufall. Den Macherinnen und Machern der Serie „Die Zweiflers“ war es wichtig, Frankfurt am Main als einen Handlungsort zu präsentieren und sinnlich zugänglich zu machen, wie man ihn in der deutschen TV-Landschaft selten gesehen hat. Die Metropolen-Flair versprühenden Straßen des lebhaften Bahnhofsviertels sind die Heimat des Zweifler-Delis, der Stammfiliale eines fiktiven jüdischen Delikatessenimperiums. An dessen Spitze steht der Großvater und Auschwitz-Überlebende Symcha Zweifler (Mike Burstyn), der den Laden einst nach dem Zweiten Weltkrieg begründete. Doch nun stehen im boomenden Deli-Business große Veränderungen an; die erfolgreiche Kette soll nämlich verkauft werden. Die Familie Zweifler stürzt Symchas Geschäftsentscheidung in hellen Aufruhr. Besonders das Leben der Hauptfigur, von Symchas Enkel Samuel (Aaron Altaras), wird so schließlich in gänzlich neue Bahnen geleitet.

Die versprengten Enkel zieht es zurück in die Heimat

Eigentlich ist Samuel Musikmanager in Berlin. Er führt eine freigeistige Existenz jenseits von Familienleben und jüdischer Tradition. Bei einem Besuch zuhause in Frankfurt lernt Samuel die junge Restaurantmanagerin Saba (Saffron Coomber) kennen. Die beiden verlieben sich, werden ein Paar. Bald ist Saba schwanger, und für Samuel gilt es ein paar gewichtige private wie berufliche Entscheidungen zu treffen, die sich mit seinem bisherigen Lotterleben nicht recht vertragen. Derweil kehrt auch Samuels Schwester Dana (Deleila Piasko) aufgrund von Eheproblemen aus Tel Aviv zurück nach Hause.

Der Jüngste der Zweiflers, Leon (Leo Altaras), erregt derweil als Kunststudent mit gewagten Arbeiten bei Ausstellungen Aufsehen, die für Unmut bei den Eltern der drei sorgen. Mimi Zweifler und Jackie Horovitz (Sunnyi Melles und Mark Ivanir) könnten es als „Best Ager“ eigentlich entspannt angehen lassen, ihre Zweierdynamik erweist sich aber – wie so einiges bei den Zweiflers – als dysfunktional und entwickelt enorme Fliehkräfte. Sunnyi Melles’ Charakter Mimi hat sehr genaue Vorstellungen davon, wie das Familienleben zu ordnen ist, doch das reale Leben widersetzt sich den mitunter zwanghaften Vorstellungen der auf Tradition Bedachten. Als Samuel seiner Mutter offenbart, dass nicht feststeht, ob sein neugeborener Sohn beschnitten wird, ist das Drama groß.

Ein Familiendrama in kinowürdigem Look

Produzent und Drehbuchautor David Hadda, der als Showrunner der „Zweiflers“ fungiert, hat die sechsteilige Dramedy als komplexen Familienroman in filmischer Form verwirklicht. Glücklicherweise nicht in Gestalt einer gedankenlos abfotografierten literarischen Erzählung, sondern als hochstilisiertes visuelles Narrativ. In markantem, kinowürdigem Look. Überbordend, sinnlich und nah an den Figuren. Jede Einstellung des Kameramanns Phillip Kaminiak erzählt detailverliebt und planvoll vom Mikrokosmus des jüdischen Post-Shoa-Lebens in Deutschland. Besonders gerne auch bei Tisch. Beim Schabbat-Dinner schwelgen die Bilder im Atmosphärischen. Der familiäre Esstisch wird zur zentralen Stätte der Pflege von Familie und Tradition, aber auch zur Plattform für Auseinandersetzung.

David Hadda und sein Autorenteam, bestehend aus Sarah Hadda und Juri Sternburg, verstehen es dabei geschickt, mit Klischees und Stereotypen zu spielen, ohne selbst in welche zu verfallen. Der multikulturelle Erzählkosmos der „Zweiflers“ kommt nicht im trägen, didaktischen Gestus eines Erklär- und Erziehungsfernsehens, sondern doppelbödig, ambivalent und reich an erzählerischen wie bildlichen Pointen daher. So vermögen es „Die Zweiflers“ dank ihrer prägnanten Figurenzeichnung, die dramaturgische Spannung über die sechs circa einstündigen Episoden zu halten.

Die Schatten der Nachkriegs-Vergangenheit

Dies gelingt der Serie mitunter auch aufgrund eines erzählerisch eleganten Kniffs, der dem „Zweifler“-Kosmos einen an keiner Stelle zu dick aufgetragenen Kriminal- und Rotlicht-Touch hinzufügt: In den Wirren einer Gesellschaft der deutschen Nachkriegsjahre, die für einen Holocaust-Überlebenden wie den Großvater Symcha oft nur Kälte und Abneigung übrighatte, musste der später erfolgreiche Geschäftsmann einige zweifelhafte Bündnisse eingehen, die für die Familie Jahrzehnte später zur Hypothek zu werden drohen. Burstyn, der die Figur mit eindrucksvoller Präsenz spielt, ist Teil eines Ensembles, das bis in die Nebenrollen hinein glänzt.

Die Serienmacher:innen tappen zu keinem Zeitpunkt in die Falle, eine ihrer Figuren zu idealisieren. Die Angehörigen der Zweiflers haben durch die Bank Kanten und Macken, die einer modernen Seriendramaturgie förderlich sind. Der wilde Sprachmix aus Deutsch, Englisch, Jiddisch, Hebräisch und Russisch, der hier gesprochen wird, ist kein Selbstzweck, sondern erzählt vielmehr vom Selbstverständnis der Kreativen des „Zweifler“-Teams, erzählerische Akzente zu setzen, die der aktuellen gesellschaftlichen Realität gerecht werden. Doch nicht im Modus eines plumpen Abbildungsfetischismus, sondern mit genügend Willen zur gestalterischen Stilisierung, um die sechs Episoden auch zu einem ästhetischen Highlight zu machen.

Dieser Gestaltungswille hat sich auf dem Parkett der internationalen Seriengemeinde bereits bezahlt gemacht: beim Serienfestival von Cannes gewann das doppelbödig komische Identitätsdrama unter anderem den Preis für die beste Serie – als erste deutsche Fernsehproduktion überhaupt. Mazel tov!

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